PEN Berlin – Danke für Nichts

2023 laufen Wortkünstler zur Hochform auf. Der Kabarettist und damit »Wortkünstler« Jürgen Becker bedauert (!) im WDR-Fernsehen, dass »Menschen genau auf Formulierungen achten« (hier bei twitter, ja ja, X). Grund dafür: Der Aufruf für eine »Arsch hu« Friedensaktion wollte sich nicht so richtig dazu durchringen, so richtig solidarisch mit den Opfern des 7. Oktober zu sein. Man verblieb eher im Allgemeinen. Abraham Lehrer vom Synagogenvorstand der Kölner Gemeinde sagte seine Teilnahme ab.

Und dann gibt es einen Verband, der sich dem offenen Wort verschrieben hat: PEN Berlin. PEN Berlin entstand eigentlich um einen Eklat rund um Deniz Yücel im PEN-Zentrum Deutschland. PEN Berlin solle keine »Bratwurstbude« sein. Der Gründungsaufruf versprach einen »zeitgemäßen und diversen PEN«. »Für Meinungsfreiheit und einen offenen Diskurs«. Daniel Kehlmann, Christian Berkel oder Dmitrij Kapitelman unterstützen die Neugründung des Vereins.

Die erste harte Bewährungsprobe kam dann mit der Kälte, die Jüdinnen und Juden nach dem 7. Oktober 2023 umgab. Und diese Probe scheiterte.

Warum? Als eine Preisverleihung an die Künstlerin Sharon Dodua Otoo angekündigt wurde, wurde das kritisiert. Sie hatte in der Vergangenheit einen Aufruf der Gruppe »Artists for Palestine« unterstützt und diese hat ein recht spezielles Verständnis von Frieden, welches das ist, kann man auf den Postkarten sehen, die es im Shop der Organisation gibt. Auf denen gibt es den Staat Israel nicht.

Eva Menasse, Sprecherin des PEN Berlin, appellierte als Reaktion darauf in einer Rundmail an kulturelle Institutionen, diese sollten ihre »Sorgfaltspflicht gegenüber anerkannten Künstler:innen« erfüllen und sich gegen »Gesinnungsschnüffelei auf Unterschriftenlisten« aussprechen. Der Plot-Twist bestand aber darin, dass Dodua Otoo bereits zu diesem Zeitpunkt eine unmissverständliche und einfühlsame Stellungnahme zu den Opfern des 7. Oktober abgegeben hatte. Die Rundmail von Menasse suggerierte zudem, dass derzeit in deutschen Institutionen zensiert würden.

Für den Verleger und Historiker Ernst Piper etwas zu viel.

In einem Post, adressiert an PEN Berlin, schrieb Piper, dass »das Gesicht von PEN Berlin in starkem Maß von Susan Neiman und Eva Menasse geprägt« werde. »Die selbstherrliche Verachtung, mit der beide über Israel sprechen, fand ich schon immer schwer zu ertragen.« In der kritischen Situation für die Existenz des Staates Israel möchte er nicht demselben Verein angehören wie die Autorinnen (siehe Bericht auf FAZ.net und Pipers Beitrag auf facebook).

Die Schriftstellerin Julia Franck, der Journalist Michael Wuliger und die HaGalil-Autorin Ramona Ambs (hier ihr Text dazu) gaben ihren Austritt ebenfalls bekannt.

Die Reaktion darauf?

Deeskalation?

Ein Dialog?

Ein Zeichen der Solidarität als versöhnliche Geste?

Ein Zeitungsinterview folgte. Eva Menasse sagte am 5. Dezember (2023) der »Berliner Zeitung«, dass sich die Ausgetretenen nur »15 minutes of fame« abholen wollten mit ihren Austritten, »um einem jungen Verein zu schaden, der bisher in sehr kurzer Zeit wirklich solide kulturpolitische Arbeit geleistet hat«.

Ach ja. Auf dem zweiten PEN Berlin Kongress am 16.12.2023 »Mit dem Kopf durch die Wände« wird auch über Israel gesprochen werden. Unter anderem (Stand 6.12 — während dieser Artikel entstand, wurde die Veranstaltungsseite gelöscht) mit Yehudit Yinhar, die als Studentin das Projekt »School for Unlearning Zionism« begann und 2020 eines mitorganisierte, dessen Name im Spiegel der aktuellen Ereignisse etwas gruselig klingt: »October Program«. Oder Sarah El Bulbeisi, deren Interview in der taz für erhobene Augenbrauen sorgte, weil es hier darum ging, dass »palästinensische Stimmen« in Deutschland kein Gehör fänden. Ende November 2023. Tomer Dotan-Dreyfus wird mit beiden sprechen und sicherstellen, dass es keine Stimmen gibt, die außerhalb eines (sehr) linken Spektrums zu finden sind. Bevor der Eindruck entsteht, dies repräsentiere die israelische Linke, könnte man den Twitter (ja, X) Feed von Fania Oz-Salzberger durchscrollen und schauen, welche Haltungen es noch gibt.

