Bären sind stark und der hebräische Vorname Dow scheint auf diese (gute) Stärke zu verweisen. Ein Blick in die klassischen Texte des Judentums zeigt jedoch, dass der Bär nicht immer für eine Mischung aus Kuschligkeit und Kraft steht. Eine (verstörende) Episode mit dem Propheten Elischa zeigt das recht eindrücklich.
Der SPIEGEL hat Ende März (hier online, Print Heft 14/2022 vom 31.03.2022) den Fall Gil Ofarim nachgezeichnet. Gil Ofarim erzählte in einem Instagram-Video davon, in einem Leipziger Hotel antisemitisch beleidigt worden zu sein. Das erzeugte eine Welle der Solidarität, aber auch offene antisemitische Kommentare in den sozialen Medien. Zu erwähnen, dass es absurd ist, auf Antisemitismus-Vorwürfe mit Antisemitismus zu reagieren, ist eigentlich überflüssig. Die SPIEGEL-Autoren Jörg Diehl, Peter Maxwill und Steffen Winter beschreiben in ihrem Artikel eben jene 115 Sekunden, in denen der Vorfall, den Gil Ofarim auf Instagram beschrieb, stattgefunden haben soll. Nach Lektüre des Artikels hält man es für denkbar, dass es sich anders abgespielt haben mag. Weniger bekannte Menschen als Gil Ofarim halten sich für wichtige Persönlichkeiten mit einem Anspruch auf Vorzug. Doch verblüffend an dem Artikel ist, dass er sich anscheinend in einem leeren Diskursraum entfaltet und das Problem Antisemitismus überhaupt nicht als solches erkennt – auch wenn er Gil Ofarim in dieser Situation wahrscheinlich nicht begegnet ist. Nicht nur Jüdinnen und Juden haben das Video geteilt, aber sie haben online von ähnlichen Situationen berichtet: Die Situation, die Gil Ofarim in seinem Instagram-Video geschildert hat, kennen viele Jüdinnen und Juden in schwächerer Ausprägung aus Deutschland durchaus – jedenfalls dann, wenn sie als solche erkennbar sind, sei es durch eine Kette mit Davidstern, oder durch die Kippah. Die verbale Ablehnung ist offener geworden und auch physische Angriffe sind nicht selten geworden. Auch aus diesem Grund haben viele Leute aus der Community den Vorfall durchaus als glaubhaft betrachtet. Die einhellige Meinung war »nun hat es jemanden mit Reichweite erwischt«. Dass dieser Aspekt vollkommen ausgeblendet wurde, ist ein wesentlicher Schwachpunkt des Artikels, denn er erklärt die Dynamik nicht. Formal kann man natürlich argumentieren, es sei ausschließlich um die 115 Sekunden gegangen. Die Einbeziehung jüdischer Ansprechpartner hätte dieser Sichtweise vielleicht etwas entgegengesetzt. Die Reaktion von Politikern (auf den mutmaßlichen Vorfall) in den sozialen Netzwerken wurde deshalb von einigen Jüdinnen und Juden auch mit gemischten wahrgenommen: Warum wird hier gesagt, man möchte nicht in einem Land leben, in dem so etwas möglich sei – aber bei anderen Vorfällen nicht. Derer gab es 2020 und 2021 ja genug.
Auseinandersetzung Mit existierendem Antisemitismus?
Hätte man das Gespräch oder die Auseinandersetzung mit dem existierenden Antisemitismus gesucht, hätte das Autorenteam vielleicht den folgenden Satz vermieden: »Wie kann es sein, dass von all den Zeugen in der Lobby niemand einen antisemitischen Ausruf bemerkt?« Für jüdische Ohren kann das wie Hohn klingen. Denn das fragen sich Opfer von (tatsächlichem) Antisemitismus »draußen« auch häufig – in der Straßenbahn, auf der Straße oder irgendwo anders in diesem Land. Wie kann es sein, dass es so häufig toleriert oder nicht als Antisemitismus erkannt wird? Wie kann das sein, dass antisemitische Sätze im Fernsehen gesagt werden können und es erst Monate später jemandem auffällt? Oder dass jemand einen antisemitischen Artikel in einer großen deutschen Tageszeitung veröffentlicht und es niemand bemerkt? Diese Frage der Autoren ist also kein Maßstab für Glaubwürdigkeit und zeigt eine erstaunliche Sorglosigkeit. Die Recherche war (vermutlich) technisch einwandfrei, aber an Empathie für das Thema wurde leider etwas gespart.
