Eines direkt vorweg: Warum muss man jetzt jeden Film und jede Serie, in der Charedim die Protagonisten sind, mit Shtisel in Verbindung bringen? Oder mit Unorthodox? Versuchen wir das einmal ohne diesen Vergleich – hoffentlich gelingt es. Dieses Schicksal wird nun ohnehin jede Serie und jeden Film ereilen, die dieses Setting aus dramaturgischen Gründen wählen. Dabei gibt es ausreichend Stoff für Erzählungen über Spannungen. Gerade, wenn die Serie dazu noch im Ausland, in der Galut spielt.

»Rough Diamonds« spielt in Antwerpen (zufällig ein Setting, das mir nicht unbekannt ist) und handelt dementsprechend, klar, vom Diamantenhandel. Der ist nicht mehr so lukrativ, wie er es früher war. Die Gemeinde ist ärmer als in früheren Zeiten und steht vor anderen Problemen. In der Realität, wie auch in der Serie. So florierte auch das Geschäft der Familie Wolfson, doch jetzt gibt es erhebliche Schwierigkeiten. Die wohlhabende Familie muss das Geschäft weiterführen: Der »Patriarch« der Familie hat drei Kinder (eigentlich vier), die mit in das Geschäft einsteigen sollen. Das geschäftstüchtigste Kind scheint aber eine Frau zu sein (großartig gespielt übrigens). Daraus ist aber kein eigener Stoff gemacht worden: Frau, die gegen die Ordnung rebelliert? Das wäre nur ein weiterer Film mit diesem Thema.

Rough Diamonds Szenenbild

Protagonist Noah auf der Beerdigung seines Bruders. Wir sehen und erahnen das Setting schon an der Kleidung (Foto: Netflix)

Der Konflikt entfaltet sich aus einer Szene, die Filmfreunde so ähnlich kennen: Wer »Snatch« gesehen hat, wird in den ersten Szenen der Serie die Eröffnungsszene aus Snatch wiederentdecken.
Nur hier ist »Yanki« (ein Sohn des Patriarchen Wolfson) allein unterwegs durch die Gänge. Bei Snatch sind Diamentendiebe, als charedische Juden verkleidet, unterwegs durch ein Gebäude in Antwerpen und quetschen sich in einen Fahrstuhl. Yanki nimmt jedoch einem Wachmann eine Waffe ab und richtet sie gegen sich selbst. Jüdinnen und Juden wissen sofort: Das wird ein Problem.
Aber es wird nicht das einzige bleiben.
Die Geschichte muss eine weitere Perspektive bekommen. Wenn man schon in der charedischen Welt ist, dann liegt es nahe, dass dieses Setting als einengend oder eingegrenzt dargestellt wird. Jemand will »raus«. Ein Nonkonformist, der auch dem Publikum ein wohliges Gefühl gibt (»wir gehören da nicht zu«).
Aber hier konzentriert sich der Plot auf jemanden, der sein Verhältnis zur Gemeinschaft anders ausloten muss. Der Protagonist Noah (Bruder von Yanki) ist unkonventionell. Während er anfangs noch zurückhaltend und gereizt ist und sich gegen alles wehrt, was ihn an sein früheres Leben erinnert, wird er bald etwas weicher und nimmt doch an der Schiwe teil. Mehr soll nicht gespoilert werden.
Noah will jedenfalls helfen, aber um die Geschichte in Gang zu bringen, wird davon nichts besser. Stattdessen spielt die albanische Mafia mit und die Polizei ermittelt. Jetzt ist es also eine Geschichte. Mitgewirkt an der Produktion haben übrigens Yuval Yefet und Rotem Shamir – die auch an Fauda beteiligt waren.

Insgesamt scheint das Leben in Antwerpen recht gut abgebildet worden zu sein. Es entsteht nicht der Eindruck, dass hier gravierende Fehler bei der Darstellung gemacht worden sind. Die Figuren sind »Menschen« und keine Schablonen. Das jüdische Leben wird authentisch als Bestandteil des Alltags dargestellt und nicht künstlich beleuchtet oder hervorgehoben. Experten des jüdischen Antwerpen mögen das vielleicht im Detail anders beurteilen.
In kleinen Einzelfällen mag strittig sein, ob die charedische Community wirklich so nachsichtig ist: Würde eine Familie aus der Community ein Kind einer nichtjüdischen Mutter als Enkel akzeptieren? Eher nicht.

Mission geglückt: Kein Vergleich mit anderen Serien. Also jedenfalls nicht direkt.

»Rough Diamonds« läuft auf Netflix.