Als im Herbst 2023 alles eskaliert – in Israel und in den jüdischen Gemeinden weltweit – saß Deborah Feldman in deutschen Talkshows. Vielleicht, weil man jemanden brauchte, der den Deutschen erklärte, dass Juden auch diesmal bitte nicht laut, nicht wütend, nicht solidarisch sein sollten. Und weil sie das Wort »Judenfetisch« erfunden hatte – ein Begriff, der so klug war, dass niemand bemerkte, wie sehr sie selbst davon profitierte.
Feldman sprach über Sichtbarkeit, über Projektionen, über das Jüdischsein als Spiegel deutscher Neurosen. Und während sie das tat, begann sie auf Social Media ein Spiel, das »so« nur in Deutschland funktioniert: Wer ist jüdisch genug?
In ihrem Buch »Judenfetisch« schrieb sie schon (oder ließ es durch zitierte Personen sagen), dass viele Gemeindemitglieder in Deutschland keine richtigen Juden seien – Konvertiten, Russen, Papierjuden. Dann die nächste Eskalationsstufe. Sie zweifelte öffentlich an der Jüdischkeit von Menschen, die sich für Israel aussprachen. Immer waren es Leute, die ebenfalls sichtbar waren.
Und dann wurde über den Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen recherchiert. Die ganze Geschichte kündigte sich schon lange an. So lange, dass sogar Leute außerhalb der »Berlin Bubble« davon hörten, dass Material gesammelt und Menschen befragt wurden. Die genauen Vorwürfe werden hier nicht erneut ausgebreitet. Das Paradoxon ist ja, dass man die Vorwürfe auch bei Entkräftigung weiter ventiliert.
Dieser Artikel versucht die Entwicklung in relevanten Medien/Kanälen zu begleiten und (subjektiv) zu kommentieren. Falls notwendig mit Aktualisierungen.
20. Mai 2025 – der Auftakt
Auch mit Erscheinen des Artikels war nicht klar, was der eigentliche »Skandal« sein sollte. Das geht auch aus dem Artikel von Deborah Feldman nicht so richtig hervor (weiter unten verlinkt). Dieser sollte die Erstausgabe der neuen »Weltbühne« (kein Link, weil Deeplink nicht möglich) nach vorne bringen. Feldman bewarb den Text auf ihren Social Media Kanälen. Zu den »Early Adaptors«, die das indirekt aufnahmen, gehörte Max Czollek: »Aktuell steht im Raum, dass der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen aus einer Bahai-Familie kommt…« (auf bluesky), nannte die Information »brisant« und schob seine eigene Agenda hinterher. Mehr passierte dann für ein paar Stunden nicht. Auf 𝕏 teilten ein paar Unterstützer von Feldman die Nachricht, aber außerhalb der Netzwerke kam nichts an.
21. Mai
Mit den Social Media Posts hätte die Geschichte eventuell schon enden können. Aber möglicherweise gab es erste Anfragen an den Zentralrat der Juden in Deutschland. Der veröffentlichte am 21. Mai eine kurze Mitteilung dazu: »Kampagne gegen den Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen«. Der Text beschränkte sich auf die wesentlichen Punkte: Zweifel am halachischen Status seien unangebracht, man hätte das auch im Vorfeld der Autorin mitgeteilt. Diese wiederum hat ihren Text so strukturiert, dass man ihn so interpretieren könnte, aber auch so lesen könnte, als sei eine andere Erzählung über die jüdische Identität des Chefredakteurs das Problem. Was wiederum problematisch ist, weil sie den Text mit Fabian Wolff eröffnet und ihn damit wieder an das Licht der Öffentlichkeit brachte.
22. Mai
Weil das alles noch nicht so recht »zündete«, legte die Berliner Zeitung nach und veröffentlichte den Artikel von Feldman auch auf ihren Seiten (hier) »Deborah Feldman: Die Deutsche Lebenslüge« am 22. Mai. Am gleichen Tag machte die Berliner Zeitung daraus einen »Skandal«, obwohl es eigentlich keiner war: »Weltbühne-Skandal um Chefredakteur der Jüdischen Allgemeine«. Die Berliner Zeitung wollte sich hier zur Stellungnahme des Zentralrats positionieren.
Im englischen Sprachraum gibt es für das, was dann passierte, die Umschreibung »the shit hits the fan«. Die ganze Angelegenheit eskaliert, aber in die falsche Richtung und fliegt der Autorin um die Ohren.