Die Opfervorschriften in der Torah erscheinen uns heute als sehr langatmig, zu detailliert und deshalb als etwas »herausfordernd«. Genau aus diesem Grund habe ich sie bewusst in meiner Betrachtung zum Wochenabschnitt Tzaw thematisiert:
Für die Zeit der Torah gibt es eine Diskussion darüber, ob das Kamel bereits domestiziert war. Später aber war es ein alltägliches Lasttier. Den gesamten Artikel in der Jüdischen Allgemeinen gibt es hier im Volltext:
Oft wurde ich gefragt, warum ich nicht etwas rustikaler auftrete. Sowohl im Blog, als auch bei Twitter oder in anderen sozialen Medien. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Zunächst bemühe ich mich immer so über andere zu sprechen, als seien sie dabei (das gelingt natürlich nicht immer) und als bestünde die Möglichkeit, dass wir einander begegnen. Der zweite Punkt, der mit dem ersten durchaus Verbindungen hat: Es gibt eine »jüdische Ethik« (an die sich natürlich nicht alle halten, aber was wäre das schon für eine jüdische Sache, an die sich alle halten) der Sprache und der Kommunikation. Bei dem Versuch, daraus einen Blogeintrag zu basteln, ist mir aufgefallen, dass dieser extrem umfangreich werden würde und dass es kein Standardwerk (mit Bezug zur Kommunikation im Netz) gibt, an dem ich mich orientieren könnte. Jedenfalls nicht im jüdischen Bereich. So ist das Büchlein »Tzipporim« entstanden. Dabei habe ich versucht, es für ein breites Publikum zu formulieren, also sowohl für diejenigen, die sich schon auskennen, als auch für diejenigen, die sich noch (noch) keine häufigen Leserinnen und Leser halachischer Literatur sind. Warum das Büchlein »Tzipporim« heißt, wird natürlich im Text selber verraten und der erzählt auch, welche Werkzeuge die jüdische Tradition entwickelt und bewahrt hat, die uns heute helfen könnten, umsichtig in den sozialen Medien zu kommunizieren. Wie gehe ich mit meinem Gegenüber um? Welche Art der Sprache sollte ich anderen gegenüber verwenden? Wieviel Zeit sollte ich aufwenden? Tzipporim verknüpft eine Betrachtung der Mechanismen mit konkreten Lösungsvorschlägen aus den Quellen des Judentums. Der Anspruch ist natürlich nicht, dass das alles einfach so übernommen wird. Es ist ein bescheidener Vorschlag. Begriffe wie Laschon haRa (wird oft genannt, zuweilen falsch verwendet), Rechilut, Niwul Peh werden eingeführt und erklärt – wie gesagt, auch für diejenigen, denen diese Begriffe (noch) nichts sagen.
Eine Übersicht über die Quelltexte (Wer ist wer?), ein Literaturverzeichnis und ein Index der jüdischen Quellen sollen es ermöglichen, noch mehr zu lernen und zu erkunden.
Das Büchlein ist sowohl gedruckt, als auch als ebook erhältlich – eigentlich überall, wo es Bücher gibt. Hier eine Auswahl an Bezugsquellen:
2004 nahm Rabbiner Henry Brandt Abschied von seiner Stelle als Landesrabbiner des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe. Die Synagoge von Dortmund war, jedenfalls in meiner Erinnerung, voll besetzt. In seinen Ansprache nach der Torahlesung, einer Mischung aus Draschah und Abschiedsrede, sprach er viel von Türen die sich schließen würden und in seinem Alter, damals war er 76, würden sich nicht mehr viele Türen neu öffnen und er sah zurück auf eine bewegte Zeit bis dahin:
Er wurde in München geboren. 1939 musste die Familie des elfjährigen Heinz Georg (später Henry) nach Tel Aviv emigrieren. 1947 meldete sich Hanan (vorher Heinz) zur Marine-Einheit des Palmach – genannt Palmjam – und wurde Leutnant. Später würde er sagen, er habe sich für die Marine gemeldet, weil er sein Bett bei sich haben wollte. So kämpfte er im israelischen Unabhängigkeitskrieg. Dann ein Schnitt. 1951 ging er nach Belfast und studierte Wirtschaftswissenschaften. Nach seinem Abschluss ging er in die Industrie. 1957, im Alter von 30 Jahren, schlug er eine Beförderung in den Wind und entschied sich für ein Studium am Leo-Beck-College. Er erzählte einmal, dass ihm damals gar nicht bewusst war, dass das College damals vollständig neu eröffnet worden war und er zum ersten Abschlussjahr gehören würde.
