»Kostümjude« ist kein besonders elegantes Wort. Vielleicht weil es so anschaulich ist und unmittelbar das Bild einer Person aufruft, die sich irgendwie jüdisch verkleidet hat. Also je nach Vorurteil. In letzter Zeit geistert es wieder durch die Webseiten. Henryk Broder, der sich als Provokateur gefällt, hat es mehrfach verwendet und vielleicht war er es, der es wieder in den Diskurs eingebracht hat. Vor 2012 scheint der Begriff nicht sehr häufig verwendet worden zu sein. 2012 erscheint er in einem Artikel für die WELT.
Die Spur führt ins Archiv, nicht ins Feuilleton
Die Reise führt tief ins Archiv, aber der jetzt entstehende Zusammenhang gibt dem Begriff »Kostümjude« eine weitere Dimension: Wir begegnen dem Wort erstmalig 1971 bei Helmut Jenzsch. In seiner etwas sperrigen, aber gründlichen Dissertation »Jüdische Figuren in deutschen Bühnentexten des 18. Jahrhunderts«. Dort beschreibt Jenzsch, wie bei Lessing im Stück »Die Juden« ein paar windige Gestalten sich Bärte ankleben, um als Juden verkleidet einen Überfall zu begehen. Kostümjude – das ist hier ganz wörtlich gemeint: Ein Kostüm, ein Bart, fertig ist der Jude. Authentizität? Geschenkt. Der eigentliche Jude des Stückes ist nicht zu erkennen.
Lessings Vogt und seine Helfer, Krumm und Stich, sind die ersten dokumentierten »Kostümjuden« der deutschen Literatur (und Jenzsch, Jahrgang 1938, hat sie so bezeichnet). Sie spielen den Juden, um den eigenen Herrn zu berauben. Der Vogt Martin Krumm, eine der Verbrecherfiguren, äußert sich dabei besonders perfide antisemitisch und bezeichnet Juden als »g-ttloses Gesindel«, vor dem er als König alle »rechtschaffne Christen« bewahren würde: »ich ließ keinen, keinen einzigen am Leben«.
Und wie das so ist mit schlechten Verkleidungen: Am Ende fliegt alles auf, und der wirkliche Jude entpuppt sich als der Anständige der Geschichte.
Euer Herr will durchaus behaupten, es wären Juden gewesen. Bärte hatten sie, das ist wahr; aber ihre Sprache war die ordentliche hiesige Baurensprache. (Lessing, »Die Juden«, Zweiter Auftritt)
Das ist fast schon Slapstick. Aber eben auch: ein ziemlich frühes Beispiel für Identitätsdiebstahl. Und das lange, bevor irgendjemand auf Facebook oder Twitter seine Herkunft erfand.
Lessing, der alte Fuchs
Kurz gesagt: Das Wort hat Jenzsch geschaffen, auf der Grundlage von Lessings Stück. Wer »Kostümjude« sagt, sollte wissen, dass er auf den Schultern von Lessing und Jenzsch steht. Lessing, der mit seinem Stück eigentlich den Antisemitismus seiner Zeit aufs Korn nahm, hat uns nebenbei ein schönes Bild hinterlassen: Die echten Juden erkennt man nicht am Bart, sondern am Charakter. Die »Kostümjuden« sind meistens ziemlich schlechte Schauspieler. Dahinter scheint in jedem Falle ein »Räuber« zu stecken. Was am Ende der Räuber mitnehmen will, steht auf einem anderen Blatt.