Am 13 Apr. 2004 erschien der erste Beitrag in diesem Blog. Es existiert also schon seit 20 Jahren. Unnötig zu sagen, dass dies eine (überraschend) lange Zeit ist, die dennoch schnell vergangen ist. Die Themen sind mit dem Herausgeber gealtert. Die Ansichten haben sich, teilweise, langsam verändert.

Das »Jubiläum« ist Anlass genug für ein Interview mit dem Baal haBlog.

Interviewpartner ist die Person, die Chajm am wenigsten ernst nimmt: Chajm selber.

Gratulation und Mazal Tov zu 20 Jahren Blog. Warum hast Du das alles angefangen? Und wie?

Ich bin kein häufiger Partner bei Interviews, aber das ist ja offensichtlich die schlechteste Einstiegsfrage überhaupt. Null »catchy, dafür langweilig. Da könnte man einen Schriftsteller auch direkt fragen, ob seine Romane autobiografische Elemente enthalten.

Verzeihung. Ich führe auch nicht so häufig Interviews.
Also eine neue Frage: 20 Jahre. Wie lange müssen wir das noch mitmachen?

Solange es mir Spaß macht und solange es etwas gibt, über das man schreiben kann. Gut möglich, dass es zu einer Situation kommt, die es zu unsicher macht, über jüdische Themen zu schreiben. Das ist aber nicht von mir abhängig, sondern vom gesellschaftlichen Klima. Oder beides. Keine Ahnung, wann sich die Prioritäten verschieben. Jemand, mit dem ich von Anfang an vernetzt war – und ich habe leider keine Erinnerung mehr daran, wie wir uns kennengelernt haben, war Cem Başman, seligen Angedenkens.
Er war meist einen Schritt auf jeder Plattform voraus. Instagram ist neu? Cem hatte da schon einen Account. Twitter kommt jetzt ganz groß raus? Cem war da schon und hatte eine angenehme Art, jemanden dazu aufzufordern, etwas aus den Texten zu machen. Aber nach einer Krankheit hat er sich andere Prioritäten gesetzt und war, soweit ich das sagen kann, gar nicht mehr online aktiv. Bis er dann gestorben ist. Zu früh. Wäre also gut, wenn wir uns alle über einen speziellen Onlinedienst hinaus vernetzen. Wenn die weg sind, sind auch die Kontakte weg.

Bist Du jetzt ein prominenter Blogger?

Renate Rubinstein sagte über sich, sie sei »weltberühmt in Amsterdam«. Also würde ich sagen, »weltberühmt auf sprachkasse.de«. Fame war niemals eine Absicht. Zielgruppe waren jüdische Leserinnen und Leser.
Eine Zielgruppe mit der Größe würde nicht zu Ruhm und Ehre führen, das war von Beginn an klar. Außerdem ist die Zielgruppe kritisch. Und das ist auch sehr gut so. Jedenfalls galt das früher. Die jüngeren Nutzer heute scheinen sich leichter beeindrucken zu lassen von diversen Social-Media-Menschen.

Wie sieht die Bloglandschaft heute aus? Lohnt es sich überhaupt noch?

Klassische Blogs gibt es kaum noch, jedenfalls im jüdischen Bereich und in deutscher Sprache. Da gab es »unterwegs« eine ganze Reihe von Leuten, die richtig losgelegt haben. Die haben aber dann nicht so lange durchgehalten. Derzeit ist Juna (irgendwiejuedisch.com) anscheinend die einzige, die übrig geblieben ist. Ein paar haben sich auf andere Kanäle verlagert. Vielleicht kennt noch jemand facebook? Dann Twitter, jetzt X. Heute eher Instagram oder gar Tiktok. Da versuchen schon Leute, über Jüdischkeit eine Abkürzung zum Ruhm zu nehmen. »Ich bin der Jude der Eure Fragen beantwortet« statt »hier ist relevanter Inhalt!«.
Oder um Cem zu zitieren: »Im Gegensatz zu den Ready Made Instant Social Plattformen. Home Cooking Media taste very best.«

Willst Du sagen, Du nutzt Social Media gar nicht? Das stimmt doch nicht.

Der Vorteil von Blogs ist, dass der »Content« dir gehört und nicht durch eine Firma entfernt werden kann. Da gibt es auf Twitter und Bluesky natürlich schon Akteure, denen ich folge, aber ich würde nicht sagen, dass ich »Gestalter« bin oder als solcher wahrgenommen werde. Klar gibt es einen Instagram-Account, aber keine Dauerbespaßung über den Kanal. Tatsächlich geht es da je eher weniger um längere Text.
Wenn die Accounts ausschließlich Bilder der Leute selber zeigen, habe ich meist kein Interesse mehr. »Geh mal zur Seite, ich kann Deinen Content nicht sehen« möchte ich da ständig kommentieren. Mache ich natürlich nicht.