Das Erstaunliche ist, dass auch Menschen, die sich der Freiheit des Wortes verschrieben haben (Wortspiel nicht intendiert), die Gleichgültigkeit, die sich um Jüdinnen und Juden auch in Deutschland legt, nicht verstehen oder zur Kenntnis nehmen wollen. Ganz gleich, mit welchen Phrasen sie an Gedenktagen arbeiten.

Ein jüdischer Verband? Los!

Und nun? Was tun wir mit den Informationen, außer sie zum Anlass für Ärger zu nehmen?

Wäre das nicht ein guter Impuls dafür, einen jüdischen Verband der Autorinnen und Autoren, Journalistinnen und Journalisten zu organisieren?

Es gibt im deutschsprachigen Raum durchaus eine relevante Anzahl von Akteuren.

Man stelle sich einmal die Vollversammlung vor: Da kämen die stillen Beobachter und Textarbeiter mit den »Public Jews« zusammen. Diese würden vermutlich einiges dafür tun, nur ihre »Buddies« als Mitglieder in einem solchen Verband unterzubringen. Abgrenzung ist hier Teil des Geschäfts. Dann gäbe es die Journalisten, die viel Ehre einfahren und diejenigen, die einfach regelmäßig abliefern. Corona-Maßnahmen wäre nicht notwendig. Die wenigsten Personen würden nebeneinander sitzen wollen – mit Ausnahme der Buddy-Netzwerke. Gruppen wären direkt erkennbar. Praktisch eigentlich.

Die Diskussionen wären unerbittlich und hart. Der Verband stünde permanent vor der eigenen Auflösung oder vor der Zersplitterung in kleinere Gruppen.

Aber! Um Rabbiner Jonathan Sacks zu Israel zu zitieren: »Aval se schelanu – aber es ist unseres«. Bei Rabbiner Sacks ging es um Israel. Es ist nicht perfekt, aber »se schelanu«.

Der letzte Verband dieser Art (keine Garantie für diese Angabe) in Europa war eher eine Gewerkschaft, die »Związek Literatów i Dziennikarzy Żydowskich w Warszawie – die Union der jüdischen Schriftsteller und Journalisten in Warschau«. Die Gruppe und ihre Räume waren Treffpunkt für Schauspieler, Künstler, Lehrer, Gäste und vieler Menschen, die insbesondere an jüdischer säkularer Kultur interessiert waren. Das Bild dieses Artikels zeigt den Mitgliedsausweis von Jitzchak Baschevis Singer. 1926 gründeten jüdische Journalisten aus diesem Kreis eine eigene Gruppe für Journalisten und diese wurde als »jüdische Sektion« des polnischen Journalistenverbands anerkannt. Der Verband sorgte auch dafür, dass Jiddisch als Mitgliedersprache in die internationale Schriftstellervereinigung PEN aufgenommen wurde (digitalisierte Unterlagen dazu). Arn Zeitlin war Vorsitzender des Jiddisch PEN und Scholem Asch war dessen Ehrenpräsident.

Wenn es »draußen« ungemütlich wird, sollte es zumindest eine Anlaufstelle geben, die Raum für interne Diskussionen lässt und für diese einen »Schutzraum« bietet, der nicht nur für die Performance vor der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft gedacht ist. Tomer Dotan-Dreyfus könnte ausführlich seinen Standpunkt darlegen und würde dies nicht mit einem Blick auf Dritte tun. Andere, die sonst leicht beim Publikum punkten, müssten sich vor einem kritischerem (wissenden) Publikum beweisen. Die, viel beschworene (aber existente), Berlin-Bubble könnte Löcher bekommen.

Wann sollte dieser Verband nicht entstehen, als zu einem Zeitpunkt, an dem deutlich wird, dass Empathie einfach nicht aufgebracht werden will? Das »wann, wenn nicht jetzt?« würde gelten, wäre es nicht so abgegriffen als Floskel. Michael Wuliger, der frühere Kulturredakteur der Jüdischen Allgemeinen, dürfte die meisten Akteure kennen, vielleicht nicht alle lieben, aber tatsächlich kennen. Niemand wäre geeigneter für so eine Aufgabe und niemand wüsste besser, was passieren wird, wenn all diese Menschen aufeinander treffen (oder träfen). Wann geht es los?

Epilog

Ja. Ein solcher Verband wäre großartig. Nein. Vermutlich würde mich (den Autoren dieser Zeilen) niemand nominieren, denn als Nichtmitglied irgendeines »Freunde-nehmen-Freunde-mit-Netzweks«, hat man da schlechte Karten und würde von der Seite berichten. Vielleicht reicht das aus. Immerhin: »se schelanu«.