Har­ry Kemelman beschleunigt

Harry Kemelmans Bücher sind in Deutschland vor allem einem älteren und philosemitischen Publikum ein Begriff. Elf seiner Detektivromane mit Rabbi Small gibt es in deutscher Übersetzung. Tatsächlich sind sie gar nicht so schlecht und beschreiben das Leben eines konservativen (im Sinne von Masorti) Rabbiners in den USA. Dass der Verlag, der die Bücher heute in deutscher Sprache herausgibt (Unionsverlag) ein zufälliges Bild charedischer Juden auf den Umschlag von »Am Freitag schlief der Rabbi lang« (Friday the Rabbi Slept Late) packt, sagt recht viel – dabei hat das Buch in der englischen Originalausgabe (die sich sensationell verkauft hat) den Untertitel »an unorthodox mystery«. Kemelmans Bücher haben, zumindest in den USA, auch ein großes jüdisches Publikum gefunden und einen interessanten Helden erschaffen. Wichtiger als der eigentliche Fall waren die Einblicke in das Gemeindeleben und die Beziehungen der Akteure untereinander. Das hat Kemelman nicht immer ohne Kritik an den Verhältnissen gemacht.

Rachel Sharona Lewis hat direkt daran angeknüpft, sprachlich (sie ahmt den Stil Kemelmans nach), inhaltlich und natürlich auch visuell (man vergleiche die Cover der Originalausgaben). Allerdings hat die Autorin die Schraube viel weiter gedreht. Aus Rabbi Small wurde eine Rabbinerin. Rabbinerin Vivian. Eine lesbische Rabbinerin. Statt um Mord, geht es hier aber um Brandstiftung, Immobiliengeschäfte und gesellschaftliche Schieflagen. Es geht um ihre Schwierigkeiten mit Leuten, die in der Gemeinde viel zu sagen haben, weil sie viel Geld einbringen und darum, wie sie selber ihren Platz in der Gemeinde findet. Das Buch behandelt viele kleine dieser Themen, mit zahlreichen Figuren – das ist vielleicht eine Schwäche des Buches: Das ambitionierte Einführen zahlreicher Figuren.

Wie Kemelmans Buch, ist auch das Buch von Rachel Sharona Lewis eine Momentaufnahme eines Teils der US-amerikanischen Gemeinden und sollte auf keinen Fall stellvertretend für alle gelesen werden. Für jemanden, der religiös anders verdrahtet ist, ist das herausfordernd. Ziemlich weit weg von der Lebensrealität der Gemeinden in den deutschsprachigen Ländern ist es sowieso, aber immerhin ein Einblick.

[lightgrey_box] The Rabbi who prayed with Fire
2021 Ladiesladies Press
ISBN13: 9781792356537
Preis: Taschenbuch 12,29 Euro (ca.); ebook: 6,73 Euro (ca.)

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Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

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