Bist Du zu nett?

Interessant, dass Du das fragst! Das wird mir tatsächlich manchmal als Feedback gespiegelt. Warum nicht etwas kantiger? Warum nicht etwas weniger freundlich?
Tatsächlich bin ich davon überzeugt, dass man mit Menschen so umgehen sollte, als würden sie einem gegenübersitzen. Das würde ich auch beibehalten, aber in Zukunft sollte vielleicht etwas klarer formuliert werden, wenn etwas nicht stimmt. Wenn jemand zufällig ein Magazin oder eine Zeitung besitzt und einen guten Justiziar hat, können wir monatlich einen Text veröffentlichen, in dem viel Frust steckt. Im Augenblick tun sich ja ausreichend Quellen dafür auf. Mal schauen, in welche Richtung es geht.\ Provokation nur aus Gründen der Aufmerksamkeitsökonomie wird es nicht geben. Es gab immer wieder Themen, die man hervorragend hätte skandalisieren können. Als ich dann nachgefragt habe, haben sich einige potentielle Skandalquellen bedankt und etwas geändert – etwa Termine zu jüdischen Themen an jüdischen Feiertagen. Warum soll man vorher darüber schreiben, wenn die Verantwortlichen vorher niemals ein Feedback erhalten haben? Nur, um damit Aufmerksamkeit zu generieren?

Gab es ein Posting, das für richtigen Wirbel gesorgt hat?

Meine erfolgreichster Post, das würde ich jetzt mal behaupten, war das Antisemitismus-Bingo. Nicht weil es so viele Menschen erreicht hat, sondern weil ich den Floskeln aus dem Bingo nahezu überall begegne. Nach jedem »Vorfall«. Partei- und organisationsübergreifend. Ich würde mal vermuten, das Bingo dient als Baukasten für Statements zu antisemitischen Vorfällen.
Ansonsten: Ich bin froh, wenn die richtigen Leute Feedback zu Beiträgen geben. Einige Beiträge versanden einfach, andere haben zu Diskussionen geführt oder »Dinge« ausgelöst. Meist dann aber das aufgeworfene Thema – ohne zwingenden Bezug zum Blog. Das ist ja auch gut so.

Wer liest denn hier überhaupt mit?

Wie gesagt: Die richtigen Leute. So würde ich das sagen. Diejenigen, die sich für genau die Themen interessieren, über die ich schreibe. Und dann gibt es die aktiven »Nicht-zur-Kenntnis-Nehmer«. Das sind diejenigen, die niemals zugeben würden, dass sie hier mitlesen, aber regelmäßig vorbeischauen und vielleicht auch mal nach ihrem Namen suchen.
In diesem Jahr habe ich gelernt, dass die Texte auch einfach als Steinbruch verwendet werden. Eine Volkshochschule hat, unter anderem, meine Texte am Holocaust-Gedenktag öffentlich vorgelesen. Ungefragt übrigens (ein Bericht dazu hier). Als gäbe es das Urheberrecht überhaupt nicht.
Der Verantwortliche rief nach einer Mail meinerseits an und wollte sich dazu ausführlich melden. Da ist natürlich nicht passiert. Schön in Klezmermusik eingerahmt am 27. Februar die Texte jüdischer Blogger ohne Rückfrage für eine Veranstaltung verwendet. Nun ja.
Unvergessen auch eine andere Begegnung:
»Du bist Chajm, nicht?«
»Jepp. Das bin ich.«
»Der Blogger?«
»Jepp. Das bin ich.«
»Oh.«.

Hast Du eine Agenda?

Nope.

Ich schreibe über Dinge, über die ich selber gerne lesen würde. Natürlich ist es eine Sicht einer Person und ich habe nicht den Anspruch, für alle zu sprechen – »für die Community« zu sprechen. Wenn jemand über das Judentum schreibt und Sätze mit »wir« formuliert, empfinde ich das als Anmaßung.

Selber anmaßend!

Soll ich jetzt kantiger sein, oder nicht?

Danke für das Gespräch!

Ich danke allen Leserinnen und Lesern, die bis jetzt durchgehalten haben.
Sowohl im »Interview«, als auch im Blog.