Kafka und der Golem

Jemand musste Kafkas jüdische Seite nicht besonders gemocht haben, denn seine »jüdischste« Geschichte (abgesehen von der »Synagoge in Thamühl«) ist in den meisten Ausgaben der Tagebücher nicht zu finden.

Kafka schrieb über die Erschaffung des Golem. Und wir beginnen mitten im Text (Tagebucheintrag für den 20. April 1916). Entweder handelt es sich bei diesem um ein Fragment aus einem längeren Werk oder der Text ist niemals aus diesem Stadium herausgekommen. Er enthält einen Einschub Kafkas über die Entstehung der Geschichte und das entsprechende Signalwort: Wie will ich eine schwingende Geschichte aus Bruchstücken zusammenlöten?

Es wurde natürlich bald bekannt, daß der Rabbi an einer Tonfigur arbeitete. Sein Haus, das mit allen Türen aller Zimmer Tag und Nacht offen stand, enthielt nichts Sichtbares, das nicht allen gleich bekannt wurde. Immer wanderten einige Schüler oder Nachbarn oder Fremde die Treppe des Hauses auf und ab, blickten in alle Räume und traten, wenn sie nicht gerade den Rabbi selbst irgendwo antrafen, überall ein, wo es ihnen beliebte. Und einmal fanden sie in einem Waschtrog einen großen Klumpen rötlichen Tons. So sehr hatte die Freiheit, die der Rabbi allen in seinem Haus gab, sie verwöhnt, daß sie sich nicht scheuten, den Ton zu betasten. Er war hart, kaum daß sich bei starkem Druck die Finger von ihm färbten, sein Geschmack – auch mit der Zunge mußten die Neugierigen an ihn heran – war bitter. Wofür der Rabbi ihn hier im Waschtrog aufbewahrte, war unverständlich.

Bitter, bitter, das ist das hauptsächlichste Wort. Wie will ich eine schwingende Geschichte aus Bruchstücken zusammenlöten?

Leicht flog ein schwacher weißgrauer Rauch ununterbrochen aus dem Kamin. Der Rabbi stand mit aufgestülpten Ärmeln wie eine Wäscherin vor dem Trog und knetete den Ton, der schon in rohen Umrissen die menschliche Gestalt zeigte. Immer hielt der Rabbi, selbst wenn er nur an einer kleinen Einzelheit, etwa an einem Fingerglied arbeitete, die ganze Gestalt mit den Augen fest. Trotzdem die Figur doch sichtlich menschenähnlich zu gelingen schien, benahm sich der Rabbi wie ein Wütender, immer wieder fuhr sein Unterkiefer vor, ununterbrochen wälzten sich seine Lippen aneinander vorüber, und wenn er die Hände in dem bereitstehenden Wasserkübel feuchtete, stieß er so wild hinein, daß das Wasser die Decke des kahlen Gewölbes anspritzte.

In der Geschichte drängen sich zahlreiche Bilder auf:

Das Haus ohne den Rabbi gleicht ein wenig dem Garten Eden. In diesem bewegen sich Adam und Chawa (also der Mensch an sich) frei herum. Später, als sie die Präsenz G-ttes spüren, verstecken sie sich. Und so entdecken auch die Menschen im Haus des Rabbis etwas, das nicht für sie bestimmt war und sie probieren es sogar!

Der immerwährende Rauch mag an das »Esch Tamid – das immerwährende Feuer« im Tempel erinnern. Der letzte Satz des Fragments scheint eine Anspielung auf die Schöpfungsgeschichte zu sein. Das Wasser kommt jedoch nicht aus dem Himmelsgewölbe, sondern wir an das Gewölbe gespritzt.

Und Schweigen. Der Rabbi spricht nicht, obwohl die Golem-Erschaffung durch Sprache geschieht. Entweder (je nach Geschichte) durch geschriebene Sprache oder gesprochene. Der Golem jedoch spricht nie. Hier ist es der Rabbi, der keine Worte hat.

Vielleicht ist das »Geknete« des Rabbis auch die Arbeit mit der Literatur oder jüdischen Quellen?