Kaum angekündigt, schon wieder abgeräumt: Die Antisemitismus-Resolution im Bundestag. Selbst wenn irgendeine Partei nur den Text »wir finden Antisemitismus doof« zur Abstimmung vorbereitet hätte, wären die tektonischen Risse schon vorher aufgetreten. Die gleichen Akteure hätten andere Argumente ins Feld geführt. Denn insbesondere der Begriff »Antisemitismus« selbst ist es der als Vulkan zwischen den tektonischen Platten schlummert – weniger der symbolische Akt der Resolution. Es gäbe doch mehrere Definitionen dessen, was Antisemitismus überhaupt sei.

Warum braucht es eine Definition dessen, was Antisemitismus überhaupt ist oder sein soll?

Na, wegen der Antisemiten. Weil Antisemiten in den wenigsten Fällen Antisemiten sein wollen. Nur weil einer keine Juden mag? Gleich Antisemit?

Antisemitismus hat den Nimbus, schlecht zu sein und gesellschaftliche Ächtung zur Folge zu haben. Hoffentlich spricht es sich nicht herum: das ist natürlich nicht der Fall. Selbst die Leute der Hamas, die am 7. Oktober das Pogrom ihrer Träume durchgeführt haben, galten am 8. Oktober schon als Freiheitskämpfer. Aus diesem Grund wollen Antisemiten eine genaue Definition dessen, was sie nun »vermeintlich« falsches gesagt oder gemacht haben sollen. Darf man über »Schächtjuden« polemisieren? Darf man sagen, »Leute von der Ostküste ziehen im Geheimen die Strippen an denen die Marionetten-Politiker hängen«? Weil ich von »Goldmünzensammlern« spreche und damit nicht über Mario-Kart spreche? Weil ich sage, Juden äh Zionisten sind Kindermörder? »Zeig mir die Definition! « werden sie sagen.

Antisemitismus ist etwas Zwischenmenschliches – er zeigt sich durch Kommunikation (auch nonverbale natürlich) und die kann man nicht mit binären Regeln erfassen. Ab wann ist Liebe echt? Wann Eifersucht ganz nice und wann gefährliche Obsession? Wenn ich sage: »Ich liebe die Bahn« - wie ist das gemeint? Das ist eher ein Thema für die Pragmatik (in der Linguistik) und nicht für die Politik. Eine Gesellschaft sollte in der Lage sein, Antisemitismus zu erkennen, so wie sie erkennt, dass ich natürlich die Bahn nicht liebe, wenn ich das auf einem Bahnsteig sage und die Anzeige eine 120 minütige Verspätung ankündigt.

Eine genaue und detaillierte Auflistung dessen, was man sagen darf und was nicht, das wollen nur diejenigen, die sagen wollen: seht her, ich habe nicht gegen die Regeln verstoßen und sich ihre Nischen suchen wollen. Diejenigen, die sowieso aufmerksam mit anderen umgehen, brauchen dafür nur Ver- und Anstand.