Nennen wir es den »Trick der bösen Handwerker«: Sie öffnen die Haube, oder das Gerät, schütteln den Kopf und sagen: »Das wird teuer« oder »schwierig«, oder »wer hat das denn gemacht?«. Daran erinnerte mich das Vorwort zu »Fremdgemacht und Reorientiert«. Gleich zu Beginn wird konstatiert, das Feld »Islam und Judentum« sei vermint und schwierig. Dabei gibt es doch zahlreiche jüdisch-muslimische Initiativen. Natürlich immer noch immer zu wenige, aber es wird besser. Das liegt übrigens nicht am Unwillen der Leute, sondern einfach daran, dass die jüdischen Gemeinden nicht besonders groß sind.

Aber spätestens seit der »Beschneidungsdebatte« ist deutlich, dass auch der Zentralrat sich hinter die muslimische Gemeinde stellt - zum Ärger von Wutbürgern und Islamhassern.

Auf diesem Feld liegen keinen Minen, aber es wird von Dritten so getan, als sei es so und das ist eines der größten Probleme des jüdisch-muslimischen Dialogs. Dies festzustellen, legt den Blick auf die eigentliche Zusammenarbeit frei, entzaubert aber diejenigen, die sich an dieser Schnittstelle als Erklärer hervortun. Schuld daran sind hartnäckige Mythen (»Narrative«). Diese werden nicht explizit in »Fremdgemacht und Reorientiert« genannt, sondern in größere Exkurse eingebettet. Unser kleiner Exkurs in die hartnäckigsten Mythen ist auch eine Betrachtung, wie »Fremdgemacht und Reorientiert« funktioniert:

  • Es gibt muslimischen Antisemitismus. Hier muss genau auf die Wortwahl geachtet werden. Es gibt keinen »muslimischen« Antisemitismus. Ja, es gibt muslimische Antisemiten (so wie es auch muslimische Philosemiten geben wird) und es gibt Antisemiten, die sich auf den Islam beziehen. Aber aus sich heraus, ist »der« Islam (welcher und wessen Islam?) nicht antisemitisch, lediglich in einer Lesart derjenigen, die ihn antisemitisch auslegen um politische Ziele zu erreichen. Wer »den« Islam also antisemitisch liest, übernimmt die Ideologie der Fundamentalisten. Das tun islamische Fundamentalisten genauso, wie Islamfeinde.  Dieses Thema greift Patrick Brooks in seinem Artikel »Ein weder einfaches noch einseitiges Erbe« auf und spürt der Darstellung von Juden in den islamischen Quellen nach. Das ist gelungen und entkräftet das Argument des antisemitischen Islam.

  • Mit den syrischen Flüchtlingen kam mehr Antisemitismus. Das ist ein Mythos, den diejenigen erdacht haben, die eine Agenda gegen Flüchtlinge, bzw. eine Agenda der Angst haben. Ein Antisemitismus, der sich auf den Islam bezieht, ist physisch spürbar seit 2006. Die Proteste gegen bewaffnete Interventionen im Libanon und Gaza führten zu offenem Antisemitismus. Dieser Antisemitismus beruft sich auf den Islam und wird von politischen Akteuren befeuert. In »Fremdgemacht und Reorientiert« wird hingegen diese Strategie nicht behandelt. Statt dessen der Antisemitismus, der tatsächlich vorhanden ist, relativiert und teilweise auch umgedeutet in »Israelkritik« und Antizionismus. So schreibt Iman Attia, Professorin für Critical Diversity Studies in ihrem Artikel » Den Rassismus gibt es nicht«: »Denn Kritik an israelischer Regierungs- und Siedlungspolitik gilt im offiziellen Deutschland als Indiz für Antisemitismus, jenen neuen, der als muslimischer identifiziert wird und die Vertreibung von Palästinenser*innen nicht wahrhaben möchte«. Überhaupt sieht sie eine »Ausweitung von Antisemitismus auf Antisemitismus und ›Israelkritik‹« gleich zu Beginn ihres Artikels. Das ist deshalb so, weil Antizionismus Antisemitismus ist. Eine Definition von Antisemitismus wird übrigens nirgends angeboten, deshalb können die Autoren den Begriff auch recht flexibel halten. Übrigens bedeutet das natürlich nicht, dass Kritik an israelischer Politik rundherum antisemitisch sei. Sie ist es natürlich nicht, wenn es um die Kritik an Politik geht und nicht um die Zuschreibung negativer Eigenschaften die Israel anhaften.

