Weil es an Antisemiten und Antisemitismus nicht mangelt, mangelt es auch nicht an Büchern zu diesem Thema. Etwa alle zwei Monate erscheint eines (siehe Liste unten). Einige Texte flehen beinahe um Empathie, andere dokumentieren Eruptionen der Gewalt. Wieder andere versuchen die neue Kälte zu vermessen. Allen ist gemeinsam: Sie werden in den gleichen Ring von Rezipienten geworfen. Klingt hart, ist aber so. Darüber hinaus wird einfach niemand erreicht. Es will auch niemand erreicht werden.
Nun folgt Rafael Seligmanns »Keine Schonzeit für Juden« und reiht sich brav ein. Die Besonderheit an diesem Titel? Der Titel erinnert an Juna Grossmanns »Schonzeit vorbei«. Die Frage sei erlaubt, ob die beiden Titel semantisch überhaupt signifikant voneinander abweichen. Hier ist die Schonzeit beendet und im anderen Titel gibt es aktuell keine.
War also eine gewisse Form der Herablassung beabsichtigt? Hält der Autor sich für so bedeutend, dass ihm (oder dem Verlag), nicht in den Sinn gekommen wäre, diesen naheliegenden Titel zu recherchieren? Oder war der Titel bekannt und die Autorin wurde für so unbedeutend gehalten, dass man es nicht für nötig hielt, an dieser Stelle darüber nachzudenken, dass ein weiterer »Schonzeit« Titel vielleicht keine herausragende Idee sein könnte?
Was ist also hier passiert? In den Buch von Seligmann heißt es »Dieses Buch soll dazu beitragen, dass wir alle uns besser verstehen«. Wäre doch charmant, auf der Mikroebene mit gutem Beispiel voranzugehen? Die Schonzeit für einen fairen Umgang miteinander scheint also auf jeden Fall beendet.
Ja. Der herausgebende Verlag (Herder) wurde dazu befragt, hat sich jedoch dazu nicht äußern wollen.
Service: Bücher zum Thema aus den letzten Monaten
- Sechs Millionen, wer bietet mehr? Ben Salomo und Christoph Lemmer zu Judenhass an deutschen Schulen, Oktober 2025
- Juden auf dem Platz, Juden auf den Rängen: Jüdische Lebenswirklichkeiten und Antisemitismus im Fußball heute, von von Monty Ott und Ruben Gerczikow, September 2025
- Der 8. Oktober, von Eva Illouz (September 2025) Dieses Buch klingt recht vielversprechend, weil es zeigen soll, wie von Identitätspolitik und Poststrukturalismus inspirierte Theorien zum Nährboden für ein Denken werden konnten, das Israel zum Symbol für Imperialismus und Kolonialismus machen.
- Lauter Hass: Antisemitismus als popkulturelles Ereignis, von Lukas Geck und Maria Kanitz, August 2025
- Gleichzeit, von Marianna Salzmann und Ofer Waldman, April 2024
- Antisemitismus in Deutschland: nach dem 7. Oktober 2023 von Olaf Glöckner und Günther Jikeli, März 2025
- Judenhass im Kunstbetrieb: Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023 von Matthias Naumann, Jakob Baier, Ole Frahm, Jonathan Guggenberger, Stella Leder, Benno Plassmann, Alexander H. Schwan, Esther Slevogt, Dana von Suffrin, Lea Wohl von Haselberg, Oktober 2024
- Antisemitismus reloaded: Die Linke, der Staat und der 7. Oktober, von Dietrich Schulze-Marmeling, April 2024
- Siebter Oktober Dreiundzwanzig: Antizionismus und Identitätspolitik, von Vojin Saša Vukadinović (Herausgeber) April 2024
- Deutsche Lebenslügen: Der Antisemitismus, wieder und immer noch, von Philipp Peyman Engel und Helmut Kuhn, März 2024
- Judenhass: 7. Oktober 2023, von Michel Friedman, Februar 2024
- Nie wieder? Schon wieder!: Alter und neuer Antisemitismus, von Michael Wolffsohn, Januar 2024.
- Nach dem 7. Oktober: Essays über das genozidale Massaker und seine Folgen, herausgegeben von Klaus Bittermann, mit Beiträgen von (einige Autorinnen/Autoren tauchen mit eigenen Werken in dieser Liste auf) Doron Rabinovici, Jeffrey Herf, Claudius Seidl, Seyla Benhabib, Volker Weiß, Natan Sznaider, Eva Illouz, Meron Mendel, Thomas von der Osten-Sacken, Christoph Koopmann, Sina-Maria Schweikle, Kira Kramer, Sofia Dreisbach, Nele Pollatschek, Nikolai Klimeniouk, Detlef zum Winkel, Deborah Hartmann, Armin Nassehi, Günther Jikeli, Philipp Lenhard, Tobias Ebbrecht-Hartmann, Ulrich Gutmair, Wolfgang Kraushaar, Deniz Yücel, Daniel-Dylan Böhmer, Ralf Fücks, Oliver M. Piecha, Januar 2024