Neigt sich die »Causa Mbembe« etwa ihrem Ende zu?

Dann wäre ein Text von Lea Rosh mit dem Titel »Er ist unser Wächter« in der FAZ der skurrile Schlusspunkt dieser ganzer Angelegenheit. Eine solche »Verteidigung«, in der Rosh von einem »wir« spricht (von wem ist da überhaupt die Rede?) und zurückweist, bedauert und wirbt, hat diese gesamte Angelegenheit nicht verdient.

Die »Causa« hat uns mehr erzählt.

Natürlich, die Ruhrtriennale fand letztendlich nicht statt und man könnte behaupten, es eine Diskussion »L’art pour l’art« gewesen. Oder es ging allein um den guten Ruf von Achille Mbembe.

Achille Mbembe legte viel Pathos in die Diskussion. Seine Stellungnahme in der »taz« begann er mit der Versicherung, dass es ihm gut gehe. Schließlich gäbe es ja auch Grund zur Sorge. Als spräche da nicht Achille Mbembe, sondern Salman Rushdie. Natürlich - um was geht es? Den langen Arm des Weltjudentums? Wir alle kennen ja in der jüngsten Geschichte Fälle von Persönlichkeiten, die nach Antisemitismusvorwürfen ein Leben im Untergrund führen mussten. Mel Gibson, Dieudonné oder Jakob Augstein. Karrieren am Ende. Oder die Antisemiten, die es erwiesenermaßen waren: Nehmen wir mal Richard Wagner. Nachdem sein Antisemitismus bekannt wurde, wurde seine Musik in Deutschland ja bekanntlich nicht mehr gespielt und die Person geächtet.

Kant, für den Juden »Vampyre der Gesellschaft« waren - wer spricht heute noch über Kant? Ich denke, es ist klar, was gesagt werden sollte. 

Mikrovorwürfe Eine effektive Methode

Diese kleinen eingebetteten Vorwürfe, nennen wir sie »Mikrovorwürfe«, haben sich in der Diskussion und den Köpfen der Menschen festgesetzt und werden kaum noch wahrgenommen. Sie bleiben deshalb unwidersprochen: Israel ein Apartheidstaat, Israel als Kolonialstaat, Israel habe einen fanatischen Zerstörungswillen, wer Israel kritisiert, müsse sich fürchten, Israel beziehe seine Legitimation aus religiösen Ansprüchen und einige mehr.

Im Fokus der Diskussion um Achille Mbembe standen zwei Vorwürfe. Sie waren recht schnell in der Welt, als angekündigt wurde, Mbembe würde auf der Ruhrtriennale auftreten. Ein angeblicher Holocaustvergleich wurde entdeckt und der Vorwurf geäußert, der zukünftige Redner stünde »BDS« nahe. 

Diese wurden mit Sicherheit etwas zu früh geboren und es riecht danach, als habe man sich irgendetwas bei google zusammengesammelt, um Mbembe zu überführen. Aktivismus schlug hier Besonnenheit. Hätte man sich zwei Tage mehr Zeit genommen, um Mbembes Haltung anhand seiner Texte zu analysieren und sich mit Kennern der Materie ausgetauscht, wäre man zu dem Ergebnis gekommen, dass der gefeierte, ja geliebte, Historiker blumig an den Tisch der Verständigung einlädt, aber doch eigene Probleme mit Jüdinnen und Juden vielleicht nicht analysiert hat. Dass seine Haltung zu BDS bewusst ambivalent ist, hätte man vielleicht ebenfalls schon im Vorfeld erkennen können. Der mutmaßliche Holocaustvergleich war zu vernachlässigen gegenüber anderen Dingen, bei denen er sich aus dem Repertoire eines klassischen europäischen Antisemitismus bedient hat: »Pharisäer und Zeloten« sind für ihn Heuchler und das Prinzip »Auge um Auge, Zahn um Zahn« bemüht er ebenfalls. In »Politik der Feindschaft« lässt sich Mbembe über das »göttliche Existenzrecht« Israels aus und der Topos von der »Exklusivität« Israels (als auserwähltes Volk) bemüht. Einem Textarbeiter, wie Mbembe einer ist, kann durchaus zugetraut werden, dass er Herkunft und Absicht der sprachlichen Mittel kennt.

Ein Beispiel  seiner bewussten Ambivalenz war in der ZEIT zu lesen (siehe Artikel dazu). In seinem Text schrieb er, er befasse sich nicht mit Israel, spricht aber dann »über Bande« natürlich doch über den Staat Israel - indem er nämlich über die Situation der Palästinenser spricht. So hält er es auch mit BDS. Äußerungen sind zum Teil etwas vage. So hat er an einer Konferenz an der Universität Stellenbosch 2018 erst dann teilgenommen, als sichergestellt war, dass Professorin Schifra Sagy von der Ben Gurion Universität nicht kommen würde (siehe dazu welt.de). In Interviews positioniert er sich aber nicht unbedingt in der BDS Bewegung.

Streiten über BDS Warum?

Darüber wurde aber viel zu wenig diskutiert. Wir haben uns rückwärts bewegt. Es wurde wieder über BDS gestritten - dabei gibt es schon einen Beschluss des Bundestages der BDS deutlich einordnet. Und nun müssen wir wieder neu beginnen? 

Wer schon gehört hat, wie Anhänger von BDS ein Zeitzeugengespräch mit einer Schoahüberlebenden niedergeschrien wird, nur weil die Dame heute israelische Staatsbürgerin ist, wird sich fragen, ob da Diskussionsanspruch angemeldet wird, oder schon Totalitarismus am Werk ist. Die Fürsprecher werfen dem Staat Israel gerne vor, er kontere jede Kritik mit der Schoah, so ist man dort ebenso schnell mit entsprechenden Vergleichen unterwegs. Wer erinnert sich noch an das verhunzte Logo von Israels Gastgeberschaft des Eurovision Song Contests mit den SS-Runen? Oder Proteste gegen Personen, nur weil sie israelische Staatsbürger sind, wie eben die Überlebende Dvora Weinstein. Verteidiger raunten über den Bundestagsbeschluss zu BDS, er »trage antisemitische Züge«.

Wenn es nach Omar Barghouti geht, einem Mitbegründer der BDS Bewegung, dann hätten Juden überhaupt keinen Platz auf dem geographischen Gebiet den es heute einnimmt. »Nicht in Palästina« ist seine Haltung. Palästina ist überall da, wo auch Israel heute ist. Und damit sind wir beim »Zionismus« angekommen. Laut BDS ist der Zionismus, der »ideologischer Pfeiler des israelischen Besatzungsregimes, Siedler-Kolonialismus und Apartheid.« Das sind Begriffe, die sich auch bei Mbembe finden. Er schrieb in seinem Vorwort zu »Apartheid Israel«, die »Besatzung Palästinas ist der größte moralische Skandal unserer Zeit«. Schon das allein ist, wenn man Mbembe ernstnimmt, ein Skandal. Der Genozid an den Rohingya, die Massenerschießungen von Srebrenica, die Vorgänge im Süden des Sudan, der Genozid an den Jeziden durch den islamischen Staat oder der Konflikt in Darfur, bei dem, nach einigen Schätzungen, bis zu 500.000 Menschen getötet worden seien, sind nach Mbembe nichts dagegen. Das ist kein Whataboutism, sondern die Argumentation von Achille Mbembe konsequent weitergedacht.

Wenn Besatzung das gesamte Staatsgebiet meint, dann geht es somit um den Fortbestand Israels, nicht um die Kritik an einer Regierungskoalition des jüdischen Staates. Diese ist ja durchaus fortwährend angebracht. In Israel geschieht das recht schonungslos.

Wer also ernsthaft in Deutschland mit Staats- oder Landesmitteln eine solche Bewegung fördern möchte, hätte ein Problem. Das Parlament hat das verstanden und eine entsprechende Initiative unternommen. Wie ernst es dem Parlament damit ist, sollte sich an der »Causa Mbembe« zeigen.

Seine pathetische, aber letztendlich dechiffrierbare Haltung, die es ihm erlaubt, sowohl bei BDS zu punkten, als auch bei denen, die weiterhin am Weltverbesserer festhalten wollen, gilt es intellektuell zu begegnen. Man muss keinen Clubausweis von BDS besitzen, um die Ziele auch publizistisch zu unterstützen. 

Das muss offengelegt werden. Allein: die Gesellschaft ist nicht bereit dazu. Zu tief haben sich Vorbehalte gegenüber dem jüdischen Staat, der letztendlich der »Jude unter den Völkern« ist und »den Juden« festgefressen.

Jüdinnen und Juden wissen dies, jedenfalls dann, wenn sie als solche erkennbar den öffentlichen Raum »stören«, bekommen sie das zu spüren. Es kann nicht schaden, ihnen zuzuhören. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, hat das gemacht und wurde dafür gerügt - aus dem Ausland.

Wenn etwas der Diskussion zuträglich wäre, wären das Ehrlichkeit und Empathie. Nehmen wir doch Mbembe endlich beim Wort! Denken wir seine elegant formulierten Sätze bis zum Ende - oder besser: Warum befragt ihn niemand dazu? Sieht er diese Punkte nicht in seinem Werk, oder, schlimmer, will er sie nicht sehen?

Die Anhänger von BDS werden in Deutschland nicht zum Schweigen gebracht, nur weil sie nicht gefördert werden. Sie werden nicht verfolgt, nicht niedergeschrien, nicht physisch attackiert. Sie dürfen überall sprechen, diskutieren oder demonstrieren. Aber man darf (oder soll) ihnen auch widersprechen und mit ihnen streiten. Das gilt nur noch eingeschränkt für Jüdinnen und Juden. Nicht der Staat verhindert es, aber Antisemiten greifen sich immer mehr Raum. Schräge Vergleiche, die Verwendung von Mythen und die Dämonisierung Israels betonieren das Fundament dafür.