Die taz-Autoren Ute Scheub und Konrad Melchers haben es geschafft, in einem Klima, in dem Juden in Deutschland ohnehin schon aus der Mitte der Gesellschaft geschoben werden, die Schraube der Abgrenzung wohlmeinend noch eine Stufe weiterzudrehen.
Am 5. September ist Ruth Weiss (sichrona liwracha) in Alter von 101 Jahren verstorben. Ruth setzte sich gegen Rassismus und Apartheid ein. Nicht mit Gratismut, sondern zu einer Zeit, in der das ernsthafte Konsequenzen hatte. Seit 1966 stand sie auf einer Schwarzen Liste der südafrikanischen Regierung. Ihr Leben war geprägt von Mut, Empathie und dem Drang etwas tun zu müssen. Ruth wurde 1924 in Fürth geboren und war Jüdin. Die taz-Autoren machen daraus in der Einleitung die »jüdischstämmige Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin«. Achten wir genau auf die Wortwahl: Sie war jüdischstämmig? Und was folgte ihrer Abstammung? Sie wurde ein anständiger Mensch?
Nach einer Kurzbiographie kommt das Autorenduo schnell auf ihr aktuelles Buch zu sprechen/schreiben »Erinnern heißt Handeln – Mein Jahrhundertleben für Demokratie und Menschlichkeit«. Das Buch umfasst als große Rückschau auch einen bestimmten Themenbereich und dieser scheint hier besondere Beachtung finden zu müssen. »Auch zum Israel-Palästina-Konflikt erhob sie ihre Stimme.«
Und dann folgt ein Zitat aus dem Buch von Ruth Weiss mit einer kurzen Anmerkung:
„Beide Völker, das jüdische wie das arabisch-palästinensische, haben das Recht, in Palästina zu leben! Und so sehr ich den abscheulichen, durch nichts zu rechtfertigenden Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023 verurteile und seine jüdischen Opfer beklage und betrauere, so sehr beklage und betrauere ich auch das Leid und den Tod der vielen unschuldigen zivilen Opfer von Israels Krieg im Gazastreifen, vor allem der vielen Kinder. Der Hass, der durch jedes weitere Todesopfer immer weiter wächst, wird die Tragödie für beide Völker nur noch weiter verlängern.“ Sie habe jedoch die Hoffnung, dass der Konflikt ähnlich wie in Südafrika beigelegt werden könne. Von hier, taz.de
Herausgetrennt ist dieses Zitat natürlich, weil es zeigen soll, wie besonders diese Haltung ist. Nur: Das ist sie nicht. Und Ruth Weiss war Realistin. Das zeigte ein Interview zu ihrem 100. Geburtstag mit Reinhart Kößler und Daniel Bendix von der Zeitschrift PERIPHERIE. Über Israel:
Und darunter gibt es nicht nur die rechtsextremen Siedler, sondern eben auch eine große Gruppe von Israelis, die mit Arabern Projekte haben oder die Netanjahu niemals wählen würden oder die bereit sind, Gespräche zu führen. Aber dafür muss man auch auf der palästinensischen Seite eine ganz andere Einstellung haben. Und wenn man bedenkt, dass Hamas eine Bewegung ist, die keine Verfassung hat, abgesehen davon, dass sie sagt, Israel muss beendet werden. Dann ist das Dilemma eines Israeli viel größer als das eines Juden in Deutschland oder in Amerika. Weil sie nicht mit diesem Existenzialismus konfrontiert sind. Und nicht mit dem Hass, der auf beiden Seiten erzeugt wurde. Von hier, PERIPHERIE
Der Verdacht liegt nahe, dass hier dieser Aspekt herausgesucht wurde, um auch die großartige Ruth Weiss ideologisch einzuspannen. Das hätte sie vermutlich von sich gewiesen. Vielleicht eine gute Gelegenheit, auch andere Texte von ihr zu lesen.
Kurzer Hinweis: Ich hatte das Glück, Ruth kennenzulernen, als sie im Münsterland lebte. Jede Begegnung, jede ausgetauschte Nachricht werde ich in Erinnerung behalten.