Der Bundesverband RIAS hat seine bedrückende Jahresstatistik für 2023 veröffentlicht. Diese listet auch für jedes Bundesland auf, wie viele antisemitische Vorfälle es gab. Das Dokument gibt es hier.
Aber was sagen uns die absoluten Zahlen?
Schauen wir uns doch einmal an, wie viele Vorfälle auf jeweils 100.000 Einwohner eines Bundeslandes kommen. Das macht die Zahlen einigermaßen »vergleichbar«. Hier stimmt natürlich das Verhältnis zwischen Land und Stadt nicht unbedingt, aber diese Faktoren lassen wir jetzt einmal außen vor.
Blicken wir also auf die absteigende Liste der »Spitzenreiter« in Bezug auf antisemitische Vorfälle:
Bundesland | Vorfälle je 100.000 Einwohner |
---|---|
Berlin | 33,82 |
Thüringen | 13,96 |
Hessen | 8,26 |
Sachsen-Anhalt | 8,14 |
Bayern | 5,48 |
Brandenburg | 5,40 |
Bremen | 4,96 |
Sachsen | 4,67 |
Niedersachsen | 4,05 |
Schleswig-Holstein | 3,96 |
Nordrhein-Westfalen | 3,59 |
Saarland | 3,32 |
Mecklenburg-Vorpommern | 3,19 |
Hamburg | 2,17 |
Baden-Württemberg | 1,33 |
Rheinland-Pfalz | 0,99 |
Die ersten fünf Plätze liegen schon weit auseinander – 33 je 100.000 Einwohner – das sind schon mehr als doppelt so viele, als es Vorfälle auf Platz 2 sind. (etwa 14). Wobei gesagt werden muss, dass einige Bundesländer noch keine Anlaufstelle für die Meldung antisemitischer Vorfälle haben (hier wären es Hamburg, Baden-Württemberg, Bremen und Brandenburg).
Natürlich liegt Berlin vorn. Hier gibt es alles in großer Zahl. Berlin ist eine der bevölkerungsreichsten und vielfältigsten Städte Deutschlands. Hier sind nahezu alle politischen Gruppen vertreten. Das gesamte Spektrum und alle Extremismen verbindet, dass sie Jüdinnen und Juden nicht mögen. Das dürfte auch die Verteilung der Vorfälle erklären. Es gibt nämlich kaum Gemeinsamkeiten zwischen den Bundesländern auf den »Spitzenplätzen«. Liegt es an den Ballungsräumen?
Die simplen Erklärungsmuster, je nach eigener politischer Präferenz, lauten ja: Ausländer! Rechte! Linke!
Nordrhein-Westfalen mit mehreren Ballungsräumen (Ruhrgebiet, Düsseldorf, Köln) liegt weit unter den Werten von Thüringen. Thüringen zeigt gut, dass es nicht an der Bevölkerungsdichte liegen kann. Hier wäre die Reihenfolge Berlin (4090 Einwohner je km³), Hamburg (2438), Bremen (1629), Nordrhein-Westfalen (526) und Saarland (385).
Liegt es an mangelnder politischer Bildung?
Bayern und Thüringen bieten vergleichsweise wenig Unterrichtszeit für politische Bildung an Gymnasien, während Hessen hier besser abschneidet (siehe hier) und in Hessen stieg die Zahl antisemitischer Vorfälle nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel deutlich an. RIAS zählte deutlich mehr Vorfälle, als im Vorjahreszeitraum.
Die Verteilung sagt uns: Es gibt keine Einzelquelle. Antisemitische Vorfälle haben verschiedene Antriebe – je nachdem, welches Umfeld gerade prägend ist.
Nur eines ist vollkommen klar: Es sind nicht mehr Menschen zu Antisemiten geworden. Es wurden Ventile gefunden, die es erlauben, mit »gutem Gewissen« antisemitisch zu sprechen und oder zu handeln. Auf der Grundlage eines vorhandenen antisemitischen Weltbildes.