Es gab einmal eine großartige satirische Zeitschrift in Deutschland!
Leider war sie nicht sonderlich erfolgreich, aber künstlerisch anspruchsvoll und tatsächlich kritisch und unterhaltsam. Den ersten Anlauf nahm 1903 Leo Winz mit Max Jungmann, Theodor Zlocisti, Emil Simonsohn und Sammy Gronemann. Er produzierte eine Heftnummer und es folgte dann lange nichts mehr.

1919 kamen die Mitstreiter erneut zusammen und gaben in Berlin eine weitere Reihe heraus. Sie erschien zweiwöchentlich unter dem Namen »Schlemiel –Jüdische Blätter für Humor und Kunst«. Als Herausgeber fungierte Menachem Birnbaum. Es gab Gedichte, Kunst und Geschichten, die nicht nur satirischen Charakters waren. Durchaus anspruchsvoll und kritisch in alle Richtungen. Kleine Nachrichten machen sich über die Konflikte in den Gemeinden lustig, etwa über den ehrlichen Verlierer eines Tallit-Beutels in einer liberalen Synagoge. Oder ein Hausmädchen beschreibt, wie sie Speck zum Tscholent geben muss, weil er der Familie dann besser schmecke. Das Bild unten beschäftigt sich mit einer assimilierten Famile deren Kind im jüdischen Jugendverband »Blau-Weiß« organisiert ist und sich mit dem Zionismus und dem Judentum beschäftigt. Im Magazin griffen die Macher bewusst auch eine antisemitische Bildsprache auf und verweisen auf antisemitsche Erzählungen. Ein Schritt der Emanzipation und Ermächtigung. Doppeldeutig sind Referenzen auf die Rassenlehre, die sich anscheinend schon in den Diskurs geschlichen hatte.

Und Dir als Blau-Weißem hat der Weihnachtsmann eine Menorah gebracht

Ein paar Textbeispiele:
Zunächst Ordnung aus der Ausgabe vom 10.7.1919.

Ordnung

Während der Okkupation von Lodz fand ein Offizier, daß der Hauswirt Jankel Katz seine Treppen nicht sauber genug gehalten hatte. Seine ziemlich temperamentvolle Ansprache schloß mit dem stereotypen Hinweis: »Ihr Schweine wisst eben nichts von deutscher Ordnung!«
Jankel antwortete: »Herr Leutnant, wenn wir Ordnung gehabt hätten, wäre der Deutsche nicht hereingekommen.«
L. B-h.

Ein weiteres Textbeispiel ist leider noch immer aktuell, der Autor J. steuerte für jede Ausgabe ein Gedicht bei. Hier der Text Einig aus der Ausgabe vom 10.11.1919:

Einig!

Nun ist den lüsternen Pogromen
Der große Sterbetag gekommen,
Nun massakriert kein Höllenknecht
Im Judenvolk das Menschenrecht.

Der Tag, von dem die Sänger sangen,
Der hohe Tag ist angegangen:
Am Schilde Israels zerschellt
Zu Staub der Hass der ganzen Welt.

Da wir das Lehen wahrhaft wollen,
Mag uns der halbe Erdball grollen!
Da wir im Willen einig sind.
Zerstiebt der Hass wie Laub im Wind.

Das Volk der vierzehn Millionen
Wacht einig über alle Zonen
Und ahndet, wenn sein Auge sieht.
Dass einem Spross ein Leid geschieht! —

Um streng der Wahrheit zu genügen,
Ist freilich eins hinzuzufügen:
Die Reime stimmen im Gedicht,
Doch leider stimmt der Inhalt nicht.

J.

Alle Ausgaben gibt es digitalsiert in der Freimann-Sammlung – Compact Memory. Einige Artikel warten hier darauf, wieder entdeckt zu werden.

Übrigens scheint es 1950 eine einzige weitere Ausgabe gegeben zu haben. Dazu habe ich keine Informationen.