»Traditionell« erscheint nach Pessach die Mitgliederstatistik der ZWST für das Vorjahr. Mit Überraschungen ist eigentlich nicht mehr zu rechnen und dennoch passieren Dinge: Im Jahr 2020 waren 93.695 Menschen Mitglied einer jüdischen Gemeinde in Deutschland. Im Jahr 2019 waren es noch 94.771 – das ist ein Rückgang von 1.076 Menschen (oder 1,1 Prozent). Der Rückgang von 2018 zu 2019 lag noch bei 1,5 Prozent.
225 Geburten stehen 1.544 Todesfällen gegenüber. Unten werden wir noch etwas zu Austritten und Übertritten lesen.
349 Menschen sind eingewandert und haben sich in Gemeinden angemeldet.
122 Menschen haben das Land verlassen.
Am Ende werden wir sehen, woher Brandenburg 435 »sonstige Zugänge« hat.
Weil das Jahr 2020 »rund« ist, können wir einen Zeitraum von 10 Jahren betrachten. 2010 hatten die Gemeinden noch 104.024 Mitglieder. Das wäre ein Rückgang von 9,9 Prozent in 10 Jahren. Am stärksten schrumpfte die Jüdische Gemeinde Berlin. Sie hatte 2010 noch 10.599 Mitglieder, 2020 waren 8.702. Ein Minus von 17,9 Prozent. Das ist der höchste Wert unter den zehn größten Gemeinden (siehe die Infografik und die Tabelle unten) und der entspricht nicht der Intuition: Berlin als Magnet für jüdische Menschen aus der ganzen Welt – ja, aber sie scheinen sich nicht alle für eine Gemeindemitgliedschaft zu interessieren.
Von diesen zehn größten Gemeinden ist München am wenigsten geschrumpft (um 2,4 Prozent) und München ist damit (seit 2018) die Stadt mit der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands. Auch sonst ist die Stadt an der Isar anders aufgestellt als Berlin: München hat 532 Gemeindemitglieder mehr aufzuweisen, aber viel weniger Austritte (in absoluten Zahlen) als Berlin.

Stadt | Mitglieder 2010 | Mitglieder 2020 | Wachstum | Wachstum/Prozent |
---|---|---|---|---|
Hamburg | 2779 | 2312 | −467 | –16,80% |
Duisburg-MH-OB | 2755 | 2401 | −354 | –12,85% |
Dortmund | 3200 | 2724 | −476 | –14,88% |
Stuttgart | 3030 | 2725 | −305 | –10,07% |
Köln | 4418 | 4016 | −402 | –9,10% |
Hannover | 4489 | 4029 | −460 | –10,25% |
Frankfurt | 6832 | 6212 | −620 | –9,07% |
Düsseldorf | 7080 | 6575 | −505 | –7,13% |
Berlin | 10599 | 8702 | −1897 | –17,90% |
München | 9461 | 9233 | −228 | –2,41% |
Die Anzahl der Austritte ist stets etwas abstrakt. Die Zahl wird zwar ausgewiesen, aber aufgrund der unterschiedlichen Gemeindegrößen müssen sie unterschiedlich interpretiert werden. Aus diesem Grund sind hier die relevanten Landesverbände bzw. eigenständige Gemeinden mit den größten Verlusten so aufgeführt, dass man sie miteinander vergleichen kann: Austritte pro Tausend Mitglieder:
Ebenfalls interessant ist die Frage, ob die »Abgänge in andere Gemeinden« und die »Zugänge aus anderen Gemeinden« ausgewogen sind. In einer idealen Welt ist die Differenz recht klein. Ob sie das ist, kann man an dieser Stelle nicht sagen. Auf fünf Jahre verteilt, beträgt die Differenz 114 Personen. Das ist keine sehr große Zahl, aber es gibt einen kleinen Verlust. Nicht alle, die sich abmelden, kommen auch irgendwo wieder an.
Die Altersstruktur
Es ist mittlerweile bekannt, dass die Senioren klar in der Mehrzahl sind. Wenn wir die Gemeinde (also die Gemeinde aus allen Gemeinden) mit nur 10 Personen darstellen würden, wäre 1 Person ein Jugendlicher, 4 wären Erwachsene und 5 Senioren.
Um auch die Aufteilung in Geschlechter deutlich zu machen, rechnen wir hier mal auf 20 hoch: von den Senioren wären 6 Frauen und 4 Männer. Bei den Erwachsenen (8 insgesamt) und Jugendlichen/Kindern (2!) hält sich das Verhältnis ungefähr die Waage, obwohl es in einigen Alterskohorten leichte männliche Überschüsse gibt.


