Folgende Ausgangslage: Du bist jemand, der sich für Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Fortschritt einsetzt. Du wirbst für »Aufmerksamkeit«, oder dafür, nicht zu schweigen. Jan Böhmermann forderte im ZDF Magazin Royale (vom 8.11.2024) auf: »Rückgrat zeigen!« Hier könnte man mit der Phrase »eigene Nase« (siehe hier, 2018 hat das nicht so gut funktioniert mit dem Rückgrat) antworten.
Oder die katholische Kirche. Erst kürzlich wurde im Vatikan eine weihnachtliche Szene gezeigt, gestaltet von Künstlern aus den palästinensischen Autonomiegebieten, in der das neugeborene Kind auf einer Kufiya liegt (siehe etwa den Bericht der Times of Israel). Wie das ZDF-Auslandsjournal zeigte (Sendung vom 18.12.2024), hat wohl einer der Künstler diese unter das Kind gelegt. Wo wir gerade dabei sind: Der Beitrag des ZDF ist ein hervorragendes Beispiel für eine Dramaturgie, bei der das eigentliche Problem übermalt wird mit einer anderen Erzählung. Der eigentliche Skandal hinter der Geschichte ist, neben der klaren Positionierung der Kirche, dass hier eine neue Erzählung über das Land Israel (nicht »Staat Israel«, der entstand ja erst später) gesetzt werden soll, in der die Bewohner schon immer Palästinenser im Sinne der heutigen Palästinenser gewesen seien – im Gegensatz zu den »fremden« Zionisten: Jüdinnen und Juden sollen aus der Geschichte langsam verdrängt werden. Eine ideologische Flankierung von »Free Palestine« und eigentlich kein Beitrag zu einem friedlichen Miteinander, bei dem betrachtet wird, wie die Situation heute ist und wie »beide Seiten« in Zukunft nebeneinander leben können. Mit dem »Nebeneinander« sollten wir uns alle zunächst abfinden. Dass Jesus Jude war, wird dabei ebenfalls etwas ungeschickt überspielt. Der war zur Not »palästinensischer Jude« (dieser Dreh taucht im ZDF-Beitrag übrigens auch auf). Im Beitrag des ZDF wird aber zunächst die Geschichte der guten Menschen erzählt, die die Krippenszene hergestellt haben und wie wichtig es für sie ist, dass sie die Aufmerksamkeit erhalten. Am Ende würde niemand die Aufregung verstehen und wie schade es sei, dass niemand mehr über die künstlerische Qualität der Ausführung spreche. Ein israelisch-jüdischer Protagonist darf dagegenhalten. Leider sind seine Ausführungen etwas zu knapp gehalten, so dass die eigentliche Problemlage gar nicht angeschnitten wird – aber das gehörte wohl zu angesprochenen Dramaturgie.
Warum wird das hier so breit ausgeführt?
Weil es hier darum geht, Dinge nicht unwidersprochen hinzunehmen. Wer sollte das tun? Richtige Antwort: Die Katholische Kirche selber hätte die Diskussion führen müssen. Statt dessen titelt katholisch.de: »Vatikan-Krippe zeigt Jesus auf Palästinensertuch – Rabbiner empört«. Oder um hier Kapitän Jack Sparrow frei zu zitieren: Es wird einen Augenblick geben, das Richtige zu tun. Ich mag diese Augenblicke und ihnen zuzuwinken – wenn sie vorüberziehen. Das hätte zu einer Diskussion innerhalb der Kirche nach dem 7. Oktober führen können. Letztendlich wurde wieder auf die Befindlichkeiten von Jüdinnen und Juden verwiesen. Der erste Widerstand gegen die Verzerrung von Geschichte hätte aus den eigenen Reihen kommen müssen.
Oder die Evangelische Kirche: In Darmstadt veranstaltete eine Kirchengemeinde am 15. Dezember einen »Anti-kolonialistischen – Friedensweihnachtsmarkt« (so stand es auf dem Flyer). Mitorganisiert von einer Gruppe namens »Darmstadt4Palästina«. Kenner der Szene ahnten schon, dass es wohl nicht dabei bleiben würde, auf die Situation aufmerksam zu machen und so kam es dann anscheinend auch. Rote Hamas-Dreiecke wurden als Schlüsselanhänger angeboten, der 7. Oktober 2023 solle im »Kontext der jahrzehntelangen Gewalt gegen Palästina« betrachtet werden. Kleine Darstellungen des geographischen Umrisse Israels in den Farben der palästinensischen Bewegung (ein Meinungsbeitrag dazu hier, JA). Nachdem das alles an die Öffentlichkeit gelangte, folgte dann die Stellungnahme des zuständigen Pfarrers. Betitelt mit »Im Dialograum hat Antisemitismus keinen Raum«. Dass »Raum« zweimal auftaucht, ist bemerkenswert. Vielleicht hörte sich die Überschrift »Um Dialograum hat Antisemitismus keinen Platz« dann zu phrasig an. So schreibt der Pfarrer:
Keine Toleranz dagegen gibt es bei uns für Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Die Achtung und Verteidigung der Menschenrechte sind uns zentrales Anliegen.
Man beachte: Anschließend. Er könnte aber auch einen Viertel Punkt machen:
Ein Journalist hat diese Symbole fotografiert und veröffentlicht. Hätte er mich bzw. die Ausrichter des Weihnachtsmarktes auf diese Symbole hingewiesen, wären diese unmittelbar von dem Weihnachtsmarkt entfernt worden.
Vor der Skandalisierung steht natürlich immer die Gelegenheit es besser zu machen, gerade dann, wenn man aus Unkenntnis etwas Falsches tut. Nur hier sehen wir erneut das Problem: Es muss doch niemand von außen kommen, um zu erkennen, dass hier etwas nicht stimmt? Konnte man das nicht selber erkennen? Erst tätig werden, wenn man dazu gedrängt wird?
So kommen wir nicht voran. Wenn Du Dich, praktisch ja auch aus beruflicher Motivation, für Gerechtigkeit und Fortschritt einsetzt, kann von dir etwas mehr erwartet werden. Das gilt insbesondere für große »gesellschaftliche« und »religiöse« Organisationen. Viel geredet wird schon. Handeln wäre etwas freundlicher.
Übrigens zum Thema »Reden«, hier ein erneuter Verweis auf das »Reaktionen auf Antisemitismus-Bingo«.