Ach, siehe da. Antisemitismus eint die katholische und die evangelische Kirche.
Ist das nicht ein schöner, polemischer, Beginn?
Jetzt nehmen wir ein wenig Hitze raus und schreiben, um was es geht. Beide Kirchen wollen etwas gegen Antisemitismus tun. Das ist nicht neu. Neu ist aber, dass man nun zum Mittel des Plakats greift. Eine Kampagne soll sich insbesondere an Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen wenden und hier diejenigen abholen, die innerhalb der Gemeinden antisemitisch denken - das soll es ja auch geben.
Jüdisches und fremdes
Es steht im Allgemeinen bei Wohlmeinenden die Vermutung im Raum, dass »jüdisches« fremd ist oder einigen Leuten »fremd« vorkommt. Um dem zu begegnen, will man diesen Eindruck abbauen. Judentum soll nicht länger etwas fremdes sein.
Das ist nicht zu verwechseln mit den Initiativen , die Berührungsängste abbauen wollen und Begegnungen ermöglichen. Die (jüdische) Initiative Meet a Jew soll dabei helfen, dass auch jüngere Leute mal einen jüdischen Gesprächspartner erleben und vielleicht etwas länger überlegen, bevor sie etwas nachplappern. Andere machen kleinere Filme, bauen Instagram-Profile auf und zeigen, was Jüdinnen und Juden so machen. Diese Aktionen sind Bausteine eines größeren Konzepts. Ausschließlich darauf zu setzen, könnte in die falsche Richtung weisen. Denn wir wissen: Auch Leute, die tatsächlich Jüdinnen und Juden kennen, können Antisemiten sein. Antisemitismus ist nicht immer nur ein Mangel von Information. Nie war es übrigens einfacher als heute, sich zu informieren. Jüdinnen und Juden haben Jahrhunderte neben ihren nichtjüdischen Nachbarn gelebt, die deutschen Juden galten kurz vor der Schoah als »assimiliert« und dennoch war es nur ein kleiner Schritt, sie wieder auszugrenzen. Aber wir schweifen ab.
Was wäre also der nächste Move? Nehmen wir den Menschen die Angst vor dem, was sie nicht kennen, oder machen wir das Fremde weniger fremd?Die Kirchen haben sich, anscheinend jedenfalls, für die letzte Option entschieden und das hat Konsequenzen. Wenn man die zu tragen bereit ist: Alles gut.
Plakatmotiv Sukkot der gemeinsamen Aktion der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Es sollen, wie man oben am Motiv zu Sukkot sehen kann, Gemeinsamkeiten herausgestellt werden. Der Claim lautet
#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst
Das bringt eine Reihe von Problemen mit sich. Das offensichtlichste ist: Die Feste sind nicht vergleichbar. Na klar, man kann eine Botschaft extrahieren und diese dann betonen, es bleibt aber der Eindruck hängen, Sukkot sei »das jüdische Erntedankfest«, so wie Pessach häufig als das »jüdische Ostern« beschrieben wird.
Plakatmotiv Sukkot der gemeinsamen Aktion der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Um interkulturelle Kompetenz zu stärken, ist das genau der falsche Schritt. Zu »lernen« etwas in sein eigenes System von Schubladen zu quetschen, dürfte nicht sehr tragfähig sein. Letztendlich wird hier die eigene Normativität unterstrichen: Schmuel Normaljude feiert ähnliche Feste wie ich - also ist er fast wie ich oder meine Gruppe - also ist er gut.
Wäre er anders als ich, wäre er also schlecht?
Von der »Dignity of Difference« von der Rabbiner Lord Jonathan Sacks (seligen Angedenkens) so häufig schrieb und sprach, bleibt hier nichts mehr.
Es ist doch das zentrale Problem derzeit, dass »Anderssein« nicht ertragen werden kann und nicht ertragen werden will. Das zu erlernen, ist aber schmerzhaft und diesen Schmerz will niemand so recht auslösen.
Antisemitismus oder Antijudaismus?
Noch etwas: Die Kampagne zielt auf »Religion« ab und das beschreibt das Judentum nur sehr unzureichend. Judentum ist nicht nur »Religion« und Antisemitismus ist nicht nur Antijudaismus. Antisemitismus kommt sogar ohne Juden aus. Er bezieht sich auf etwas, das man für jüdisch hält und für jüdisch erklärt, wenn man Antisemit ist.
Im Augenblick könnte dies der Einstieg in einen Diskurs sein. Der polemische Auftakt zu diesem Artikel hat vielleicht gewirkt und ein oder zwei Leser weiterlesen lassen. Vielleicht eingängiger als ein rundherum freundlicher Auftakt. Vielleicht könnte man auch hier ein wenig mutiger sein und nicht nur kuschelig. Wenn alle es gut finden und nicht aneckt, wird es vielleicht keine Emotionen auslösen und deshalb niemanden so richtig berühren.
Alle Plakate kann man sich hier anschauen.
Pressemitteilungen der Kirchen zur Aktion.