Mavie Hörbiger und Samuel Finzi in »Kommt ein Pferd in die Bar« von David Grossmann – Copyright für das Bild: Bernd Uhlig

»Dovele G. - meine Damen und Herren, auch genannt Dov Grinstein, ist der einzige Mensch auf der Welt, der bereit ist, eine ganze Nacht mit mir zu verbringen, und zwar ohne Geld, und das ist meines Erachtens die sauberste und objektivste Messlatte für wahre Freundschaft.« Diese Selbstbeschreibung ist Teil von Dov Grinsteins Einführung in sein Abendprogramm. Dov Grinstein ist eigentlich eine Romanfigur von David Grossman und nun Mittelpunkt eines Theaterabends im Wiener Akademietheater am 5. September 2018.

Und Dov Grinstein ist kein Sympath. In dem Stück ist es Grinsteins letzter Auftritt in Netanja als »Comedian«. Das Publikum, in dem auch einige von Grinsteins Freunde sitzen, wird zunächst einmal flächendeckend beschimpft und verärgert. Die Qualität seiner Zoten variiert zwischen unterirdisch und geistreich. Mario Barth meets Roger Willemsen (seligen Angedenkens). Witze über die Schoah und ihre Opfer, über Palästinenser, die israelische Politik setzen eine strapaziöse Performance zusammen. Für die Figur Dov, für das Publikum und für den Schauspieler Samuel Finzi, der Dov Grinstein eindrucksvoll in den Mittelpunkt stellt. Das macht er so großartig, dass es der Verweise auf Netanja und somit auf die Handlung von David Grossmans Buch gar nicht bedurft hätte. Hätte Regisseur Dušan David Pařízek diese Hürde zwischen Publikum, Stück und Grinstein noch abgerissen, wäre die Nähe der Figur vielleicht noch größer gewesen. Grinstein interagiert zwar mit dem Publikum, aber durch einige Hinweise auf die Rahmenhandlung und den eigentlichen Ort der Handlung entsteht Distanz. Distanz hat Pařízek durch die eine oder andere seltsame Regieidee eingebaut. So dreht sich Grinstein minutenlang mit einer Kamera im Kreis und erzählt von sich. Hier hätte man Finzi vielleicht einfach ungeschützt mit dem Publikum reden lassen können. Die Beschreibung seines Lebens, seiner Jugend und der Geschichte seiner Eltern ist so intensiv, dass es dieser Spielereien nicht bedurft hätte. Hier wirkt einfach der Text und die Körperlichkeit von Finzi. Der Text ist hart. Nichts für Publikum, das bisher im philosemitischen Schutzraum unterwegs war. Der empathische Zuhörer wird fassungslos sein über die Schilderungen Grinsteins. Die Schoah-Geschichte seiner Mutter, sein Verhältnis zu seinem Vater. Seinen Aufenthalt im Feriencamp aus dem er abgeholt wird weil er Waise geworden ist und nicht erfährt, welcher Elternteil verstorben ist. Die Fahrt vom Camp zum Ort der Beerdigung mit einem witzeerzählenden Fahrer. Die Verachtung der anderen Kinder für Grinstein. Eindrucksvoll. Grinstein steht Pitz zur Seite. Zunächst Zuschauerin, wird die ehemalige Nachbarin, gespielt von Mavie Hörbiger (großartig!), Teil des Stückes. Auch sie hat keine lustige Geschichte zu erzählen.

Den Roman mit dem Stück zu vergleichen, wird zu nichts führen. Man muss das Stück gesondert betrachten und es auf sich wirken lassen. Vielleicht haben das diejenigen getan, die den Abend schon vorzeitig abgebrochen haben und das Theater verließen. Das waren nicht wenige. Bereits nach einer Stunde standen einige Leute auf und gingen. Waren sie enttäuscht? War die emotionale Herausforderung zu groß? Haben sie einen Stoff erwartet, der näher am Roman war? Jedenfalls haben sie David Grossman verpasst, der nach den 165 Minuten ohne Pause ebenfalls auf die Bühne trat.

Fazit: Wer die Möglichkeit hat, der sollte das Stück sehen:

Das Stück läuft nun im Akademietheater Wien. Link hier.