Das Feuilleton reagierte tatsächlich. Nicholas Potter beschrieb in der taz unter dem Titel »Der Zweifel am Zweifel« den gesamten Vorgang und führt die Unterlagen auf, die eine zweifelsfreie Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde belegen. Ingo Way nutzte für den Cicero die Gelegenheit, etwas weiter auszuholen »Die Methode Feldman«:
Ihr Lieblingshobby: mehr oder weniger prominenten Juden, die eine etwas andere Meinung zu Israel und Gaza haben als Feldman, ihr Judentum abzusprechen. Diese seien allesamt „Fake-Juden", die ihre Biographie gefälscht hätten… von hier, Cicero
Way argumentiert, dass Feldman offenbar aus ideologischen Motiven handele. Sie schließe diejenigen aus ihrer Definition des Jüdischen aus, die die falschen Meinungen verträten.
Caroline Fetscher erkennt im Tagesspiegel eine »Delegitimierung über genealogische Zweifel« in ihrem Artikel »Feldmans Feldzug: Was ist los mit der Autorin des Bestsellers ›Unorthodox‹?« (Applaus für die Alliteration in der Überschrift) und versucht das Verhalten über Deborah Feldmans Biografie zu erklären.
Michael Hanfeld von der Frankfurter Allgemeinen wirft einen Blick auf das Projekt »Weltbühne« und beschreibt den »hinterhältigen« Angriff (wie er schreibt) durch die Autorin. Er kommt zu dem Schluss:
Die Autorin bedient sich der Technik des Andeutens und Nicht-gesagt-haben-Wollens. Sie schreibt von „Wahrnehmung", blendet Tatsachen aber aus. Am Ende tut sie in vergiftet freundschaftlichem Ton sogar so, als sei das im Sinne Engels. Mit Journalismus hat das nichts zu tun. faz.net, 22.5.2025
In der NZZ schreibt Nathan Giwerzew über die Angelegenheit – ohne einen neuen Twist zu finden. Auch er attestiert das Offensichtliche:
Dennoch sagte Feldman stets, sie fühle sich ausgegrenzt. Sie warf etablierten jüdischen Institutionen in Deutschland vor, sie würden andersdenkende Juden aus dem Diskurs drängen. Nun steht sie selbst dafür in der Kritik. nzz.ch 22.5.2025
Michael Hesse von der Frankfurter Rundschau handelt das Thema nur als einen Artikel von vielen in der Weltbühne an und beschreibt den Artikel als »Geräuschkulisse« (hier). Vielleicht der Versuch, das Thema so klein zu machen, wie es eigentlich war.
23. Mai
Moritz Baumstieger und Ronen Steinke gehen in der Süddeutschen Zeitung etwas mehr ins Detail und schildern in ihrem Artikel »Die Ahnenforscherin« etwas mehr Kontext. Mehr noch: Die beiden haben offenbar nachgefragt, wie sich die Vorwürfe überhaupt untermauern lassen und erhalten lediglich eine Stellungnahme:
Auf die Bitte der SZ zu erklären, ob und wie sie diese Chats verifiziert habe, und auf weitere Fragen zum Fall antwortet Feldman nicht. sz.de 23.5.2025
Aber sie weisen auch auf die tückische Dynamik des Netzes hin, wenn es um Behauptungen geht:
Der Vorwurf, den eigenen Lebenslauf etwas geglättet oder dramatisch zugespitzt zu haben, ist auch Deborah Feldman selbst nicht fremd. Sie hatte großen Erfolg mit einer autobiografischen Erzählung, „Unorthodox", 2017 auch auf Deutsch als Roman erschienen. Darin war auch manches ausgelassen, vereinfacht, übertrieben erzählt, jedenfalls wenn man Kritikern aus ihrer Heimat New York glauben darf. Oder zumindest dem Geraune, das diese ins Internet bliesen – in dem Wissen: Eine Welle der Häme auszulösen, ist ganz einfach. sz.de 23.5.2025
Tobias Rapp schreibt für den SPIEGEL über die Weltbühne und natürlich den Artikel von Feldman. Er macht aus der Weltbühne die »Wutbühne« und kommt ebenfalls zu der Schlussfolgerung »Hier geht es um politische Gegnerschaft.«
25. Mai
Für hagalil.com schreibt Andrea Livnat unter dem Titel »die letzten Masken fallen« über die bisherigen »Enthüllungen« und spricht der JA ihre Solidarität aus und hofft auf Einsicht bei den Beobachtern: »Es bleibt die Hoffnung, dass sich Deborah Feldman damit nun endgültig selbst diskreditiert hat…«
26. Mai
Am 26. Mai legt Mara Delius in der WELT nach. In ihrem Artikel (»der Anwurf«) rekapituliert auch sie die Genese der Geschichte und stellt ebenfalls dar, wie haltlos die Vorwürfe sind. Die Geschichte scheint auserzählt.
