
Kaliningrad
In Kaliningrad, der Stadt, die früher »Königsberg« hieß, wird demnächst eine neue Synagoge eröffnet (siehe hier). Diese Synagoge ist ein Nachbau der Synagoge, die es bis vor der Schoah in der Stadt gegeben hat – jedenfalls von außen. Der Innenraum wird neu gestaltet, vermutlich dann auch nach den Erfordernissen von Chabad. Die ursprüngliche Synagoge dort diente ja der liberalen Gemeinde mit Orgel und allem was dazu gehört. Die fertige Synagoge wird letztendlich 500 Plätze haben, soll aber bis zu 2.000 Menschen versorgen können. Eines liegt also auf der Hand, auch wenn von einem Wiederaufbau der Königsberger Synagoge gesprochen wird (ausdrücklich), ist es das nicht. Die heutige Gemeinde knüpft natürlich nicht an die Tradition der Königsberger Gemeinde an und erbaut auch nur die Fassade der alten Synagoge.
Ein sehr ungewöhnlicher Schritt, denn gerade Chabad hätte ich zugetraut, etwas »neues« zukunftsorientiertes zu bauen. Mit einem Blick auf eine realistische Einschätzung der Lage: Eine leicht zu unterhaltende Synagoge, zugeschnitten auf die Gemeindemitglieder. Tallinn scheint dafür ein gutes Beispiel zu sein. Dort baute Chabad ein smartes neues Gemeindezentrum. Statistische Angaben (von 2012: Arena Atlas Religion Maps. »Ogonek«, № 34 (5243)) legen nahe, dass es im gesamten Oblast Kaliningrad gerade so 1.000 Juden gibt. »Oblast« meint das gesamte Gebiet Kaliningrad. Dieses Gebiet hat ungefähr 940.000 Einwohner, weniger als 0,1 Prozent sollen jüdische Einwohner sein. Da sind 500 Plätze mehr als optimistisch.
Aber offenbar erhöht das Akzeptanz der Synagoge und erzeugt offenbar gewisse Emotionen. So konnte man auch das notwendige Geld für den Bau aus Spenden aufbringen und den »Zirkus« der Stadt entschädigen, der auf dem Baugrund stand. Hier wird die Zukunft zeigen, ob dies wirklich das richtige Vorgehen war.
Deutschland – wohnen in der Nähe der Synagoge
Ende des vergangenen Jahres (2017) entschied das Sozialgericht Berlin, dass die Stadt keine 2.000 an Hartz 4 Empfänger für eine Wohnung in der Nähe einer Synagoge zahlen muss (siehe hier). Man dürfe am Schabbat nicht mit dem Auto in die Synagoge fahren – was ja auch stimmt, aber leider seien alle Wohnungen in der Nähe der Synagoge sehr teuer. Deshalb müsse die Miete einer solchen Wohnung vom Amt übernommen werden. Das offenbart ein ganz anderes Problem der Gemeinden in Deutschland: Sie sind zwar »in der Mitte der Gesellschaft« angekommen (siehe auch den Text hier), aber dort, in der Mitte der Städte, sind die Mieten sehr hoch. Die Gemeinden werden dort gebaut, wo sie gesehen werden und die offene Demokratie demonstrieren. Sie liegen aber nicht dort, wo die Gemeindemitglieder wohnen. Das erschwert observantes Leben eher, als dass es das erleichtert.
Die Verbindung
Beide Ereignisse sind zwar geographisch voneinander getrennt, erzählen aber die gleiche Geschichte: Die Versuchung ist groß, »symbolisch« zu handeln und nicht pragmatisch. Davon hängt aber die Zukunft der Gemeinden ab. Sie sollten pragmatische Entscheidungen treffen und betrachten, wohin sich die Gemeinden entwickeln sollen. Synagogen in Innenstadtlagen sind eher etwas für Menschen, die sich das Leben dort leisten können – wobei es natürlich in Einzelfällen Innenstädte gibt, die noch eine ausgewogene Mietstruktur haben.
Wird “observantes Leben” von den gegenwaertigen Gemeindevorstaenden eigentlich erwuenscht? Wuerde eine observante Gemeinde nicht ganz andere Leute in den Vorstand waehlen?
Sollten sich das nicht die Gemeindemitglieder wünschen? Also von »unten-nach-oben«? Nicht von »oben-nach-unten«? Das kann man ja nicht dekretieren. Das muss sich entwickeln. Eine Gemeinde kann (könnte) dafür die Umgebung bereitstellen.
Ich wollte ja nur die Frage aufwerfen, ob die gegenwärtigen “Machthaber” überhaupt ein Interesse haben, eine Entwicklung hin zu mehr Observanz zu fördern, oder sie vielleicht sogar zu sabotieren.
Es ist hinreichend bekannt, wie vor rund zweihundert Jahren der Vorstand insbesondere in Frankfurt den observanten das Leben schwer gemacht hat. Das führte mit einiger Verzögerung seinerzeit zur Entwicklung von Austrittsgemeinden. Diese Konkurrenzstruktur wiederum ermöglichte den Druck auf die etablierten Gemeinden.
Wieviele Beispiele haben wir in der jüngeren Geschichte, wo sich innerhalb etablierter Strukturen ein Trend zu mehr jüdischer Substanz durchgesetzt hat?
Mein »könnte« ist eher als »sollte« zu verstehen. Nach meinem Verständnis, wäre die Einheitsgemeinde eine Art »Infrastrukturbereitsteller« und schafft Räume für Entwicklungen. Das wird in der Regel anders gesehen.
Nach meinem Eindruck haben wir jede Menge Wachs, einige Dochte, aber nur wenige Leute mit Feuer.
Das Bereitstellen von Infrastruktur bringt nur dann was, wenn es auch Nachfrage gibt. Vielleicht schliesst Du zu sehr von Dir selbst auf den Durchschnitt 😀
Die Nachfrage muss (leider) aktiv gefördert werden, den von allein ist offenbar nicht genug da.
Von mir auf andere? Das ist ja ein verstecktes Kompliment 🙂
Vielleicht gibt es beide Konstellationen?
Die Gemeinden, bei denen gar nichts geht, weil absolut gar kein Interesse vorhanden ist.
Die Gemeinden, die potentielle Multiplikatoren hatte, oder sagen wir mal »Vorbilder«, die aber nicht für sich genutzt hat und das Potential hat brachliegen lassen. Hier könnte eine offene Atmosphäre durchaus helfen.
Der Antisemit meint, alle Juden seien reich. Vielleicht verwechselt das Ursache und Wirkung? Offenbar muss man einen gewissen Mindestwohlstand haben, um juedisch Leben zu koennen…
Dazu passt: Warum bezeichnet die ההגדה zu Beginn שמורה Hand מצות als לחמא עניא? Weil man bei den Preisen arm davon wird, sie zu kaufen… 🙂
Ja. Das ist vollkommen korrekt. Koschere Verpflegung, gerade für Pessach, ist nicht so sehr günstig. Das mag auch daran liegen, dass wir alles importieren und es kaum lokale Hersteller gibt. Mazzot werden in den Niederlanden und Frankreich hergestellt, aber man kann sie in Deutschland kaum erhalten.