Sein Weg führte ihn dann nicht nach Deutschland – warum auch? Er blieb in Großbritannien und wurde Rabbiner in Leeds. In den deutschsprachigen Raum kam er 1971. Bis 1978 war er Rabbiner in Genf und gründete anschließend »Or Chadasch« in Zürich mit. Später wechselte er nach Göteborg. 1983 wurde er Rabbiner in Hannover. Damals war das Thema »liberal« versus »orthodox« noch nicht sonderlich präsent und so gab es auch nur eine gemeinsame Rabbinerkonferenz – wenngleich es während seiner Zeit in Hannover in der dortigen Synagoge durchaus zu hitzigen Diskussionen gekommen sein soll. Das dürfte dann die Zeit des Umbruchs gewesen sein. Das Wachstum der Gemeinden sorgte auch für eine interessante Mischung in den verschiedenen Rabbinaten des Landes. 1995 kam er dann als Landesrabbiner nach Dortmund.
Dass nach der Zeit in Dortmund nur noch der Ruhestand folgen sollte, war natürlich »Understatement«, denn er wurde anschließend noch Rabbiner von Augsburg und pendelte zwischendurch zur Jüdischen Gemeinde Bielefeld. Als wir, kurz vor den Hohen Feiertagen, telefonisch miteinander sprachen, verabredeten wir uns für eine persönliche Begegnung »direkt nach der Pandemie«. Ich schlug ihm vor, ein Podcast anzugehen. Im Laufe der Zeit hatte er einen großen Vorrat an Draschot angesammelt und sicher sei es, gerade heute, interessant, (auf) seine Stimme zu hören. Eine Stimme, die sich nicht unbedingt festlegt auf (oder für) eine bestimmte jüdische Strömung. Ich wollte die Idee noch mit jemand anderem besprechen, aber wie das manchmal so ist: Die Zeit fliegt und die Idee blieb eine Idee.
Einige Einschätzungen von Ereignissen und Personen haben wir geteilt – miteinander – nicht mit Dritten. Im Hinblick auf das Judentum haben wir die Idee geteilt, dass die Auseinandersetzung mit Inhalten und deren Diskussion ein wichtiger Faktor für tatsächliches jüdisches Leben seien. Über die Ausführung waren wir vermutlich unterschiedlicher Meinung – das war aber nie ein Thema. Unbezahlbar der Blick, als ich ihm einmal ein »Sefer Rasiel« mitbrachte.
Nun hat sich die letzte Tür tatsächlich für immer hinter ihm geschlossen. Rabbiner Henry Brandt starb am 7. Februar 2022 im Alter von 94 Jahren. Möge seine Erinnerung ein Segen sein.
Der beliebte Kabarettist Florian Schroeder amüsierte sich am 27. Januar anscheinend über Antisemitismus-Vorwürfe gegen seine Kolleginnen Lisa Fitz und Lisa Lasselsberger. Diese Haltung ist natürlich nicht hilfreich, um gegen Antisemitismus etwa zu tun. Den gesamten Kommentar findet man in der Jüdischen Allgemeinen:
Ist es Zufall, dass auch sein Kollege Serdar Somuncu, mit dem Florian Schroeder für den RBB einen gemeinsamen Podcast produziert, mit seltsamen Thesen zur Corona-Politik aufgefallen ist? Jener Somuncu, der 2018 über Oliver Polak schrieb: »Sein Jüdischsein wurde dabei mehr und mehr zum einzigen Schutzschild für zahlreiche peinliche Ausfälle, während der erwünschte Durchbruch ausblieb«?
Was die Weisen über das Zug- und Reittier lehrten und warum es zunächst das Tier der »Anderen« war. Den Volltext in der Jüdischen Allgemeinen gibt es hier:
Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Richter am höchsten Gericht des Vatikans, hat in letzter Zeit, sagen wir mal, seltsame Ansichten in die Welt gesetzt. »Finanzkräftigen Eliten« spielten da eine Rolle. Dass dieses Problem nicht nur sein eigenes ist, habe ich für die Jüdische Allgemeine aufgeschrieben. Den Volltext gibt es hier:
Der Deutschlandfunk hat gefragt, ob das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben« ein Erfolg war. Abraham Lehrer (Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, Vorstandsvorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST) und Vizepräsident des Zentralrats), der sich im Verein von »1700 Jahre« engagiert, hat diese Frage positiv beantwortet. Ich durfte ein paar vorsichtige Gedanken beisteuern.
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