  • Islam und Judentum stehen sich feindlich gegenüber. Diese Erfindung ist ein Coup der islamischen Fundamentalisten. Diese Geschichte ist nicht aus der Welt zu kriegen. Sie wird selbst von rechtsgerichteten Gruppierungen übernommen und als Anlass für eine vermeintliche Israelsolidarität genannt. Tatsächlich ist das eine erdachte Feindschaft. Von denen weitergetragen, denen es politisch nutzt. Das Judentum selber hat keine Agenda gegen den Islam und religiös gibt es keinerlei Vorbehalte. Armin Langer versucht in seinem Beitrag »Wie koscher ist der Islam?« genau das zu zeigen und beginnt eigentlich mit einer brauchbaren Darstellung des Islam und seiner Anhänger aus jüdischer Sicht. Gerade ein Blick auf Maimonides ist hier ja lohnenswert. Das ließe sich für konkrete Dialogarbeit tatsächlich nutzen, wenn er nicht irgendwann das Ziel aus den Augen verlieren würde und daraus schlussfolgert, dass die Hetze gegen Muslime durch Juden keinesfalls religiös motiviert sei. Es liegen mir keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Jüdische Rundschau (die im Text von Armin Langer ausdrücklich genannt wird) ihre Agenda zum Islam religiös begründen würde. Auch andere genannte Jüdinnen und Juden, die eine islamfeindliche Agenda haben, pflegen diese nicht aus religiösen Motiven und haben dies auch nie behauptet. Genannt werden etwa Pamela Geller und David Horowitz. Ihre »Kritik« (wenn man das so bezeichnen kann) bezieht auf gesellschaftliche Konfliktfelder. Aus der Religionszugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu schlussfolgern, diese Person könnte oder müsste Motive haben, die sich religiös begründen lassen, läuft dem entgegen, was die Autoren des Bandes eigentlich wortreich ablehnen: Zuschreibungen oder gruppenbezogene Verallgemeinerungen. Ist David Horowitz ein »jüdischer Aktivist«, nur weil er zufällig Jude ist und das ansonsten in seinen Aktivitäten keine Rolle spielt?

  • Die Polizeistatistik zeigt, dass die meisten Übergriffe auf das Konto »weißer Rechter« gehen. Es ist vielfach darüber diskutiert worden und die Forderung offen, hier grundlegend nachzubessern. Politisch motivierte Übergriffe auf Jüdinnen und Juden werden vielfach dem Bereich »Rechtsradikalismus« zugeordnet. Ein Großteil der Fälle, die physische Übergriffe auf Jüdinnen und Juden betreffen, haben meist Täter, die nicht diesem Bereich zuzuordnen sind. Aber auch auf diese Aussage ziehen sich die Autoren oftmals zurück.

  • Es gibt ein »christlich-jüdisches« Abendland. Auch das ist eine recht neue Erfindung zur Abgrenzung vom Islam. Ja, die modernen Staaten des Westens bedienen sich aus dem Wertekanon der hebräischen Bibel. Dass das Judentum jedoch als Partner wahrgenommen wird, ist recht neu.

Die Themen werden also behandelt, aber nicht immer so unvoreingenommen, dass es den eigenen Anspruch erfüllt. Siehe den o.g. Artikel von Armin Langer.

Jüdisch-muslimischer, oder muslimisch-jüdischer Dialog ist mehr als die Rede von Antisemitismus. Aber selbst so bedeutende Epochen in der Entwicklung des westeuropäischen Judentums, in denen begonnen wurde, im »maurischen« Stil zu bauen und man sich mit dem Islam positiv auseinandersetzte, kommen nur als Randbemerkung vor. Kein Wort darüber, dass die Wilmersdorfer Moschee auch zahlreiche Juden anzog. Der Band »fühlt« sich an, wie eine interreligiöse Ausgabe der Zeitschrift »Jalta« in der sich sich viele Texte um das Zurückweisen von Zuschreibungen drehen und das in verschiedenen Variationen. Das Personal ist teilweise gleich. Auch hier ruft uns wieder ein »Desintegriert euch« entgegen. Und auch hier ist die Gegenwart feministisch, queer, migrantisch und so. Ebenfalls in politisch korrekter Gender-Schreibweise mit hartnäckigem Anhängen des Suffixes »innen« an (männliche) Substantive mit Sternchen. Ergeben sich hieraus neue Debatten? Vielleicht. Aber es sind leider immer die gleichen, mit den gleichen Köpfen.

Der Dialog in den Gemeinden geht hingegen unbeeindruckt davon weiter. Denn es gibt vieles zu sagen und zu (er-)klären.

Ozan Zakariya Keskinkılıç | Ármin Langer (Hg.) »Fremdgemacht & Reorientiert – jüdisch-muslimische Verflechtungen« Verlag Yılmaz-Günay, Berlin 2018, 292 Seiten, 18,00 €