Manchmal stellst du Fragen zu jüdischen Themen und erhältst eine Antwort – aber keine gute. Manchmal wird dir eine Interpretation erzählt, aber die eigentliche Frage nicht beantwortet. Warum zündet man am Schabbat zwei Kerzen an? Wenn die Antwort lautet, die beiden Kerzen stünden für »Schamor und Sachor« – für »Halte und Gedenke«, dann hat man dir die Interpretation erzählt.
Das Artikelbild stammt aus dem Buch »Jüdische Welt verstehen« von Alfred J. Kolatch. Auch er beantwortet die Frage nicht (wie einige andere Fragen in dem Buch) und erzählt, dass dies der Tag ist, an dem die Schüler von Rabbi Akiwa aufhörten zu sterben und dass wir an diesen Tagen von äußeren Zeichen der Trauer absehen. Der Tag wird jedoch nicht genannt. Diese Geschichte wurde also später als Interpretation auf den Tag bezogen. Im Talmud wird lediglich erzählt, dass es Tote bis Schawuot gab.

In der aktuellen Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen (Artikel hier online), gehe ich in der Geschichte von Lag BaOmer soweit zurück, wie das derzeit (gesichert) möglich ist. Offenbar haben wir den Tag aus der Provence (siehe Artikel).

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Aber weiter zurück? Woher könnte der Tag kommen? Die Faktenlage ist sehr dünn. Eines ist sicher: Durch Ausgrabungen der »Synagoge von Rechov« in der Region Bejt Sche’an sind Mosaiken entdeckt worden, die Fastentage nennen, die zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert begangen wurden. Einer dieser Fastentage ist der 18. Ijjar (siehe Beschreibung hier). Der 18. Ijjar ist der 33. Tag Omer. Also der Tag, den wir als Lag BaOmer kennen. Wie Haggai Misgav von der Hebräischen Universität schreibt (hier), kannte man diesen Fastentag als Fastentag für den Tod von Jehoschua. Jehoschua bin Nun hat jedoch schon einen Fastentag im Monat Nissan. Haggai Misgav schreibt jedoch auch, dass es andere Quellen gibt, die angeben, man faste wegen eines Erdbebens.
Es bleibt festzuhalten, dass der Tag schon recht früh als Fastentag bekannt war.

Noch mehr Hintergründe?

Warum gibt es also zwei Fastentage für den Todestag von Jehoschua und was für ein Erdbeben könnte gemeint sein?
Rabbiner Dr. Aton Holzer hat dazu im Tradition Magazine (Ausgabe 52, Frühjahr 2020, Seite 17ff) einen ausführlichen Artikel verfasst. Dieser Beitrag hier ist der Versuch einer kurzen Zusammenfassung mit einem eigenen Schwerpunkt:

Im Jahr 363 (allgemeiner Zeitrechnung) begannen in Jerusalem Arbeiten am Dritten Tempel – unter Kaiser Julian, der der Agenda seines christlichen Vorgängers Konstantin nicht folgen wollte. Kaiser Konstantin hatte im Jahr 326 begonnen, einen Jupiter/Venus-Tempel in Jerusalem durch eine Kirche zu ersetzen. Die Grabeskirche. Sie sollte den Tempel, der in Trümmern lag, ersetzen (an anderer Stelle) und natürlich mit der neuen Religion an seine Stelle treten.
Die Einweihung fand am 13. September 335 statt. Das war ein Schabbat und Jom Kippur. Aus heutiger Sicht kann man behaupten: Eine kalkulierte symbolische Handlung gegen das Judentum.
Kaiser Julian habe einige der Taten Konstantins rückgängig gemacht und sei bestrebt gewesen, das Christentum zurückzudrängen. Rabbiner Holzer vermutet, dass ein symbolisches Datum für die Grundsteinlegung des dritten Tempels hilfreich gewesen wäre.

Ausgesucht wurde dann der 18. Ijjar des Jahres 363. Das sei wohl auch das Datum des heidnischen Maiuma-Festes (Maifeiertag) in der Nacht vom 17. Mai, also dem 18. Ijjar gewesen. Der 33. Tag der Omerzählung, so Rabbiner Holzer, könnte auch einen bekannten jüdischen Verstorbenen erinnern, über den im Talmud steht, wie alt er geworden sein könnte (die Stelle ist anscheinend zensiert):

Ein Min fragte Rabbi Chanina: Hast du vielleicht gehört, wie alt Bileam geworden ist?
Dieser erwiderte: Dies befindet sich nicht ausdrücklich in der Schrift; da es aber heißt: die Blutgierigen und Falschen werden ihr Leben nicht auf die Hälfte bringen, so wird er wohl dreiunddreißig oder vierunddreißig Jahre [alt geworden sein].
Jener sprach: Du hast recht; ich habe das Buch mit den Aufzeichnungen von Bileam gesehen, und in diesem stand geschrieben: Dreiunddreißig Jahre war der lahme Bileam alt, als ihn der Straßenräuber Pinchas tötete.

