Die Niederlande sind, wenn man aus dem Ruhrgebiet schaut, ein sehr nahes Nachbarland und dennoch ist das »jüdische Biotop« dort ein vollkommen anderes. Selbst für viele Jüdinnen und Juden aus dem Ruhrgebiet war es neu, dass es jährlich in der wunderbaren Synagoge von Enschede einen »Matzemarkt« gibt. Die Synagoge ist groß, die Gemeinde nur noch sehr klein. Der Matzemarkt findet dort statt, weil in Enschede auch die Matzenfabrik »Hollandia« ist. Sie versorgte »früher« auch die Gemeinden in Westfalen mit. In vielen Städten haben Synagogen überlebt, allerdings die Gemeinden nicht. In den Jahren nach der Schoah gab es dann praktisch keine große Zuwanderung. Die Zeiten scheinen sich aber auch dort zu ändern.

Die Synagoge von Enschede

Nun hat das »JPR« das Institute for Jewish Policy Research, im Auftrag des »Joods Maatschappelijk Werk« (JMW, grob vereinfacht gesagt: die niederländische ZWST) eine demografische Studie zur jüdischen Community im Land durchgeführt. Die wichtigste Frage ist natürlich: Wie viele Juden leben in den Niederlanden? Die Untersuchung zeigt, dass 35.000 Jüdinnen und Juden derzeit in den Niederlanden leben. 65.000 wären es, wenn man eine »breitere« Definition anlegt. Die Untersuchung hat aber gezeigt, dass die Zahl der Jüdinnen und Juden in den Niederlanden leicht ansteigt. Hier müsste man mehrere Ausrufezeichen setzen, denn das ist in den anderen europäischen Ländern anders. Warum? Die Antwort lautet hier wohl: israelische Zuwanderung. Diese Zuwanderung wird die kleinen aschkenasischen Gemeinden wohl auch nachhaltig verändern. Simone Kukenheim vom JMW nannte diesen Trend »weniger gefillte Fisch und mehr Hummus« als sie die Ergebnisse am 13. Januar, in der Amsterdamer Uilenburger Synagoge präsentierte.

35.000?

Das setzen wir mal kurz ins Verhältnis. Die Niederlande haben etwa 18 Millionen Einwohner. Deutschland hat etwa 84,4 Millionen Einwohner. In den Niederlanden kommen also auf 1.000 Einwohner etwa 1,94 Jüdinnen und Juden. In Deutschland kommen auf 1.000 Einwohner etwa 1,07 Jüdinnen und Juden. Relativ betrachtet, leben in den Niederlanden mehr Jüdinnen und Juden als in Deutschland. Das dürften sogar mehr Jüdinnen und Juden sein, als es in Deutschland ohne die Zuwanderung aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion gegeben hätte. 1986, also drei Jahre vor dem Beginn der Zuwanderung, gab es in Deutschland ungefähr 30.000 Jüdinnen und Juden (diese Zahl meldete die ZWST im »Jüdischen Pressedienst« Nr. 7/8 von 1987).

Es ist nicht sehr überraschend, dass die meisten Jüdinnen und Juden im Großraum Amsterdam wohnen. Tatsächlich pendeln auch Menschen aus Amersfoort ein.

In der Werktagssynagoge der Portugiesischen Synagoge

Breitere Auslegung?

Was bedeutet die »breitere« Auslegung? Die Zahl 35.000 bezieht sich auf Menschen, die sich selbst als jüdisch identifizieren – tatsächlich sind von diesen wohl rund 80 Prozent auch halachisch jüdisch. Die »zusätzlichen« 30.000 Menschen haben angegeben, einen »jüdischen Hintergrund« zu haben, identifizierten sich aber nicht als jüdisch. Innerhalb dieser Gruppe gibt es auch halachische Juden. Rund 20% der niederländischen Juden kommen aus Israel und 33% haben einen »israelischen« Hintergrund, sind also in Israel geboren oder haben israelische Eltern. Diese Gruppe sieht das JPR langsam wachsen. Ohne die israelische Zuwanderung sähe es in den Niederlanden aus, wie in allen anderen europäischen Ländern. Allerdings scheinen die niederländisch-jüdischen Frauen weniger Kinder zu bekommen, als die nichtjüdischen Frauen. 1,49 Kinder bekam die „Durchschnittsmutter" 2022 und 1,3 Kinder die Durchschnitts-jüdische-Mutter.

Die Synagoge von Nijmegen

Die Altersstruktur

»Nur« 25 Prozent aller Jüdinnen und Juden sind über 65 Jahren (in Deutschland sind es um die 60 Prozent), 61 Prozent sind zwischen 15 und 64 Jahre alt. 12 Prozent sind unter 15 Jahren. Die Entwicklung dürfte also auch hier von der deutschen abweichen.

Auf die niederländischen Gemeinden haben diese Zahlen zunächst gar keine Auswirkungen. Nur 22 Prozent aller Jüdinnen und Juden sind überhaupt Mitglied einer jüdischen Gemeinde. 15 Prozent entfallen auf orthodoxe und 8 Prozent auf nichtorthodoxe Gemeinden. Trotzdem gibt es ein paar Dinge, die Jüdinnen und Juden nicht missen möchten – auch das geht aus der Untersuchung hervor: 65 Prozent gaben an, regelmäßig an einem Seder teilzunehmen, 44 Prozent zünden am Freitagabend Kerzen und ebenfalls 44 Prozent fasten an Jom Kippur.

Wer mehr schnell erfahren möchte, kann sich hier ein (niederländisches) Factsheet herunterladen. Es präsentiert die wichtigsten Punkte.

Wer wirklich alles über die Studie lesen möchte, kann sich hier das englischsprachige Dokument herunterladen.

Oder hier auf den Seiten der JMW.