Wieder Gelsenkirchen

Weniger als einen Monat nach dem kleinen Pogromversuch von Gelsenkirchen, hat es in Gelsenkirchen wieder eine Einrichtung der Gemeinde getroffen: Das Fenster der Trauerhalle des Gemeindefriedhofs wurde beschädigt. Eine übersichtliche Pressemeldung der Polizei klärte jetzt darüber auf (hier zu finden). Dabei ist der Friedhof, ja offensichtlich aus guten Gründen, nur noch mit einem Schlüssel zugänglich und liegt nicht zentral in der Stadt. Er ist also kein Ziel, an dem zufällig vorbeischlendert und im Affekt handelt.

Einer der älteren Grabsteine auf dem Friedhof der Gemeinde.

Heute ist er übrigens etwas weniger versteckt als früher. Doch der Reihe nach: Der Friedhof war lange über einen christlichen Friedhof direkt zugänglich oder über eine kleine Zufahrt. Die Zufahrt hat ein verschließbares Tor und ist recht lang. Dafür muss man nicht über den christlichen Friedhof laufen. Der Zugang von Friedhof zu Friedhof wurde dann in den letzten Jahren geschlossen und mit einem Zaun und einer Hecke ersetzt. Natürlich wäre es toll, wenn jeder Mensch sich das anschauen könnte, aber Zugänglichkeit hat ihren Preis – wie jetzt gerade bewiesen wurde. Einige Zeit schien auch jemand im überdachten Eingangsbereich der Trauerhalle zu übernachten. Klar. Abgelegenheit bedeutet auch, dass man ungestört ist. Direkte Nachbarn sind der andere Friedhof und ein Gebiet mit kleinen Autowerkstätten und Verschrottern. Flankiert wird der Friedhof von einem Bereich, der früher die Trasse der Rheinischen Eisenbahn war. Das Gebiet war dicht bewachsen. Doch heute ist die Trasse ausgebaut zu einem Spazier- und Radweg. Dieser liegt nun etwas über dem Friedhof und gestattet nun einen perfekten Blick auf das, was sich dort abspielt. Spaziergänger können sich also heute mit einer zooartiger Faszination anschauen, was dort unten passiert. So war es jedenfalls bei meinem letzten Besuch dort. Die topographische Distanz suggeriert physische Distanz und sorgt eher für ein Gaffen, statt für ein freundliches »zur Kenntnis nehmen«. Es ist also kein geschützter Bereich mehr – zumindest in Bezug auf die Privatsphäre.

Soll ich nun tatsächlich floskelhaft fragen, was wohl die Reaktionen auf die Sachbeschädigung sein werden? Das lassen wir lieber. Alle kennen die Antwort.

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

2 Kommentare

  1. Herzl schrieb im Juni 1895 in sein Tagebuch: „ In Paris habe ich, wie gesagt, eine freiere Haltung gegenüber Antisemitismus erreicht … Vor allem erkannte ich die Leere und Sinnlosigkeit des Versuchs, Antisemitismus zu “bekämpfen.”

    Kaum ein Zitat hat mich so wütend gemacht wie dieses hier und heute erst – gerade eben – wurde mir bewusst warum es mich so erzürnt hat. Herzl und die seinen durften und dürfen es; ich aber werde mich niemals dieser Seuche zu beugen. Allein stehe ich nicht, doch der gesamte Rest der NS-Erben wird sich irgendwann dazu gesellen; dass ist nun einmal die logische Konsequenz der Folgen von Auschwitz. Noch nicht einmal ein Sandkorn …..

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