Du bist Jüdin oder Jude und hast einen Social Media Account? Du hast ein paar jüdische Follower oder »Freunde«? Du willst richtig Traffic erzeugen? Du kannst das mit zwei Dauerbrennern schaffen:
- eine »Wer-ist-Jude-Diskussion« vom Zaun brechen
- eine Diskussion über verschiedene Strömungen beginnen
Richtig gut wird es, wenn man beide Themen verbinden kann: Wer hat das Recht, wem zu sagen, wer jüdisch ist und wer hat das Recht, das auszulegen? Man muss kilometerweit scrollen, um die neuesten Kommentare lesen zu können. Wie durch Zauberhand werden die Kommentare zunehmen. Menschen die sich nicht kennen, werden Argumente präsentieren. »Präsentieren« steht hier absichtlich, denn sie werden nicht ausgetauscht. Sie werden nur präsentiert. Denn eines gilt für die Dauerbrenner mit Sicherheit: Die Diskussion ist l’art pour l’art. Sie bietet keinerlei Erkenntnisgewinn. Aber es besteht die Möglichkeit, sich öffentlich zu blamieren. Man muss nur leicht aus der Fassung zu bringen sein und jemanden beleidigen. Dann haben wenigstens die anderen Diskussionsteilnehmer etwas über einen gelernt. Aber bevor wir weiter abschweifen kehren wir zurück zu Fällen, bei denen das relevant sein könnte:
Relevant sind diese Themen dann, wenn sie dazu dienen sollen, Leitlinien für Organisationen zu formulieren. Dass es dann schwierig ist, dies dann zu tun, liegt daran, dass wir zuvor immer obiges Phänomen beobachten konnten.
Die JSUD Eine Richtungsentscheidung?
Die »Jüdische Studierendenunion Deutschland« (JSUD) ist ein jüdischer Verband für jüdische Studentinnen und Studenten. Sie wurde erst 2016 gegründet, aber ist durch ihre Anbindung an den Zentralrat gut vernetzt und kann die Netzwerke des Zentralrats für politische Arbeit nutzen. Vorstand und Geschäftsführung wird also zugehört. Eine Vollversammlung findet jährlich zusammen mit dem Jugendkongress der ZWST statt. Im vergangenen Jahr wurde offenbar eine »Policy« »Pluralistisches Judentum innerhalb der JSUD« eingereicht und abgestimmt. Zum größten Teil geht es in dieser Policy um Homosexualität und die Zusammenarbeit mit der LGBTQ*-Community. Aber es gibt auch einen Satz, der festhält, dass in »hierzulande dominierenden orthodoxen und einheitlichen Gemeinden die Integration patrilinearer Jüdinnen und Juden in die jüdische Gesellschaft strikt abgelehnt wird«. Weiter: »obwohl es einen bedeutenden Anteil von patrilinearen Juden gibt sowie ein Großteil der eingewanderten und einheimischen Jüdinnen und Juden hierzulande mittlerweile nicht nur in halachisch jüdischen Ehen und Familien leben.« Die Forderung ist eine stärkere Einbindung derjenigen Leute, die einen jüdischen Vater haben, aber keine jüdische Mutter. Nun, kurz vor der nächsten Vollversammlung im März, ging eine Website namens Jüdische Zukunft an den Start und fordert mit einem offenen Brief eine stärkere Orientierung an der Ausrichtung der Gemeinden. Erstunterzeichner ist - unter anderem - der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz. Die Reaktionen in den sozialen Medien entsprach zu großen Teilen dem, was ich eingangs zu diesen geschildert habe.
Konfliktlinien
Anscheinend gibt es gewisse Konfliktlinien. So veröffentlichte das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk am Freitagmittag einen Facebook-Post (hier) mit dem Titel »Vielfaltsverteidigung«, der ohne den Kontext der Diskussion vermutlich etwas schwerer zu verstehen wäre und sich wie eine Stellungnahme lesen könnte:
»Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk setzt sich seit seiner Gründung für eine offene und vielfältige Gesellschaft ein, gerade im innerjüdischen Diskurs. Zur Vielfaltsverteidigung gehört notwendig und unabdingbar die Achtung und Förderung jedes Individuums und seines/ihres Weges in der Gemeinschaft. Ein wichtiger Partner in der Stärkung der Gemeinschaft ist die JSUD - Jüdische Studierendenunion Deutschland, die sich der Vielfalt der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland in Gegenwart und Zukunft verschrieben hat, und mit tollen Projekten und wichtigen Grundsatzentscheidungen viele entscheidende Impulse setzt!«
Gibt es also hier unterschiedliche Interessen, je nach religiöser Strömung? Willkommen in der jüdischen Welt!
Die Konflikte, die hier und da zwischen den einzelnen Lagern innerhalb der Gemeinden aufflammen, müssen sich zwangsläufig natürlich auch in einer Organisation widerspiegeln, die den Anspruch hat, alle (möglichst viele?) zu repräsentieren. Das ist unvermeidbar. Welche Richtung soll das also sein, die beide (vermutlich gibt es sogar mehr) Lager zufriedenstellt?