Rabbiner William Wolff. Wilhelm (später William) Wolff emigrierte mit seiner Familie zunächst in die Niederlande und dann nach England. Dort studierte er »Nationalökonomie« und wurde Journalist. Kein schlechter, wie man hört. 1979 dann, im Alter von 52 Jahren, entschied er sich für ein Studium am Leo-Baeck-College — er wollte Rabbiner werden. Nachvollziehen kann man das gut im Film »Rabbi Wolff«.

Rabbiner Henry Brandt. Henry Brandt wurde in München geboren. 1939 emigrierte die Familie des elfjährigen Heinz Georg (später Henry) nach Tel Aviv. 1947 meldete sich Hanan (vorher also Heinz) zur Marine-Einheit des Palmach und wurde Leutnant. Er kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg. 1951 dann ging er nach Belfast und studierte Wirtschaftswissenschaften. Nach seinem Abschluss ging er in die Industrie. 1957, im Alter von 30 Jahren, entschied auch er sich für ein Studium am Leo-Beck-College. Auch er wollte Rabbiner werden.

Rabbiner Bea Wyler. Frau Rabbiner möchte sie genannt werden, deshalb steht das hier so. Sie wurde 1951 in der Schweiz geboren. Sie studierte Agronomie und wurde nicht nur Wissenschaftsredakteurin, sondern leitete schließlich das Wissenschaftsressort der Basler Zeitung. Nach einem Studium am Leo-Baeck-College und am konservativen Jewish Theological Seminary wurde sie 44-jährig Rabbiner(in). Wie erwähnt, damals legte sie Wert darauf, Rabbiner genannt zu werden. 1995 nahm sie das Rabbinat der jüdischen Gemeinde in Oldenburg an. Die Emotionen schlugen damals hoch. Kein Vergleich zur Strömungsdiskussionen heute. Es wurde »emotional« und ein maximaler Störfaktor in der Beschaulichkeit (der SPIEGEL berichtete). Sie war die erste Frau in diesem Amt in der Bundesrepublik Deutschland und sorgte dafür, dass einige Steine heute nicht mehr beseitigt werden müssen.

Elisa Klapheck, geboren 1962 in Düsseldorf (Kunstfreunde kennen den Namen Klapheck) studierte Politikwissenschaft, Jura und Judaistik in Nijmegen, Hamburg und Berlin. Sie wurde später Pressesprecherin der Jüdischen Gemeinde Berlin, wirkte aber auch journalistisch für Zeitungen und andere Medien. Später kümmerte sie sich um das Gemeindemagazin »jüdisches Berlin«. Sie initiierte 1999 mit anderen Frauen »Bet Debora«. Ein Netzwerk und eine Tagung für Rabbinerinnen, Kantorinnen und rabbinisch gelehrter Jüdinnen und Juden in Berlin. Mit etwa 37 Jahren begann sie ein Studium beim »Aleph Rabbinic Program« der Jewish Renewal Bewegung. 2005 wurde sie Rabbinerin in Amsterdam und wirkt(e) auch in Deutschland.

Warum stehen sie hier?

Diese vier Personen sind hier Stellvertreterïnnen für das »klassische« Rabbinat des traditionsorientierten liberalen und konservativen Judentums in Deutschland. Man muss ihre religiöse(n) Ausrichtung(en) nicht teilen — man kann Rabbiner orthodoxer Rabbinerseminare bevorzugen.
Aber: was die genannten Menschen jedoch auszeichnet — und das teilen sie mit einigen anderen — ist der Weg ins Rabbinat. Sie standen schon mitten im Leben und haben sich dann für diese Berufung entschieden. Der Gesprächspartner, das Gegenüber, wird die Lebenserfahrung zu schätzen wissen. Natürlich gibt es auch die Rabbiner aus einer »akademischen« Laufbahn, aber die sind hier nicht das Thema. Sich aus Lebenserfahrung heraus zu diesem Schritt entschlossen zu haben, ist mit Sicherheit der beste Weg für die Persönlichkeit selber und die Menschen, mit denen sie später zu tun haben wird.

Der SPIEGEL hat uns in dieser Woche einen anderen Weg präsentiert. Anscheinend weiß es die Autorin des Artikels »Wenn ich als angehende Rabbinerin nicht über Queerness im Judentum spreche, macht es niemand« besser.
Neben viel Marketingsprech und Superlativen wie »historisch«, »eine der ersten Frauen« (stimmt nicht, wie wir schon an diesem Artikel hier sehen) und »Ikone für eine neue jüdische Generation« (Feuerwerk der Superlative, aber auf welcher Grundlage?), wird hier vor allem die Jugend der angehenden Rabbinerin hervorgehoben. Dieser Schritt, das Lernpensum und die Festlegung auf das Amt kann bewundert, oder hinterfragt werden. Oder beides. Diese Mühe macht sich die Autorin des Artikels nicht.
Es wird in erster Linie ein Ego ausgebreitet und hier lauert eine Gefahr. Die Vertreterïnnen der Selfie-Generation sind heute mit viel Selbstbewusst- und Sendungsbewusstsein ausgestattet und erhalten meist schon einen großen Vorschuss an Lob und Vertrauen. Wer mit Selfies Follower sammeln konnte, wird mit seiner Personality das sicher auch mit seinem neuen Amt schaffen, ist vielleicht die Haltung. Sowohl die eigene, als auch die der wohlmeinenden Berichtenden.
Eine interessante Dynamik, die behauptete Relevanz in den Social Media Kanälen durch Berichterstattung weiter boostet und es immer schwieriger macht, die tatsächliche Relevanz zu erkennen oder zu hinterfragen. Lasst uns doch mal auf den Inhalt schauen und auf das, was dieser bewirkt und nicht auf den Eindruck, der entsteht.
Es gilt zu schauen, wieviel Substanz hinter etwas steckt. Ist mehr hinter einem Instagram-Account als ich, ich, ich, ich, ich, ich, ich, ich, andere mit mir, ich, ich, ich, andere mit mir, ich, ich und ich? Wie reflektiert kann jemand, der viel Zustimmung und Likes erfährt, mit Grenzerfahrungen umgehen? Es werden die Tage kommen, an denen man auf jemanden zugehen muss, der gerade in den Abgrund geblickt hat.
Hat man sich darüber Gedanken gemacht?
Nicht alle Gespräche mit Gemeindegremien und Gemeindemitgliedern werden freundliche Nettigkeiten sein. Die Erwartungen allerseits sind hoch. Die Porträtierte wird hoffentlich nicht wegen der Tatsache, dass sie die »wahrscheinlich jüngste Frau in Deutschland, die Rabbinerin wurde« war, in die Geschichte eingehen, sondern hoffentlich, weil sie beispiellos gute Arbeit geleistet hat. Ansonsten wäre das etwas wenig.

Der SPIEGEL-Artikel zeigt schön, was passiert, wenn man versucht, das Rabbinat in popkultureller Coolness darzustellen. Es wird eine Personality-Show. Willkommen beim Bento-Rabbinat.