Nicht erst seit Elon Musk das Twitter-Universum regiert, überlegen zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer zu »wechseln«. Für Jüdinnen und Juden war und ist Twitter nicht gerade ein sicherer Raum. Das Moderationsteam von Twitter scheint generell die deutsche Gesetzeslage recht frei auszulegen. Sehr robuste Beleidigungen oder Bedrohungen verstoßen meist nicht gegen deutsche Gesetze – meinen die wenigen Content-Moderatoren von Twitter. Dass die alle eine juristische Ausbildung haben, darf an dieser Stelle angezweifelt werden. Aber das nur am Rande.

Nur, wohin sollte man migrieren?

Hier bot sich der Mikroblogging-Dienst »Mastodon« an. An der Bezeichnung des Dienstes kann man schon erkennen, dass es kein Produkt der Industrie ist, denn bei der Namensfindung war offensichtlich kein Marketing-Team beteiligt. Der Dienst wurde also nicht von einem Mitbewerber von Twitter als »Klon« gebaut (man denke an StudiVZ vs. facebook, oder vk vs. facebook), sondern von Eugen Rochko (@gargron) als dezentrale Software programmiert. Meint: Sollte jemand technisch in der Lage sein, einen Server mit der Software zu betreiben, kann er das tun. Zum Beispiel könnte ein Unternehmen oder eine Einrichtung ihren eigenen Server zur Verfügung stellen. Die Nutzer dieses Netzwerkes wären jedoch auch für diejenigen auf anderen Servern sichtbar. Der Handle, also der Nutzername, ähnelt deshalb einer Mailadresse. Ein Beispiel wäre @abraham@torah.book: Nutzer Abraham auf dem Server torah.book. Wer ihm folgt, sieht seine Beiträge in seiner Timeline. Behörden greifen etwa auf social.bund.de zu.

Und »ja«: Eugen Rochko ist aus Deutschland und »ja«, er kommt aus einer russisch-jüdischen Familie (Interview Free Software Foundation). Verwunderlich, dass die Community das bisher nicht feiert.

Aber »nein« – das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass ein Mastodon-Server ein sicherer Ort für Jüdinnen und Juden ist:
Jeder Serverbetreiber könnte seine eigenen Regeln machen. Wer auf einem kleinen Server unterwegs ist und sich zu einem Thema äußert, dass dem Admin nicht gefällt, könnte sein Konto verlieren. Ein Israelfähnchen-Icon in der Beschreibung könnte dazu führen, dass man wegen »Nationalismus« von einem Server entfernt wird. Das soll passiert sein. Eugen Rochko ist nicht Elon Musk und könnte auch gar nicht kontrollieren, wer den Dienst auf welche Weise einsetzt. Das ist ja auch gar nicht gewollt. Es gibt also eine Reihe von Servern, auf denen sich harte politische Ansichten tummeln. Theoretisch könnte jeder Betreiber eines anderen Servers, diese obskuren Server wiederum für die Kommunikation mit dem eigenen Server sperren. Vermutlich ist die Idee klar.

Ein wichtiger und öffentlicher Server ist mastodon.social, der von der gGmbH von Rochko betrieben wird (und auf dem übrigens der Autor dieser Zeilen seinen Account hat). Hier wäre der Start eigentlich recht leicht. Aber auch hier ist nicht klar, wie der Nutzerzulauf die Situation verändern wird.

Wäre es da nicht eine gute Idee, einen eignen Server für jüdischer Nutzerinnen und Nutzer zu haben? Einen, auf dem Antisemitismus kein Thema wäre und niemand davon abhängig wäre, ob der Admin plötzlich meint, ein jüdischer Account würde das Miteinander stören. Es wäre ein »geschützter« Raum und dennoch Teil des Ganzen. Letztendlich kann es natürlich passieren, dass dieser Server von anderen blockiert werden könnte. Parallelen zum Staat Israel und der Staatengemeinschaft?

Gibt es diese Server? Gerade (November 2022) hat auf babka.social ein Betatest begonnen (der Autor dieser Zeilen ist auch dabei, also mit einem Zweitaccount @chajmke) – mit einem Netzwerk für die jüdische Community. Anscheinend ist aber auch aleph.land ein Server, der von der Community genutzt werden könnte. Es ist übrigens möglich, auch Nachrichten zu verfassen, die nur für die angemeldeten Nutzer eines Servers sichtbar sind. Es gäbe also zwei Kreise von Öffentlichkeit. Hier könnte man sich schon einmal umschauen und die Dienste beanspruchen.

Beschämend (für die Gesellschaften), dass es diese Extra-Server offensichtlich braucht, aber gut, dass sich hier auch etwas bewegt. Ob sich das Konzept von Mastodon allerdings durchsetzt, steht auf einem anderen Blatt. Das dürfte sich jetzt gerade entscheiden. Ein Twitter-Klon ist jedenfalls nicht in Sicht.