
Jüdisch-Muslimischer Dialog ist wichtig. Deshalb findet er auch zuweilen statt. Nicht im großen Ausmaß, aber immerhin gibt es hier und da Initiativen auf Augenhöhe.
Für größere Initiativen in Deutschland sind andererseits die jüdischen Gemeinden einfach zu klein.
Neben dem Austausch praktischer Dinge oder gemeinsamer Projekte könnte es passieren, dass man sich auch inhaltlich füreinander interessiert. Literatur gibt es nicht viel auf diesem Gebiet – jedenfalls nicht in deutscher Sprache – es gibt ja auch kaum einen Markt.
Recht euphorisiert war ich deshalb über die Ankündigung von Dr. Muhammad Sameer Murtaza zu seinem Buch
»Adam – Henoch – Noah – Ijob: Die frühen Gestalten der Bibel und des Qur’an aus jüdischer und muslimischer Betrachtung« (Link zum Buch bei amazon), die er per Mail und dem Abbinder der Stiftung »Weltethos« aussandte. Ein verbindendes Buch mit Betrachtungen der gemeinsamen Geschichten. Das erste Kapitel des Buches (»Adam und der Universalismus in Thora und Qur’an«) allerdings baut keine Brücken:
Aber es gibt zunehmend kritische Stimmen auf jüdischer und muslimischer Seite, die im ideologisierten Islam der HAMAS und in der Ideologie des Zionismus keine Lösung sehen.
– Seite 15
Gehen wir die Konstruktion einmal schrittweise durch. Auf der einen Seite wird die Hamas genannt. Eine Terrororganisiation mit dem erklärten Ziel, Israel zu vernichten.
Auf der anderen Seite wird der Zionismus an sich genannt. Die Ideologie eines Staats für Jüdinnen und Juden.
Und wie bezeichnet man diese Menschen, die im Zionismus »keine Lösung sehen«?
Für Dr. Murtaza sind es Hoffnungsträger:
Die Hoffnungsträger setzen die israelische Politik nicht mit dem Judentum gleich und identifizieren die Handlungen der HAMAS nicht mit dem Islam.
– Seite 15
Aber eines verstört noch: Das ist kein religiöser Konflikt. Hier stößt nicht Islam auf Judentum, hier kämpfen nicht Islam und Judentum gegeneinander. Wer das so darstellt, der nimmt den Faden derjenigen auf, die diesen Mythos gesponnen haben – letztendlich für ein politisches Ziel und um die Jagd auf Juden auch außerhalb Israels zu legitimieren. Im palästinensisch-israelischen Konflikt geht es ausschließlich um Politik. Die israelische Regierung ist keine Theokratie.
In einem Gespräch zu seinem Buch (hier, islamiq.de) sagt Dr. Murtaza:
Ich würde das Buch gerne Menschen muslimischen und jüdischen Glaubens schenken, die den jeweils anderen bisher nur im Zuge des politischen Nahost-Konfliktes als Feindbild kennengelernt haben.
hier, islamiq.de
Man hat einander nicht als Feindbild kennengelernt. So selbstkritisch Dr. Murtaza zu sein scheint, so naiv scheint er anzunehmen, Juden erzögen ihre Kinder zum Hass auf den Islam oder die Palästinenser.
Natürlich habe ich Kontakt zu Dr. Murtaza aufgenommen um ihn dazu zu befragen. Das Zitat aus seinem ersten Kapitel sei eine Wiedergabe dessen, was Juden und Muslime über den Konflikt zu sagen hätten. Zudem habe er in Gesprächen mit jungen Juden »aus der Richtung des liberalen Judentums« aber auch Gesprächen mit Rabbinern die Notwendigkeit für eine Phase des Postzionismus herausgehört. Diese führe letztendlich zum Frieden.
Wir wissen nicht, welchen Postzionismus er meint. Die (stark umstrittene) innerisraelische Forderung nach einem multikulturellen, multi-konfessionellen und multi-nationalen Staat Israel, der seinen Anspruch aufgibt, ein jüdischer Staat sein zu wollen, oder jener Postzionismus , der einfach den Staat in seiner Vollständigkeit ablehnt.
Und wenn er ersteren meint, warum hat er das nicht so formuliert? Diese Frage wollte oder konnte mir Dr. Murtaza nicht beantworten. Passen Weltethos und Zionismus also nicht zusammen?
Zum Themenkomplex Juden und Islam siehe bitte auch diesen Artikel
Schalom lieber Herr Chajm,
vielen Dank, dass Sie sich nochmals meinem Buch widmen, aber ich komme nicht umhin, Einspruch zu erheben.
Als Sie mich angeschrieben haben, teilten Sie mir mit, dass Sie das Buch noch nicht gelesen haben, sondern nur Einblick in die Buchvorschau auf Amazon hatten. Ich habe Ihnen empfohlen, das ganze Buch zu lesen, um sich einen tatsächlichen Eindruck zu verschaffen. Ich finde Ihre Vorgehensweise nicht redlich, denn Sie schreiben über ein Buch, das Sie nicht wirklich gelesen haben. Sie stören sich an einer Aussage, ohne zu wissen, wie der weitere Verlauf der Argumentation ist. Falls Sie das Buch aber doch inzwischen gelesen haben, dann nehme ich natürlich meine Kritik zurück.
