Sparen wir uns doch einen komplexen Einstieg mit der Erklärung, wie wichtig der »Aufbau« historisch war und wer alles für den Aufbau schrieb. Das kann man in wenigen Sätzen ohnehin nicht angemessen darstellen. Deshalb spulen wir vor. Ende 2004 erwarb der Zürcher Verlag Jüdische Medien AG die Verlagsrechte der Zeitung und das Archiv. Die Jüdische Medien AG gibt auch die Zeitschrift Tachles heraus. Tachles informiert regelmäßig die Schweizer über das jüdische Leben im eigenen Land, in Israel und dem Rest der Welt. Als im Januar 2025 der »neue« Aufbau angekündigt wurde, änderte das nichts an der Konstellation. Es wechselte lediglich der Herausgeber. Dies ist nun Michel Friedman und das lässt natürlich die Erwartungen steigen. Eingebettet bleibt die Zeitschrift bei Tachles. Und das zwingt mich, den Autor dieser Zeilen, zur Offenlegung eines Interessenskonfliktes. Vor einigen Jahren durfte ich zum Thema Mitgliederentwicklung auf einer Onlineveranstaltung sprechen. Eingeladen war auch der Besitzer und Herausgeber des Tachles. Als Kommunikationsprofi fiel es ihm leicht, mir in der virtuellen Lobby der Veranstaltung nahezu nonverbal deutlich zu machen, dass meine Anwesenheit für ihn anscheinend eine Zumutung bedeutete. Man muss als Profi wissen, wen man herablassend behandeln kann und wen man hofieren muss. Deshalb konzentrieren wir uns hier auf den Herausgeber und nicht auf den Verlag. Der bekannte Name Michel Friedman ist aber auch ein gern gesehener Gast bei Tachles und moderiert dort einen Podcast. Auch die Autorin Sibylle Berg gehört als großer Name zu den Kolumnisten der Zeitschrift. Übrigens galt mir Sibylle Berg als scharfsinnige Beobachterin dessen, was zwischen Menschen passiert. »Der Mann schläft« (2009) war ein gutes Beispiel dessen. Seitdem sie der Partei »DIE PARTEI« beigetreten ist und mit Martin Sonneborn im Europaparlament sitzt (euphemistisch gesprochen: kein besonderer Freund Israels), scheinen die richtigen Beobachtungen zu den falschen Schlussfolgerungen geführt zu haben. Jedenfalls gehört sie nicht zu den Fans militärischer Unterstützung der Ukraine und hat das bei 𝕏 auch gerne kommuniziert (fast alle Beiträge auf die ich reagiert habe, sind nicht mehr bei 𝕏 verfügbar, siehe hier oder hier – warum?).

Beide Informationen behalten wir im Hinterkopf, wenn wir nun in den »neuen« Aufbau schauen.

Das titelgebende Thema des gesamten Magazins ist »Auschwitz«. Für den Monat Januar 2025 bietet sich das an. 80 Jahre nach der Befreiung.

Neben einem »Spektrum« mit gemischten kurzen Meldungen (archäologische Funde, eine Hans Josephsohn Retrospektive in Paris), das ganz klar einen Magazincharaker hat, gibt der Titel die Richtung vor. Wir finden Beiträge von oder mit Bärbel Bas (ein Gespräch über die Demokratie), Wolf Biermann, Ivan Lefkovits, Ari Folman, Anetta Kahana, Raphael Gross, Thomas Sparr, Alice Brauner, Robert Menasse, Andreas Mink und Doug Chandler. Kolumnisten sind Michel Friedman, Sibylle Berg, Monica Strauss und Yves Kugelmann, der den Tachles herausgibt.

