Die Betrachtung der Anzahl der Gemeindemitglieder hat in diesem Jahr lange auf sich warten lassen. Das liegt auch zum Teil daran, dass bereits eine Betrachtung an anderer Stelle erschienen ist: Für und bei der ZWST direkt! In der zweiten Ausgabe der »ZWST informiert« von 2022 (hier herunterladen). Dennoch werden wir an dieser Stelle die wichtigsten Eckpunkte betrachten und schauen, welche Entwicklungen besonders interessant sein könnten.

Dass auch 2021 die Mitgliedszahlen sanken, ist keine Überraschung. Jedenfalls nicht für diejenigen, die die Entwicklungen der Vorjahre kennen. Wer hingegen die Zahlen mit denen von 1989 vergleicht, wird überall Wachstum sehen. Entscheidend ist jedoch, dass man die Entwicklung erkennen kann – auch um daraus etwas abzuleiten.

Mitglieder der Jüdischen Gemeinden und Jahr 1946 bis 2021

Mitglieder und Jahr bis 2021

Die Gemeinden werden insgesamt älter und kleiner.

Die Anzahl der Menschen über 80 Jahren ist von 13 auf 15 Prozent gestiegen. Die Anzahl der Geburten ist weiter zurückgegangen.

Betrachten wir die Altersverteilung in absoluten Zahlen:

Altersverteilung in absoluten Zahlen

Noch ein Blick auf die Geburten und die Sterbefälle:

Geburten und Sterbefälle in der Entwicklung

Geburten und Sterbefälle in der Entwicklung

Bei einem detaillierten Blick zeigt sich jedoch, dass dieser Schrumpfungsprozess nicht gleich verteilt ist.

Einige Gemeinden schrumpfen schneller als andere. Das prominenteste Beispiel ist die Jüdische Gemeinde Berlin. Sie war lange Zeit die größte Gemeinde Deutschlands. Seit 2018 hat die Israelitische Kultusgemeinde diese Position mit 9316 Mitgliedern übernommen. Heute hat München 9177 Mitglieder und Berlin 8378. Und dennoch hat München seit 2010 drei Prozent der Mitglieder verloren. Bei der Jüdischen Gemeinde Berlin waren es im gleichen Zeitraum etwa 20 Prozent. Die Gemeinde ist damit nicht allein. Auch Bremen und Gelsenkirchen haben ähnliche Einbußen zu verzeichnen. Münster und Dessau kommen auf 37 und 34 Prozent.

Wachstum der größten Gemeinden Deutschlands im Vergleich zum Jahr 2010 - eine Karte

Wachstum der größten Gemeinden Deutschlands im Vergleich zum Jahr 2010

Übertritte

Wenngleich 2022 die Berliner Kantorin Avitall Gerstetter behauptete (auf WELT-Online vom 10.08.2022 hier), die Synagogen seien voll mit Menschen, die keine jüdische Sozialisation haben (diese Zusammenfassung hier ist natürlich etwas dramatisiert), so wird bei Betrachtung der konkreten Zahlen klar, dass es seit 2008 genau 985 Menschen waren. Mit eingerechnet sind Konversionen zur Klärung von Statusfragen (Patrilinearität etwa). Die Wahrnehmung von Avitall Gestetter scheint sich auf ihr Umfeld progressive Synagogen zu beziehen, von denen einige auch nicht im Zentralrat der Juden in Deutschland organisiert sind und deshalb keine Zahlen liefern – aber über welches Bejt Din? Aus dem Ausland? Die Diskussion über diesen Artikel wird die Community vielleicht noch begleiten, aber hier betrachten wir die reinen Zahlen:
Im Jahr 2021 traten 43 Personen zum Judentum über.

Übertritte zum Judentum pro Jahr. Von 2008 bis 2021

Austritte

»Groß« ist weiterhin die Gruppe der Ausgetretenen. In diesem Jahr waren es 337 – die Zahl wirkt klein im Gegensatz zur Zahl der Todesfälle in Höhe von 1759, aber sie ist größer als die Zahl der 203 Geburten. Wenn wir die Zahl der Austritte seit 2010 summieren, wären das immerhin 5144 Personen. Das entspräche einer größeren Gemeinde. Die Leute sind nicht weg, sie wären vielleicht noch erreichbar.

Menschen aus der Ukraine

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine kommen auch Menschen aus der Ukraine nach Deutschland. Einige von ihnen sind jüdisch. Chabad Düsseldorf hat beispielsweise eine Gruppe von 30 jugendlichen Jeschiwa-Studenten aus Dnipro nach Düsseldorf gebracht, die dort/hier weiter Unterricht erhalten.
Wie hoch könnte die Zahl der jüdischen Personen sein, die nach Deutschland kommen? Der Versuch einer Schätzung: 0,13 Prozent der Menschen in der Ukraine sind jüdisch. Wenn wir diese Zahl auf die Flüchtenden hochrechnen, wären das etwa 1000 Menschen bisher im Jahr 2022. Aber diese Menschen benötigen zunächst unsere Hilfe und werden sich in erster Linie nicht für eine Gemeindemitgliedschaft interessieren. Einige Gemeinden haben aber gezeigt, dass sie mit der Infrastruktur, die sie haben, den Menschen helfen konnten. Unabhängig davon, ob sie jüdisch sind oder nicht.
Übrigens kommen die Personen, die aus großen Städten kommen, somit auch aus Städten mit einer guten jüdischen Infrastruktur.

Die Zahlen, mit Berücksichtigung des Gemeindebarometers des Zentralrats, könnten dabei behilflich sein, Maßnahmen zu treffen und konstruktiv mit ihnen umzugehen. Sie sind keine Demotivation und keine Schwarzmalerei.

Die Statistik des Vorjahres (2020) findet man hier.