Irgendwann stand da diese Zahl im Raum. 300. 300 Juden und/oder Jüdinnen gäbe es bei der Bundeswehr. Meine erste Reaktion darauf war: Es für unrealistisch zu halten. Diese Zahl erschien mir recht hoch.
Aber die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium sind keine kleinen Einrichtungen. In der Regel kann man davon ausgehen, dass die Angaben valide sind.

Wie sich jetzt herausgestellt hat, weiß niemand so genau, woher die Zahl stammt. So zuletzt ein Artikel in der taz. Ist sie realistisch?

Versuchen wir uns mal an einer Beispielrechnung, die so lange valide ist, bis jemand eine andere vorlegt.

Eckdaten Wie viele Soldaten gibt es derzeit?

Grundlegend für jedes Spiel mit den Zahlen ist, dass wir ein paar Eckdaten erfassen. Also schauen wir, wie viele Soldatinnen und Soldaten es derzeit überhaupt gibt. Die Bundeswehr kann dazu eine sehr genau Aussage treffen (Stand August 2020): 184.258 Soldatinnen und Soldaten (Quelle, bundeswehr.de) - Zeitsoldaten, freiwillige Wehrdienstleistende und Berufssoldaten sind mit dieser Zahl erfasst.

Zwischenstand Vergleichen wir die Zahlen

300 von 184.258 wären 0,16 Prozent. Ein schneller Vergleich mit der Einwohnerzahl Deutschlands und der Größe der jüdischen Bevölkerung hilft uns zu schauen, ob das Verhältnis passt. In Deutschland sind 94.771 Menschen Mitglieder einer jüdischen Gemeinde. Wenn wir davon ausgehen, dass nicht alle Jüdinnen und Juden Mitglieder einer Gemeinde sind, müssen wir noch ein paar hinzurechnen. Eine etwas zu hoch gegriffene Zahl dient erst einmal als Hilfe: 130.000 Menschen. 130.000 von 83 Millionen Einwohnern (2019) sind 0,16 Prozent. Da hat jemand seine Hausaufgaben gemacht und mit dem Anteil an der Gesamtbevölkerung gerechnet! 0,16 Prozent passt ziemlich gut zusammen. Aber die Bundeswehr repräsentiert in ihrer Zusammensetzung gar nicht die Gesamtbevölkerung!

Die endgültige Zahl? Natürlich nicht

Also ist das nicht die »letzte Zahl«. Es wäre möglich, ein paar weiche Argumente vorzubringen: Als es die Wehrpflicht noch gab, mussten nicht alle jüdischen Jungs einrücken. Oder: Die Bundeswehr als Nachfolgeorganisation der Wehrmacht wäre kein geeigneter Ort für eine Jüdin oder einen Juden. Bevor man diese Karte zieht, gibt es noch ein paar andere Zahlen, die man beachten sollte.

Wie viele Jüdinnen und Juden könnten überhaupt Dienst an der Waffe leisten?
48% (mehr zu diesen Zahlen hier) der Jüdinnen und Juden aus den Gemeinden sind über 61 Jahre. Diese müssten wir herausrechnen. Bei den Leuten außerhalb der Gemeinden dürfte die Altersverteilung ähnlich ausschauen. Ziehen wir diese also ab: 48% von 130.000 sind 62.400. Dann blieben noch 67.700 potentielle Kandidaten übrig. Kinder und Jugendliche müsste man auch noch abziehen. Also einigen wir uns auf 60.000. Dieses auf die Gesamtbevölkerung gerechnet, wären dann nur noch 0,07 Prozent. Das auf die Bundeswehr hochgerechnet, wären ungefähr 129. Gibt es also schätzungsweise 129 Jüdinnen und Juden bei der Bundeswehr?

Man kann behaupten, dass ein großer Anteil der Gemeindemitglieder einen »Migrationshintergrund« hat. Als Bürger mit Migrationshintergrund gilt man, per Definition, wenn noch ein Großelternteil nicht in Deutschland geboren wurde. Eine optimistische Schätzung aus dem Jahr 2016 sagt, dass 26% aller Soldatinnen und Soldaten einen Migrationshintergrund haben (Quelle, faz.net). Hinzu kommt: Nicht alle Gemeindemitglieder haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Ohne deutsche Staatsbürgerschaft ist ein Dienst bei der Bundeswehr nicht möglich (Soldatengesetz §37). Das schmilzt den Kreis weiter herunter. Als optimistische Schätzung stelle ich nun 100 in den Raum. Es könnte 100 jüdische Soldaten bei der Bundeswehr geben. Vermutlich sind es noch weniger, wenn man die Altersklassen noch weiter unterteilt. Vermutlich wären sie nicht älter als 35. Wieder würde die Zahl weiterschrumpfen.
Das ist übrigens kein Grund, keine Rabbiner bei des Bundeswehr zu haben, die sich um die Soldatinnen und Soldaten kümmern. Grundsätzlich sollte die Armee eines demokratischen Staates die Seelsorge für alle Soldatinnen und Soldaten gewährleisten können. Die Zahl der einrückenden Rabbiner (zehn) erscheint vor diesem Hintergrund jedoch etwas zu großzügig dimensioniert.
Zehn neue Rabbiner bei der Bundeswehr würde also die Zahl von Jüdinnen und Juden bei der Bundeswehr um mindestens 10% anwachsen lassen.

Die Mitteilung der Bundesregierung zum entsprechenden Staatsvertrag (hier zu finden) zeigt übrigens als Symbolbild einen Rabbiner von Chabad. Vermutlich wird aber Chabad hier nicht beteiligt.

Militärbundesrabbiner Neue Stelle

Es gibt aber eine neue Stellenbezeichnung, den »Militärbundesrabbiner« (siehe Text im Bundesgesetzblatt). Sicher eine Position und Stellenbezeichnung, die dem Inhaber die Türen zu den verschiedensten Medienterminen jetzt schon öffnen.
Die Rabbiner werden durch den Zentralrat berufen werden und keine Angestellten des Bundes sein.

Reservisten Nicht betrachtet

In den Zahlenspielen spiegeln sich die Reservisten übrigens nicht wieder. Das ist eine recht große Gruppe von Personen und anscheinend können die Militärrabbiner auch diesen Kreis betreuen. Die Zahl 300 bezieht sich aber zunächst auf die Soldatinnen und Soldaten (Quelle, bundeswehr.de) - Zeitsoldaten, freiwillige Wehrdienstleistende und Berufssoldaten.