Wer sich nicht mit dem Auto auf dem Weg zur Frankfurter Buchmesse machte, wurde daran erinnert, dass den Juden der 7. Oktober noch immer übel genommen wird. Denn draußen vor dem Messegelände wurde auch noch während des Waffenstillstands gegen Israel demonstriert. Drinnen blieb es ruhig, aber einige ausländische Verlage haben Titel präsentiert, die mindestens einen »Genocide« thematisierten und auch die philippinische Schriftstellerin Patricia Evangelista ließ während ihrer (ansonsten eindrucksvollen) Präsentation des Buches »Some people need killing« das Thema in einem Nebensatz einfließen.

Auf dem Stand mit den schönsten Büchern des Jahres 2025 hatte jemand alle israelischen Bücher auf den Kopf gestellt. Ein Statement?

Zugleich sind die Leserinnen und Leser erstaunlich jung. BookTok hat dafür gesorgt, dass die jüngeren Leute wieder lesen und das sind nicht nur die einschlägigen »Young Adult« und »New Adult Romance« Bücher. Caroline Wahl steht gleich zweimal auf der Bestenliste, Ken Mogis »Ikigai« ebenfalls. Farbschnitte sind en vogue und es wird über Literatur gesprochen. Plötzlich startet eine App namens Reado durch, die Lektüre gamifiziert. Leserinnen und Leser dokumentieren für andere ihren Lesefortschritt und tauschen sich über die Inhalte aus.

Gibt es »Romance« Bücher mit jüdischen Protagonisten? Für Erwachsene offenbar schon. Jedenfalls in englischer Sprache. Warten wir auf den großen Durchbruch auf BookTok für ein jüngeres Publikum.

Und die 1½ deutschsprachigen jüdischen Verlage, die auf der Buchmesse präsent waren?

Der Ariella-Verlag präsentierte auf einem kleinen Stand das aktuelle Programm. Etwa ein Buch über eine Täterfamilie (Claudia Fritz, »Wie eine tickende Zeitbombe«), ein Bilderbuch über einen Mirabellenbaum (Cesar Harasimowicz, Mirabelka), ein Buch von Eva Szepesi (»Ich war Eva Diamant«) aber auch ein Buch namens »Gute Nachricht«. Das klingt irgendwie christlich und das ist es auch: »Gute Nachricht. Geschichten von Jesus für Kinder fair erzählt«. Da macht sich Ratlosigkeit breit. Wäre das nicht Stoff für einen christlichen Verlag? Herder? Es soll wohl über Jesus erzählen ohne antisemitisch zu sein. Jedenfalls sollte ein Verlag, der eine Torah für Kinder anbietet, vielleicht kein Buch über Jesus bewerben.

Das Angebot des Jüdischen Verlags

Betrachten wir den ½ Verlag: Der »Jüdische Verlag« bei Suhrkamp ist kein eigenständiger jüdischer Verlag, sondern ein Imprint für jüdische Themen. In Kürze wird eine neue Ausgabe des Jüdischen Almanachs erscheinen zum Konzept der Zeit: Zeit im jüdischen Kontext Die Beiträge spannen einen Bogen von den Ursprüngen des jüdischen Kalenders bis zur Endzeit, von der Olam Habah bis zur Frage, wie G-tt selbst seine Tage einteilt (die Talmudstelle kennen vielleicht einige). Aber es geht auch um die dunkleren Seiten der Zeit: Verfolgung, Wartezeiten in der Emigration, Zukunftsängste – und die Frage, ob verlorene Zeit sich je zurückgewinnen lässt.

»Die Bibelübersetzung von Buber-Rosenzweig« wird die Geschichte der Bibelübersetzung von Buber und Rosenzweig erzählen (wie der Name andeutet). Vielleicht etwas nerdy als Thema, aber ein guter Einblick in die Diskussionen der Zeit. Ben Salomo (mit Christoph Lemmer) berichtet in »Sechs Millionen, wer bietet mehr?« über seine Tour durch deutsche Schulen.

Bei Suhrkamp ebenfalls jüngst erschienen ist »Der 8. Oktober« von Eva Illouz. Sie gilt nicht als begeisterte Unterstützerin der israelischen Regierung, eher als scharfe Kritikerin und beschreibt in diesem Buch ihren Bruch mit der »Linken«, die nach dem 7. Oktober keine Veranlassung sah, um die Opfer zu trauern.

Das Israeli Institute for Hebrew Literature

Und im Land des 7. Oktober? Israelische Literatur hat etwas zu erzählen. Die Lizenzen für neu erschienene Bücher sollten sich eigentlich ohne großes Zutun verkaufen, aber dennoch wirbt das Israeli Institute For Hebrew Literature für aktuelle hebräische Bücher oder anders formuliert: muss für die Bücher werben. Der Stand befindet sich am Rand der Halle und ist am Donnerstagnachmittag der einzige, der auch Wein im Angebot hat. Neben guten Büchern natürlich. Vorgestellt wurden:

  • »Drei Tage im Sommer« (שלושה ימים בקיץ) ist bereits das achte Buch von Yossi Avni-Levy über ein fiktives litauisches Schtetl im Sommer 1941. Avni-Levy schildert die Atmosphäre in jenem Sommer mit einigen Figuren aus dem Schtetl in jenem Sommer, der der letzte sein würde. Wir treffen einen ambitionierten Schriftsteller, der aber noch als Lehrer arbeiten muss, eine Hexe, einen gerissenen Kolchosenleiter mit einer Affäre und einer Frau, die ihn sowieso verlassen wird und ein paar andere Figuren.
  • »Die südliche Linie« (הקו הדרומי) von Eran Bar-Gil erschien 2024. Ein Transjungendlicher wird Soldat der Tzahal und muss am 7. Oktober einen Kibbuz verteidigen, während seine Freunde auf dem Nova-Festival getötet werden.
  • »Es gab Zwei die nichts zu tun hatten« (היו שניים בלי תפקיד) von Tamar Raphaeli über Jiftach und Elinor. Die beiden leben in einer Stadt am Meer. Ellinor möchte schreiben, doch sie schafft es kaum zu lesen. Jiftach ist parlamentarischer Berater eines langjährigen Abgeordneten einer »vernünftigen« Partei, diese hat jedoch keine Option auf Regierungsbeteiligung. Die heranbrechende Zeit sorgt dafür, dass zwischen ihnen und mit der Umgebung Spannungen entstehen, die eigentlich nicht überbrückt werden können.
  • »Da kommt keiner, keiner ist unterwegs, und es wird auch keiner kommen.« (אף אחד לא בא, לא בדרך, לא יבוא) eine umgekehrte Coming-of-Age Geschichte von Oded Carmeli. Hier ist die Erde eine Sandbank auf der man festsitzt und niemand kommt zur Hilfe. Ein Text, der zwischen einer flüchtigen, fiebrigen Aufzeichnung und einer philosophischen Abhandlung oszilliert, zwischen einem Tic-Ausbruch und einem Gebet. Der Protagonist will zur eigenen Rettung ein Raumschiff aus den verfügbaren Materialien bauen und scheitert. Er wird kein Astronaut.

Relevante Literatur, die etwas zu sagen hat. Hoffen wir, dass wir sie bald übersetzt lesen können.