Die Jüdische Allgemeine hat auch einen Artikel dazu veröffentlicht (hier). Er fasst die Reaktionen ebenfalls zusammen.
Alan Posener rundet die Angelegenheit in der WELT ab (hier). Er nennt ebenfalls viele Details zur Entwicklung und kommt zu einem plausiblen Schluss:
Dass alle Medien, die darüber berichtet haben, in extenso Feldmans Vorwürfe wiederholen, und sei es nur, um sie anzuzweifeln, zeigt nur, dass sie offenbar das Prinzip der Diffamierung nicht begreifen: Semper aliquid haeret. Etwas bleibt immer hängen. Deborah Feldmann aber sollte man ein paar Jahre lang Ruhe gönnen, um zu sich selbst zu kommen. Sie hat sie sich redlich verdient. welt online 26.5.2025
27. Mai
Evelyn Finger erzählt in der ZEIT davon, dass sie mit Rabbiner Andreas Nachama sprach und gerne mit Philipp Engel gesprochen hätte. Dennoch wurde als Überschrift ein Zitat gewählt und (s)eine Stellungnahme als Abschluss verwendet. Diese fasst das Problem dieser Tage gut zusammen:
Anders als die Israelhasser sei er nicht der Meinung, dass Israel an allem schuld ist. »Das reicht schon, um als Feindbild zu gelten.« ZEIT 23/2025
Ebenfalls in der ZEIT schreibt Michel Friedman über die »Macht des Gerüchts«. Er rekapituliert die Geschichte, hält aber auch fest, dass die Herausgeber der Weltbühne eigentlich die Pflicht gehabt hätten, journalistische Maßstäbe anzulegen. Er geht darauf ein, was das Streuen von Gerüchten anstellen kann und schließt mit der Feststellung, dass die Identität von Philipp Engel kein Gerücht ist und was daraus für die Person folgt, die das Gerücht gestreut hat:
Das ist kein Gerücht. Deborah Feldman jedoch kann nicht mehr ernst genommen werden. Auch das ist kein Gerücht, sondern eine Tatsache. ZEIT 23/2025
28. Mai
Es ist kein echtes Thema, wenn nicht Michael Wolffsohn auch etwas beisteuern würde. Die NZZ gibt ihm unter Überschrift »Wer ist Jude?« die Möglichkeit die gesamte Angelegenheit zu kommentieren. Allerdings ist fraglich, ob er überhaupt weiß, worum es geht. Entweder hat er sich nicht mit der Berichterstattung beschäftigt, oder sie nicht verstanden. Denn Wolffsohn ist der Meinung, die Geschichte aus Weltbühne hätte ein breites (affirmatives) Echo gefunden:
Folglich stürzen sich die Medien auf eine Nachricht dieser Art. Damit dürfte Frau Feldman gerechnet haben, und diese Rechnung ging auf. Dass die Rechnung aufging, hatte durchaus gute Gründe. Doch handwerklich, journalistisch, war die Berichterstattung meistens völlig inakzeptabel. Die unbewiesenen Vorwürfe wurden ausführlich als These zitiert, ohne dass sie vorher inhaltlich kontrolliert worden wären. NZZ, 28.5.2025
Welche Medien mag er meinen? Es sieht so aus, als arbeite sich Wolffsohn hier an einer Schattenberichterstattung ab. In der Zusammenstellung dieser Liste gab es kein Medium, in dem jemand die These anerkennend aufgegriffen hätte. Auch die Grundannahme, Feldman unterstelle Engel, kein Jude zu sein, ist doch sehr stark verkürzt (siehe alle anderen zitierten Artikel aus dieser Liste). Geben wir an dieser Stelle die Medienschelte der NZZ zurück: Wurde das inhaltlich kontrolliert?