Literarischer März

Max Czollek, der von den Feuilletons dieses Landes recht viel Beachtung erhält und eine stabile Fanbasis hat, hat 2021 für viel Wirbel gesorgt, weil er – eigentlich ohne Not – über Twitter kundgetan hatte, Maxim Biller betrachte ihn nicht als Jude (alles hier nachzulesen). Der reagierte darauf mit einem Text und wochenlang diskutierte das Feuilleton über »patrilineare« Jüdinnen und Juden und auch über Max Czollek. Die Follower focht das nicht an. Diejenigen, die sich ein differenziertes Bild machen wollten, vielleicht schon eher.

Jetzt sieht es so aus, als hätte sich der Autor wieder in den Mittelpunkt einer kleinen Auseinandersetzung gesetzt. Dieses Mal geht es um den »Literarischen März« in Darmstadt. In dessen Rahmen werden der Leonce-und-Lena-Preis und der Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis verliehen. Czollek hat keinen Preis gewonnen. Ob er es ironisch meint, dass dies ein Skandal sei, kann ich an dieser Stelle nicht entschlüsseln. Im Anschluss an die Veranstaltung schrieb er einen langen Text darüber, was alles an dem Preis und seiner Jury nicht stimme. Der Text ist hier zu finden, auf faustkultur.de. Die Jury zu deutsch, zu weiß, nicht in der Lage, bestimmte Anspielungen zu verstehen. Eine anders zusammengesetzte Jury wäre zu anderen Ergebnissen oder Diskussionen gekommen. Zufällig nennt er Namen aus seiner Bubble. Etwa Mely Kiyak. Gegenrede und Support folgten.

Bemerkenswert ist jedoch die Replik des jüdischen Lyrikers Yevgeniy Breyger (Geburtsjahr 1989), der aus Charkiw stammt und 2019 den, oben genannten, Leonce-und-Lena-Preis erhielt und die Replik mit »Meine jüdische und migrantische Perspektive auf das Anliegen von Max Czollek« überschrieb. Er gibt ihm teilweise recht, widerspricht ihm aber auch. Aber er hat vor allem Kritik am Programm von Max Czollek:

Hierzu muss ich sagen, als ich diese Gedichte hörte und mitlas, fühlte ich mich auf doppelte Art und Weise beleidigt. Einmal als Dichter und einmal als Jude.

Yevgeniy Breyger auf lyrikkritik.de

Er fährt fort mit:

Hier stand jemand auf der Bühne, der eindeutig das „Thema Judentum“ für sich gewählt hatte. ‚Gewählt hatte‘ bedeutete diesmal vor allem ‚nutzte‘.

Yevgeniy Breyger auf lyrikkritik.de

und

Noch nie in meinem Leben habe ich den Holocaust als dermaßen für Textzwecke missbraucht empfunden wie hier.

Yevgeniy Breyger auf lyrikkritik.de

Yevgeniy Breyger war vor Ort. Er konnte seine eigenen Eindrücke schildern und beobachten, wie gut Czolleks Text im feuilletonistischen Umfeld aufgenommen wurde: Weil er Zugang zu dieser Welt hat und die für sich nutzen kann. Deshalb wird eine Diskussion daraus. Vermutlich wird sie uns nicht so lange begleiten wie die Debatte um die Patrilinearität. Vielleicht wird sie aber die Wahrnehmung ähnlich verändern.

Artikelbild: Verändertes Bild von Kritzolina, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons