Sederabende in Kirchengemeinden

Bernd das Brot wurde entfernt (verbrannt?) – an seine Stelle ist Max die Matze gerückt.

Sie sind sehr beliebt, die Sederabende in Kirchengemeinden.
Oft gefeiert am Donnerstag vor Karfreitag. In diesem Jahr überschneiden sich Pessach und Ostern einmal wieder. So wird die Karwoche, in der man sich regelmäßig an den »Christusmördern« rächte, heute als Ausdruck der Gemeinsamkeit verstanden. In Kirchengemeinden werden Matzot gegessen, es wird beseelt »Ma Nischtana« gesungen und Segenssprüche aus der Haggadah aufgesagt. In denen heißt es, dass G-tt »uns« die Mitzwot gegeben hat dieses oder jenes zu tun. Wer ist dieses »wir«, wenn nichtjüdische Feiernde das sprechen? Es ist kein Geheimnis, dass jüdische Gemeinden das heute nicht sonderlich angenehm finden, wenn der Sederabend hier mal eben für eigene Zwecke enteignet wird.

Fun Fact Sederabend

Jesus hat wohl keinen Sederabend gefeiert. Den gab es noch gar nicht. Der entwickelte sich so, wie wir ihn heute kennen, erst später. Übrigens entwickelt er sich fortwährend weiter. Pessach »authentisch« zu feiern würde bedeuten, ein Lamm zu opfern und mit Bitterkraut zu verzehren. Nur: Schächten hat gerade keine gute Lobby.

Hier einmal eine zufällige Auswahl:

Klar gibt es auch ein einfaches Interesse an dem Abend. Da die jüdischen Gemeinden nicht in der Lage sind, allen Interessierten die Türen für die eigenen Sederabende zu öffnen: Gibt es Abhilfe? Jedenfalls ist die symbolische Enteignung keine. Oder um es anders zu formulieren: »Lieber gar nicht feiern, als falsch feiern.«

Vielleicht könnte man einfach dafür sorgen, dass Jüdinnen und Juden ihr Judentum »draußen« zeigen können. Denn dann könnte es auch sein, dass man auch jüdischerseits einmal Nachbarn einlädt und diese das Fest authentisch erleben.

Für die Jüdische Allgemeine habe ich einen kurzen Kommentar zu diesem Phänomen geschrieben – der ist in der Pessachausgabe zu finden – hier.

Von Chajm

Chajm ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

9 Kommentare

  1. Vielleicht können wir ihnen den Appetit an dieser Vereinnahmung verderben, wenn wir sie darauf hinweisen, dass sie Jahrhunderte lang gelehrt haben, dass מצות aus dem Blut von ihren Kindern besteht? Dass zu einem zünftigen פסח ein Pogrom (inklusive Ausrottung ganzer Gemeinden) gehört?
    Insofern dürfen wir diese dümmliche Vereinnahmung als Fortschritt bewerten.

    Ich würde zu gern wissen, was sie bei שפוך חמתך oder bei והיא שעמדה machen. 🙂 Und welche כוונה haben sie bei אשר קדשנו במצותיו וצונו?

    Die Struktur der נגדה orientiert sich stark an ערבי פסחים (also zehnter פרק von משניות פסחים), von daher bekommt man schon eine grobe Vorstellung, wie das zur Zeit des בית המקדש ablief; natürlich ohne קורבן פסח.

  2. Juist: Beginn 18h, Dauer 2h.
    Langsam, zum Mitschreiben:
    Die fangen vor פלג המנחה an, und sind noch vor שקיעה bereits fertig?? Das ist aber eine großzügige Auslegung von כחצות הלילה. 🙂

  3. Lieber Chajm,
    diese Worte sind wohl hart gewählt.
    Wenn “Nichtjuden” versuchen das Fest zu verstehen, am besten beim Sprechen von Texten und kosten von Bitterkraut, Salzwasser… dann liegt es wohl an den gemeinsamen Wurzeln. Leider leben nicht überall jüdische Freunde/innen, weshalb ein miteinander feiern oft unmöglich ist. Ich bin Lehrerin und versuche immer schon den Respekt, die Toleranz, das Miteinander… aber auch die Lust am Kennenlernen – und damit “Nicht-mehr-Fremd-sein” – zu wecken! Nur die Theorie zu den Festen zu lesen oder Filme anzuschauen ist gut, aber selbst etwas erleben ist besser. Meine SchülerInnen würden eine ganze Sederfeier wahrscheinlich disziplinär nicht durchhalten. Ich versuche die Fremdheit zu nehmen – das kann nicht respektlos sein. Wenn wir den Gottesdienstablauf lernen, spielt auch ein Kind den Priester nach – das ist nicht respektlos!
    Niemand wagt es zu behaupten, nur weil man ein Fest feiert ist man dann z.B. Jude. Aber es ist ein Zeigen, dass man Freund und Lernwilliger usw. sein möchte.
    Vielleicht können Sie auch einmal in andere Schuhe schlüpfen –
    so wünsche ich Ihnen G.ttes Segen – Abraham nachfolgend
    Viele Grüße Renate

    1. Renate, vielen Dank für das Feedback!
      Die Worte habe ich durchaus bewusst gewählt. Ich denke, man muss auch mal deutlich aussprechen, dass diese Praxis respektlos ist.
      In meinem Artikel gehe ich auf die Argumente ein, mit denen man sich ausstattet, um das tun zu dürfen.

      Die Lücke, oder die Leerstelle »authentisches Judentum« kann man nicht – wie geschrieben – mit gutem Willen, mit Nachahmen oder gar gefühltem Stellvertretertum füllen und das ist auch nicht in Ordnung und tatsächlich doch respektlos. Es hat auch nichts mit »Kennenlernen« zu tun, wenn Nichtjuden versuchen, den Feiertag aus ihrer Sicht nachzuspielen. Statt dessen gibt man diese Distanz- und Respektlosigkeit an die nächste Generation weiter. Diese Leerstelle sollte man akzeptieren und erkennen.
      Hier wäre meine Bitte einfach: Das bitte nicht mehr machen.

  4. @Renate:
    Bekämpft man Fremdenfeindlichkeit, indem man so tut, als sei das Fremde nicht fremd? Oder nicht sinnvoller dadurch, dass man Toleranz für das Fremde lehrt?

    Ein Seder finder statt in einem Kontext, den solche Veranstaltungen nicht mitbringen können. Manchmal ist es vielleicht besser und ehrlicher zu wissen, dass man nicht weiß, als sich einzubilden, dass man wisse.

    1. Fremdenfeindlichkeit würde ich mit Dialog halten beenden. Fremd bleibt nur, was man nicht kennt. Jeder Mensch ist anders, auch innerhalb der Religionen gibt es Verschiedenheiten – vom streng traditionellen/orthodoxen bis zum “liberalen” Menschen, der mit und in der Religion lebt. Alle Menschen sind trotzdem wichtig und wertvoll und besonders. Wieviel Leid ist geschehen aus Unwissenheit. Ich lehre meine SchülerInnen, dass wir gemeinsame Wurzeln haben und daher Geschwister sind und so miteinander leben sollten. Jede und jeder in seiner bzw. ihrer Art.
      So weit ich verstehe ist ein Seder ein Familienfest des Leids und der Freiheit. Im Erkennen der schrecklichen Zeiten, die das Volk erlitten hat (wie auch viele Menschen heute noch leiden), sehen wie kraftvoll G-tt ist. Befreiung kann auch heute geschehen. So ist der bittere Meerrettich neben dem süßen Charoset. Trotz Leid die Hoffnung nicht verlieren. Immer danach trachten die Gesetze G-ttes zu verstehen und daraus leben. Ist es nicht das?
      Es fällt mir schwer mit wenigen Worten zu erklären.
      Aber so verschieden z.B. selbst das Charoset gemacht wird, so verschieden und noch mehr sind wir Menschen. Ob Sie mit Kontext die Geschichte meinen, oder den Versuch als Jude vollkommen, also nach der Thora zu leben meinen – natürlich habe ich eine andere Geschichte und ein anderes Leben. Jede Kreatur lebt anders.
      Der Dialog und der Versuch nach einem liebenden Verstehen bleibt.
      Und: “Wissen” ist wohl ein Begriff, der zu diskutieren wäre – ist nicht das “Fragen” wichtiger?
      So bin ich über diesen schriftlichen Versuch des Austausches mit Ihnen beiden sehr dankbar.

  5. Ich finde, diese Kirchgemeinden sollen machen, was ihnen Spass macht.
    Es ist ihre Religion bzw. ihr Gemeindeleben, wir haben dazu nichts zu bestimmen.
    Haben sie uns gefragt, ob wir einverstanden sind, als sie den Tanach zu ihrem “Alten Testament” machten?
    Die Vereinnahmung geht schon Jahrtausende zurück, und niemand findet etwas dabei, weil sie sonst die Grundlage ihrer Religion in Frage stellen müssten, und das wollen sie nicht…
    Wir können es unter uns lächerlich oder putzig oder verfehlt finden, aber wir haben null Chancen, es ihnen zu verbieten, wenn sie es machen wollen…

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