Talmud, Sanhedrin 106b

Die Person war demnach 33 Jahre alt, als sie starb. Rabbiner Holzer nimmt an, dass der Fastentag für Jehoschua nicht Jehoschua bin Nun meint, sondern jemanden, der eine Variante des Namens Jehoschua trug, nämlich Jeschua. Dieser sei also 33 Jahre alt geworden.

Doch aus dem Tempelbau wurde nichts.
Es gibt Quellen aus der Zeit, in denen behauptet wird, ein großes Feuer und ein Erdbeben hätten die Fundamente des Tempels zerstört. Das sei ein metaphysisches Zeichen dafür gewesen, dass der Tempel nicht gebaut werden sollte. Es ist aber möglich, dass die Christen der Stadt die Aufbauten niederbrannten und zerstörten. Julians Tod auf dem Schlachtfeld im selben Jahr beendete seine Politik der Toleranz und das Thema Wiederaufbau war keines mehr.

Die Erinnerung an diejenigen, die ihr Leben für die Grundsteinlegung gaben – während des Erdbebens und des Feuers – und die Erinnerung an die Demütigung durch die Kirche, die auf dem vermeintlichen Grab des »Jehoschua« gebaut wurde, seien hier verschmolzen. Eigentlich kommt die Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt ohne Joschke ganz gut aus.

Zeitsprung: Ab dem Jahr 691 wurde auf dem Tempelberg der »Felsendom« errichtet. Die christliche Vorherrschaft über den Tempelberg gebrochen. Bemerkenswerterweise enthält auch der Felsendom Zitate aus dem Koran, die sich mit dem Wesen des Propheten Isa (also Jesus) beschäftigen. Gegen dessen Status im Christentum wird hier klar polemisiert (mit Zitaten aus dem Koran, Sure 19, Verse 33-35 – Link zur Goldschmidt-Übersetzung). Die christliche Vorherrschaft in der Stadt war also auch hier Thema.

Zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert war der jüdischen Bevölkerung Europas klar, dass die Vorherrschaft des Christentums über Jerusalem beendet war. Da sie unter der Herrschaft des Christentums lebten, gab es keine adäquate Art, diese Erleichterung auszudrücken. Doch: Durch die Feier des 33. Tag des Omer, den Tag »Mot Jehoschua« und Erinnerung an die Grundsteinlegung des Tempels. Das erklärt, warum der Tag vor allem unter den aschkenasischen Juden bekannt war und im Osten nicht.

Und die Jahrzeit von Rabbi Schimon bar Jochaj (Raschbi)?

Es könnte sein, dass diese Referenz zu Lag BaOmer ein Druckfehler zu sein könnte (siehe etwa hier). Im Druck des Werkes Pri Etz Chajim, in dem die Lehren des Arizal durch Chajm Vital erzählt werden. In den meisten Manuskripten scheint das Wort שמח (Freude) verwendet zu werden: Lag B’Omer sei für Rabbi Schimon ba Jochaj ein Tag der Freude gewesen. Zwei Ausgaben des Buches, die im späten 18. Jahrhundert veröffentlicht wurden, tauschten aber einen (optisch ähnlichen) Buchstaben aus, vielleicht ein Fehler des Buchdruckers. Das veränderte aber die Bedeutung drastisch. In diesen Ausgaben stand stattdessen das Wort שמת. Das bedeutet, dass Lag B’Omer der Tag war, an dem Raschbi starb.

Der Tag der Freude für den Raschbi würde auch erklären, warum schon vor dem Druck von Pri Etz Chajim Menschen nach Meron kamen und dort an LagBa Omer feierten.

Und nun?

Lag BaOmer gleicht weiterhin einem Palimpsest. Viele verschiedene Schichten haben sich über den ursprünglichen Anlass gelegt. Einige verstehen wir erst heute. Vielleicht ist auch die Verdeutlichung dessen ist schon eine wichtige Botschaft in sich.
Der Tag scheint jedenfalls ausreichend Stoff für ein spannendes Buch zu bieten und weitere Blicke lohnen. Die Geschichte von Rabbi Akiwa zu erzählen, reicht jedoch nicht als Antwort auf die Frage, warum Lag BaOmer gefeiert wird.