An dieser Stelle lohnt sich vielleicht ein Vergleich des Durchschnitts mit der größten jüdischen Gemeinde in Deutschland (und der drittgrößten Stadt Deutschlands) , München, die auch eine sehr kleine »Schrumpfungsrate« hat (2,41 Prozent) – die Gemeinde scheint etwas jünger zu sein als der Durchschnitt:
Berlin und München
Und noch ein Vergleich: Die drei größten Städte in Deutschland sind Berlin (3,6 Millionen Einwohner), Hamburg (1,8 Millionen) und München (1,5 Millionen Einwohner), aber die Größe der Jüdischen Gemeinde spiegelt das nicht wieder. München ist die größte Gemeinde des Landes und liegt in vielen Bereichen vor Berlin. Hamburg ist erst Nummer 10 unter den zehn größten Gemeinden des Landes.
Haben 2020 in Berlin 137 Menschen die Gemeinde verlassen, waren es in München nur 27. Während sich in Berlin 47 Menschen bei der Gemeinde angemeldet haben (nach Einwanderung, Zuzug oder ähnlichem), waren es in München 73.
Klar, München scheint den besseren Lebensstandard zu bieten und ist eine sehr lebenswerte Stadt. Wohnen in München ist jedoch auch mit hohen Kosten verbunden. Vielleicht bietet Danel Feinkost noch immer die koschere Weißwurst an und die hat sich als Magnet herausgestellt?
Übertritte
Die Anzahl der Übertritte zum Judentum pendelt zwischen 60 und 100. Ganz offensichtlich sind Übertritte keine Lösung für ein demographisches Problem – München (zwei Übertritte in 2020) zeigt das übrigens.

Eine Besonderheit in Brandenburg
Zu Beginn hieß es, Brandenburg hast 435 »sonstige Zugänge« zu verzeichnen. Das ist leicht zu erklären. In diesem Jahr kommen zwei Potsdamer Gemeinden hinzu. Sie sind dem Landesverband Brandenburg wieder beigetreten oder neu gegründet worden. Die Gemeinde »Adass Israel« unter Rabbiner Reuven Konnik (Rabbinerseminar Berlin) ist neu im Spiel (47 Mitglieder) und als konstruktive Partei rund um den Synagogenbau Potsdam aufgefallen. Zur Stabilisierung Potsdams wird das sicher beitragen.
Wie immer, steht die Statistik auf der Website der ZWST zum Download zur Verfügung.
danke für den bericht.
münchen scheint andere leute anzuziehen als berlin. mir persönlich ist die stadt auch sympatischer.
ich wusste nicht, dass du malen kannst. die erste grafik ist lustig.
Ja, München ist nicht unattraktiv – in der Theorie. Praktisch ist München ja nicht die günstigste Stadt. Das hängt ja wiederum mit der Attraktivität zusammen…
»Malen« ist ein großes Wort. Das ist ja keine Handzeichnung. Wenn jemand Illustrator bedienen kann, ist das noch kein malen 😉
Rav Konnik ist meines Wissens nach nicht in Potsdam tätig. Der entsprechende Artikel in der JA hat nur gesagt, dass er Rabbiner werden *soll*. Ich sehe und höre hier aber nichts von ihm. Es gibt hier nur zwei orthodoxe Rabbiner: Rav Presman und der zur JG Potsdam zugekommene Ariel Kirzon.
Auch sonst wäre ich sehr vorsichtig, der “Adass Israel zu Potsdam” zu große Wirkmächtigkeit zuzuschreiben. Meiner privaten Meinung nach, basierend auf dem, was ich selbst gesehen und gehört habe, ist das ein Papierverein und seine Mitglieder gehen in die Synagoge der JG.
Die Mitgliederstatistik für 2021 wurde inzwischen auch veröffentlicht!
Kommt da noch ein Artikel?
OK, Artikel kommt ja anscheinend nicht mehr. 🙁
Was mir auffällt:
– in einigen (Groß-)Städten gibt es 2021 plötzlich eine merkbare Zunahme ganz junger Mitglieder im Kleinkinderalter, obwohl die Geburtenzahl insgesamt deutlich sank
– seltsam ist, dass in einigen Gemeinden in ALLEN Altersgruppen die Anzahl der Mitglieder im Vergleich zum Vorjahr gleichgeblieben ist. Ich würde mir da einfach mehr Transparenz wünschen
Welchen Effekt wird die Zuwanderung aus der Ukraine haben?
Schuster oder jemand von der ZWST meinte im Mai, es seien neue Mitglieder im 3-stelligen Bereich dazu gekommen. Schuster hatte sich sicher mehr erhofft!
Kennt jemand die aktuellen Zahlen (an Neumitgliedern)? Und wie viele Juden sind insgesamt (langfristig) nach Deutschland geflüchtet? Es gibt offiziell ja nur noch 45.000 Juden in der Ukraine – die meisten hochbetagt. Denke, davon sind eben kaum noch welche “richtige” Juden und die, die nach D kommen ziehen sowieso gleich weiter. Denn diese Menschen möchte ja in erster Linie Israel an sich binden.