Wer heute als Tourist nach Amsterdam kommt, wird Anne Frank in der Stadt begegnen. Heute gibt es Taschen mit Sätzen aus dem Tagebuch der Frank, es gibt natürlich ein Theaterstück und seit diesem November sogar ein weiteres »Achter het Huis« (Hinter dem Haus). Dieses Stück kommt sogar ohne Juden und Nazis aus. In diesem Stück geht es statt dessen um einen fiktiven Übergriff durch Dr. Fritz Pfeffer auf Margot, Annes Schwester. Warum? Weil das Tagebuch der Anne Frank, laut Regisseur Ilja Pfeijffer ansonsten keinerlei Dramatik enthält. Eine Oper namens »Anne en Zef« (»Anne und Zef«) zeigte zu Beginn des Jahres Annes Verhältnis mit einem albanischen Teenager der einem Ehrenmord zum Opfer fiel. Wer möchte, kann sich fürs Anne-Frank-Haus Karten online reservieren und kann dann termingerecht mit Priorität an der absurd langen Schlange vorbeiziehen und sich durch die Ausstellung schieben lassen. Nicht selten habe ich beobachtet, dass man sich vor dem Eintritt »viel Spaß« gewünscht hat. Der »originale« Ort soll dann wohl einen »authentischen« Eindruck verleihen. Bis vor kurzer Zeit konnte man anschließend im Museumsshop ein leeres Tagebuch kaufen. Wer auf der Suche nach »Authentizität« ist, sollte sich vielleicht an das Tagebuch halten und den Bereich draußen auf sich wirken lassen. Die »Figur« Anne Frank unterliegt als Symbol für alles mögliche mittlerweile auch einer gewissen Kommerzialisierung und Banalisierung, nicht nur durch den Einsatz für beliebige Zwecke. Mal wird behauptet, Anne hätte sich, wenn sie noch lebte, für die Sache der Palästinenser eingesetzt, dann wieder für vollkommen andere Dinge. Oder um es mit Eyal Boers zu sagen: Anne Frank ist die »Heilige Dreifaltigkeit der Symbolik: Das Kind, die junge Frau, die Jüdin.« Für jeden ist also etwas dabei. Vom Tagebuch und dem Schicksal des Mädchens, welches das Buch schrieb, ist das alles recht weit weg.
Nun gibt es das Tagebuch auch noch als »Graphic Diary«, also als gezeichnetes Buch. Hier kann man natürlich nicht das gesamte Buch abbilden, sondern muss sich auf bestimmte Inhalte beschränken und eine thematische Auswahl treffen. Damit befasst waren Ari Folman, israelischer Filmregisseur und der Comiczeichner David Polonsky. Ari Folman arbeitet derzeit an einem Film zu Anne Franks Tagebuch. Die beiden machen aus dem fragwürdigen Unterfangen einen interessanten »Kommentar« zum Tagebuch der Anne Frank und führen an die Lektüre heran. Polonskys Bilder und Folmans Ausformulierung der Geschichte überzeichnen zwar Annes überraschend klare Sicht der Dinge (die im Tagebuch zuweilen altklug wirkt) und die Beziehungen zwischen den Bewohnern, aber arbeiten damit ein paar Aspekte besonders hervor. Die Bildsprache und die Formulierungen zeigen, mit wie viel Ironie oder gar Spott Anne hier ihren Alltag schilderte. Aber auch ihre Befürchtungen oder Hoffnungen. Sie sieht die Juden schuften vor der Kulisse eines ägyptisch anmutenden Nazireichs, dann zündet die Meldung des »D-Days« im Radio neue Hoffnung auf eine baldige Befreiung. Lediglich die Augen der Hauptfiguren wirken etwas verstörend groß. Die Übersetzung erledigte übrigens die großartige Mirjam Pressler. Abschließend kann man also sagen, dass das »Graphic Diary« bestimmte Aspekte des Buchs verdeutlicht und der Lektüre anschließend weitere Aspekte hinzufügen, aber es kann die Lektüre nicht ersetzen oder als »Zusammenfassung« dienen. Es ist ein wenig kommerzieller Baustein, aber keiner derjenigen, der irgendeine beliebige Symbolik hinzufügt, sondern etwas sinnvolles beiträgt. Das antizipierten wohl die Herausgeber schon und versichern, dass UNICEF wesentliche Teile des Erlöses erhält. Irgendwie ist es ein jüdischer Aspekt, dass es zu einem Buch ein Buch gibt…
Hinweis: Auch Juna, von irgendwiejuedisch.com hat das Tagebuch gelesen. Ihre Rezension findet man hier.
Bibliographische Angaben
Das Tagebuch der Anne Frank: Graphic Diary. Umgesetzt von Ari Folman und David Polonsky S. Fischer Verlag 160 Seiten ISBN-10: 3103972539 Leseprobe hier verfügbar