Stark ist ein Text über Karl Kuby und Walter Levy, Freunde aus den USA und Überlebende der Schoah. Einer wählt Trump, der andere lehnt ihn ab. Dann folgt ein Text über Auschwitz (Raphael Gross), einer über das, was der Horror über die Generationen hinweg angerichtet hat (Ari Folman) und Thomas Sparr (Suhrkamp Verlag) doziert »Über das Gedächtnis der deutschsprachigen Literatur nach 1945«. Es folgen Bildseiten mit Bildern von Gerhard Richter unter dem Titel »Birkenau«. Robert Menasse widmet sich dann einem ähnlichen Thema wie Raphael Gross. Wolf Biermann schreibt über das »Dichten nach Auschwitz«. Der Überlebende Ivan Lefkovits beschreibt, wie man mit der Last der Geschichte lebt. Alice Brauner schreibt zu Filmen über die Schoah. Annetta Kahane schreibt über heutigen Antisemitismus und Auschwitz. Dann folgt eine Rückschau über das, was einst im Aufbau über Auschwitz geschrieben wurde. Doug Chandler hingegen schreibt über Trump und seine Haltung zu marginalisierten Gruppen. Sibylle Berg beschreibt in ihrer Kolumne, wie es online zum Hass kommt und wie sich Gruppen bilden, die dieses oder jenes ablehnen. Ein Text der durchaus Sinn ergibt, wenn man bei den Sätzen

Seien wir wachsam. Beobachten wir nicht den Hass im Netz, die Entgleisungen von Politikerinnen, Hass und Entmenschlichung von jenen, die wir – warum auch immer – als Feinde definieren, wächst in jedem Einzelnen von uns.
Aufbau, Ausgabe 1/2025, Seite 83

nicht daran denken müsste, dass sie die Unterstützer der Ukraine meinen könnte, die den Angreifer ablehnen oder die Verteidigung unterstützen (siehe YouTube).

Yves Kugelmann geht dann in seiner Kolumne der Frage nach, wem Auschwitz heute gehören könnte. Paul Celans »Todesfuge« ist übrigens auch im Magazin abgedruckt.

Was machen wir nun damit? Wären nicht ein paar Texte im Magazin, die nicht zum Titelthema passen und würden die Magazinelemente fehlen, könnte man auf die Idee kommen, dass ein monothematisches Magazin ganz klar und offensichtlich alle Texte und Bilder versammelt, die mit dem Titel in Verbindung stehen. Eine Anthologie, wenn man so will. Jeder der Texte ist für sich auch interessant. In der geballten Form bleibe ich als Leser aber ratlos, ob ich als Leser, also als Zielgruppe, gemeint bin. Die Auswahl der großen Namen (also der Autoren) und die Bebilderung mit Gerhard Richter, lassen darauf schließen, dass man ein älteres Publikum im Blick hat. Die langen Schlangen vor dem Düsseldorfer Kunstpalast im Winter 2024/2025 (Gerhard Richter Ausstellung) geben Auskunft darüber, welches Publikum wohl auch zum neuen Aufbau greifen sollen: Eventuell nach einem einträglichen Berufsleben (mal kurz nach Paris fliegen, um die Retrospektive von Josephsohn zu sehen) – man hat es geschafft – im Ruhestand angekommen und hält sich nach dem regelmäßigen Schauen von »aspekte« für ausreichend gebildet, um mitsprechen zu können. Beim Aufbau kommt noch ein Grundinteresse für »jüdisches« hinzu. Für ein jüdisches Publikum wird zu viel wiederholt, erklärt, offensichtliches (Antisemitismus ist lebendig!) erläutert. Für ein jüngeres Publikum fehlt einfach die Hinwendung zu aktuellen Themen und die popkulturellen Referenzen. Keine aktuelle Literatur, keine aktuellen Namen, keine Hinwendung zu denjenigen, die sich zwischen der jüngeren und der älteren Generation finden.

Der »neue« Aufbau hat vielleicht einen neuen Herausgeber – aber der setzt auf die sichere Spielvariante. Etablierte, ja, große Namen. Kein Risiko. Keine Reibung. Und genau das hatte ich mir von Michel Friedman erhofft. Intelligente Reibung. Für mich steht genau das hinter der Marke »Michel Friedman«. Mut zu etwas »Neuem« und das ist dann am Ende etwas enttäuschend. Eine Ausgabe nicht rechtzeitig gelesen zu haben, wird vermutlich nicht die Angst auslösen, etwas wichtiges verpasst zu haben.

Ich kann das Bedauern darüber ausdrücken, denn ich kenne ihn nicht persönlich. Und sehr wahrscheinlich werden sich Michel Friedman und ich uns auch niemals kennenlernen. »Never meet your idols« heißt es. Deshalb müssen wir umsichtig sein. Michel Friedman wäre sicherlich enttäuscht von mir.

Die Onlinepräsenz des neuen Aufbau ist hier zu finden aufbau.eu.