Texte in eigener Sache sind hier eigentlich recht selten. Hoffentlich wird dieser Umstand von den Leserinnen und Lesern auch gewürdigt… Immerhin soll der Bloggende nicht im Vordergrund stehen.
Diejenigen, die regelmäßig vorbeischauen wird aufgefallen sein, dass die Inhalte einige Tage offline waren.

Warum überhaupt offline?

In diesem Blog wurde im Impressum keine konkrete Adresse genannt. Aus welchem Grund das wiederum nicht geschehen ist, dürfte eigentlich selbsterklärend sein. Die Adresse, auf dem Silbertablett serviert, wird zuweilen als Einladung verstanden. Entweder für (unfreundliche) Briefpost oder für persönliche Begegnungen. Es wurde deshalb im Impressum klar gesagt, dass eine Nennung der genauen Anschrift eben für den Schutz von Leib und Leben nicht geschieht. Eine Übermittlung der Adresse an Organisationen und Personen mit Anliegen sei jederzeit möglich.

Warum so? Meine erste Anlaufstelle für das Dilemma »Impressum versus Schutz der Person« war das Büro der Antisemitismusbeauftragten von Nordrhein-Westfalen. Im Januar 2021 angeschrieben, antwortete diese, man sei dafür überhaupt nicht zuständig (die Zuständigkeit beginnt wohl erst, wenn der Antisemit einem die Tür eintritt, dann kann man prima einen betroffenen Kommentar posten). Zuständig sei die Landesanstalt für Medien NRW (Claim: Der Meinungsfreiheit verpflichtet). Also rasch die Mail weitergeleitet. Keine Reaktion.

Die Zwischenlösung funktionierte auch so. Bis jemandem auffiel, dass man sowohl dem Projekt talmud.de, als auch diesem Blog hervorragend schaden kann, indem man eine formelle Karte spielt. Dazu braucht man natürlich einen motivierten Mitspieler, der bereit ist, diesen formalen Weg zu gehen. In diesem Fall war es die Landesanstalt für Medien NRW (wir erinnern uns: »Der Meinungsfreiheit verpflichtet«). Kurze Beschwerde an die Landesanstalt und diese beginnt ein Standardprogramm. Schaut sich das Impressum an und beschließt: Das kann so nicht bleiben. »Sie verletzen die Anbieterkennzeichnungspflicht«. Änderung, also Eintragung der Adresse bis Anfang Mai. Eine Eintragung der Adresse war überhaupt nicht denkbar. Also wurden die Seiten offline genommen, denn sie verletzten ja die Anbieterkennzeichnungspflicht.

Entscheide Dich Blogger: Sicherheit oder Publizieren.
Also Sicherheit.
In diesem Sinne war es eine doppelte: Rechtssicherheit und die Sicherheit durch die Nichtnennung der Adresse.
Eine Mail an die Sachbearbeiterin mit einem ausdrücklichen Hinweis auf die Gefährdungssituation wurde recht technokratisch mit einem Hinweis auf Anbieter übergangen, die entsprechende Postadressen für eine entsprechende Bezahlung anbieten. Auf die konkrete Situation wurde nicht eingegangen.
Und diesen Punkt sollte man sich vergegenwärtigen: Jüdinnen und Juden, oder eigentlich jede Person, die zur Zielscheibe von Hass werden kann, muss technische Vorkehrungen bezahlen, weil ihre Sicherheit ansonsten nicht gewährleistet werden kann. Das sollte die Lösung sein?

Am Dienstag, noch bevor ich mich darüber beschweren konnte, dass mein Gegenüber die Lage überhaupt nicht erfasst (oder interessiert) hat, rief bereits jemand vom Bereich »Kommunikation« der Landesanstalt für Medien NRW an. Es hat wohl Nachfragen an die Landesanstalt für Medien gegeben – von Medien. Auch von den »Goldenen Bloggern« einem Bloggerpreis, der am 24. April 2023 in Düsseldorf vergeben wird. Zufällig ist auch dieser Blog hier für eine Kategorie nominiert. Unter normalen Umständen wäre das eigentlich DIE Meldung in eigener Sache in dieser Woche gewesen.

Mein Gegenüber erklärte, dass es zu keinem Zeitpunkt die Absicht der Landesanstalt gewesen sei, jüdische Webangebote zu verhindern. Da sei man missverstanden worden. Die Abläufe seien sehr standardisiert, der Einzelfall sei nicht betrachtet worden und das sei bedauerlich. Man könne auch dabei behilflich sein, hier eine Lösung zu finden. Im Prinzip also der Versuch, kommunikativ das aufzufangen, was Behörden oder öffentliche Einrichtungen tun, wenn sie Schemen blind abarbeiten.

Und jetzt? Eine Lösung für alle Betroffenen muss her!

Das Tikvah Institut reagierte recht schnell auf Twitter und schrieb:

Es braucht für solche Fälle eine Pseudonymisierungsmöglichkeit für Adressen. Es kann nicht sein, dass man als gefährdete Person zum Selbstschutz finanziell zur Kasse gebeten wird oder zusätzliche Bürokratielasten zu tragen hat.

@TikvahInstitut auf Twitter

Es geht nicht darum, anonym im Netz zu operieren. Es geht darum, rechtssicher zu agieren und als Person geschützt zu sein, ohne dafür noch extra zahlen zu müssen, oder besondere Aufwände betreiben zu müssen. Auf der einen Seite begegnen uns im Netz immer strengere Anforderungen durch die DSGVO, auf der anderen Seite sollen Adressdaten ins Netz geschrieben werden.
Hier ist die Politik gefragt. Gerade dann, wenn es um Meinungsfreiheit geht.
Wie wir alle wissen, agieren die Leute da draußen sehr viel ungehemmter als es früher der Fall war. Der Fall mit diesem Blog war sicher nur einer. Andere möchten möglicherweise überhaupt kein Webprojekt beginnen, weil sie sich offenbaren müssen. Dieses Thema muss auf die Agenden. Gerade auch, wenn wir über die »Förderung jüdischen Lebens« sprechen, zu der man sich öffentlich ja so gerne bekennt.
Wie? Vielleicht durch Adresscodes, die nur die Deutsche Post entschlüsseln kann? Die Postnummer kann die Post ja auch zuordnen. Mittlerweile geschieht ja ein Großteil der Postsortierung und Zuordnung digital.
Oder eine gemeinnützige Anlaufstelle für derartige Fälle?
Sicher gibt es zahlreiche weitere Ideen.
Die große Partizipation im Netz ist ansonsten wieder nur eine Party für diejenigen, die gerne gesehen werden.

Für diesen Blog hier wurde dankenswerterweise eine individuelle Lösung gefunden. Auf die »große« Lösung müssen wir noch warten.

Übrigens: Postfächer sind keine Lösung. Die sind nicht möglich. Es müssen Adressen mit der Möglichkeit sein, einen Brief zu übergeben.

Danke an alle, die spontan Hilfe angeboten haben! Erfreulicherweise waren das nicht wenige.