Besser spät als nie ein Hinweis auf den großartigen Film »Ida« von Regisseur Pawel Pawlikowski (er war schon 2014 in einigen Kinos zu sehen). Ein Film zu einem jüdischen Thema über dem kein großes leuchtendes Schild »hier jüdischer Content« hängt. Die Beschreibung enthält spoilernde Elemente.

Lis (Dawid Ogrodnik) und Ida (Agata Trzebuchowska) Copyright Opus Film

Die Hauptfigur des Films trägt zunächst auch nicht dazu bei, hier ein jüdisches Thema zu erkennen. Anna, so heißt sie, ist nämlich Nonne. Anscheinend steht sie vor der Entscheidung, sich fest für das Leben im Kloster zu entscheiden. Bevor sie das tut, erfährt sie von der Leiterin des Klosters (Priorin heißt das wohl), dass sie ihre Tante Wanda besuchen muss – ihre einzige lebende Verwandte. Die Reise geht nach Warschau und Wanda entpuppt sich als kettenrauchende, trinkfeste, eher promiskuitive Frau und – überraschend – Richterin.

Sie offenbart Anna, dass ihr eigentlicher Name Ida sei, Ida Lebenstein. Tochter von Róża and Haim Lebenstein. Juden, die während der Schoah ermordet wurden. Ida wurde von Nonnen aufgenommen und als Waise in einem Kloster aufgezogen. Wanda war kommunistische Widerstandskämpferin und später eine berüchtigte Staatsanwältin, die »blutige Wanda« (Krwawa Wanda).

Hier nimmt der Film zunächst eine, vielleicht etwas konventionelle, Wendung:

Wanda rät Ida (natürlich), einige der Verlockungen der Welt »draußen« zu probieren, bevor sie sich entscheidet, definitiv im Kloster zu bleiben. Prompt trifft Wanda den Anhalter Lis (»Fuchs«), ein Jazzmusiker, der zum gleichen Zielt möchte. Nun versucht Wanda noch Ida, sie zum Konzert von Lis zu bringen. Klar, Lis interessiert sich für Ida.

Aber an dieser Stelle wird der Film ungemütlicher und weicht von der »weltliche Versuchungen Geschichte« doch (im wahrsten Wortsinne) dramatisch ab , denn Ida möchte die Gräber ihrer Eltern besuchen, oder sehen, wo sie umkamen. Doch das ist nicht genau bekannt. Wanda fährt mit ihr zu ihrem Elternhaus. Diesen wird jetzt von einem polnischen Bauern bewohnt. Hier zeigt sich, dass seine Familie das Haus schon während des Krieges übernahm und die Lebensteins zunächst vor den Deutschen versteckt hat. Der Vater erinnert sich an Róża, erzählt aber nicht viel. Auch Wandas Sohn habe in diesem Haus gelebt, erzählt sie. Er konnte natürlich als Neugeborener nicht mit in den Widerstand. Nach einer Diskussion erklärt der Bauer sich bereit, den Frauen zu zeigen, wo die Toten begraben sind – wenn diese ihren Anspruch auf das Haus aufgeben. Im Wald stoßen sie auf die Überreste von Idas Eltern und Wandas Sohn. Es stellt sich heraus, dass der Bauer sie getötet hat und Ida nur hat leben lassen, weil sie offenbar »nicht jüdisch« aussah. Die Frauen nehmen sich also der Überreste an und nehmen sie mit. Hier folgt keine Quentin Tarantino Wendung der Geschichte – Paweł Pawlikowski erzählt in seinem eigenen Tempo die Geschichte der Frauen weiter. Das Ende wird natürlich nicht verraten.

Der Schwarzweißfilm ist eine Art Roadmovie, allerdings bewegen sich die Akteure in die Vergangenheit, die zugleich nur implizit präsent ist. Niemand nennt die Schoah und die Täter beim Namen. Das politische System Polens der 60er Jahre wird nicht auserklärt – die Konflikte mit der Vergangenheit ebenfalls nicht. Die Geschichte von Ida soll hier offensichtlich exemplarisch sein. Jede Einstellung des Films erzählt diese Geschichte eines Landes, das ein Fünftel seiner Bevölkerung im Krieg gegen Deutschland verloren hat. Drei Millionen Jüdinnen und Juden waren darunter. Riesige, graue, leere Himmel, nahezu leere Dörfer. Schöne und zugleich beunruhigende Bilder. Auf der anderen Seite eine gewisse Wärme von schicken jungen Leuten, die sich zur Musik treffen. Und in diese Szenerie hat der Regisseur die zwei Frauen gesetzt. Jede der beiden beeindruckend besetzt und wenngleich Ida/Anna an einem Kreuz am Wegesrand aussteigt um zu beten, so behandelt er ein jüdisches Thema. Das muss man denjenigen auch nicht erklären, die den Film gesehen haben. Die Vergangenheit, die zugleich die Gegenwart durchwirkt natürlich und wenn Wanda auf den Bauern trifft, blitzt auch kurz die Möglichkeit von Rache auf. Die 80 Minuten entfalten eine interessante Wirkung.

Es gibt den Film bei einigen Streamingdiensten. An dieser Stelle sei er ausdrücklich empfohlen.