Weiter muss ich feststellen, dass Sie Dinge in den Text hineinlesen, die da nicht stehen. Sie suggerieren sehr viel, vielleicht, weil Sie schon eine vorgefasste Meinung besitzen. Sie unterstellen, ich deute den Nahost-Konflikt religiös, aber das tue ich nicht, da er für mich kein religiöser Konflikt ist. Lesen Sie bitte genau, was in der Amazon-Vorschau steht:
“Die Hoffnungsträger setzen die israelische Politik nicht mit dem Judentum gleich und identifizieren die Handlungen der HAMAS nicht mit dem Islam.”
(Übrigens, wenn Sie zitieren, dann bitte richtig, im Text steht nicht “Die” sondern “Diese”, was im Textgefüge schon zu einer Bedeutungsverschiebung führt)
Ich plädiere dafür, dass wir den Konflikt nicht religiös verstehen. Aber Sie werden doch zugeben, dass es auf beiden Seiten Menschen gibt, die dies tun, die darin tatsächlich eine Auseinandersetzung zwischen Islam und Judentum oder Arabern und Juden sehen. Und ich finde es gut, dass es auf beiden Seite Menschen gibt, die den Konflikt differenzierter sehen.
Ebenso lesen Sie dies in das Zitat aus meinem Interview hinein, aber was steht da denn genau, schauen wir mal hin:
“Ich würde das Buch gerne Menschen muslimischen und jüdischen Glaubens schenken, die den jeweils anderen bisher nur im Zuge des politischen Nahost-Konfliktes als Feindbild kennengelernt haben.”
Bestreiten Sie, dass es Menschen gibt, – und achten Sie bitte darauf, hier wird nicht pauschalisiert, sondern zum Ausdruck gebracht, dass es Menschen gibt, die das so sehen, aber natürlich gibt es auch Menschen auf beiden Seiten, die das anders sehen, aber die sind ja nicht das Problem, – die den anderen als Feindbild sehen? Ich bin da sehr selbstkritisch gegenüber so einigen in meiner eigenen Gemeinschaft, die im Judentum und den Juden ein Feindbild sehen. Und ich habe auch schon Juden kennengelernt, die im Muslim ein Feindbild gesehen haben. Das war sogar der Fall bei der ersten Begegnung mit einem Menschen jüdischen Glaubens, die ich hatte. Gerne können wir uns einmal ausführlicher darüber unterhalten. Und ich habe auch wunderschöne offene Gespräche mit liberalen Juden gehabt, die auch attestiert haben, dass es ein Feindbilddenken bei einigen Juden hinsichtlich Arabern und Muslimen gibt. Ich muss auch gerade über die Debatte über Rabbi Yitzhar Shapira und sein Buch „Torat ha Melekh“ denken. Und diesen Menschen möchte ich mein Buch schenken, damit sie erkennen, dass wir so vieles gemeinsam haben, dass jegliches Feindbilddenken unsinnig ist.
Interessant ist diese Aussage Ihrerseits:
“so naiv scheint er anzunehmen, Juden erzögen ihre Kinder zum Hass auf den Islam oder die Palästinenser.”
Darf ich fragen, warum in Ihrer Kritik nicht vorkommt, dass ich ja nach Ihrem Denken auch Muslimen oder Arabern unterstelle, ihre Kinder zum Hass gegen das Judentum zu erziehen?
Ich bin auch irritiert über diese Aussage: “Wir wissen nicht, welchen Postzionismus er meint.” Erst einmal, ich meine nichts, ich gebe etwas wieder. Sie schreiben doch selber, dass ich Ihnen schrieb, dass dies Aussagen waren, die mir mitgeteilt wurden von junge nliberalen Juden und Rabbinern. Also muss richtigerweise Ihre Aussage lauten: “Wir wissen nicht, welchen Postzionismus diese Juden meinen. ”
Aber bleiben wir bei Ihrer obigen Aussage. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie mich gefragt haben, was diese Juden mit dem Begriff Postzionismus meinten. Falls Sie mich das gefragt haben sollten, dann tut es mir leid, dann habe ich diese Frage nicht registriert. Nun kommt da so eine lauwarme Suggestion bei Ihnen im Text: “oder jener Postzionismus , der einfach den Staat in seiner Vollständigkeit ablehnt.” Also…glauben Sie wirklich, liberale Juden und liberale Rabbiner würden so etwas zum Ausdruck bringen? Ich meine, Sie unterstellen da schon gewaltiges. Muss das sein? Nein, diese Juden meinten nicht die Abschaffung des Staates Israels, und ich schon gar nicht, sondern eher das Verständnis Israels als eines liberalen und multireligiösen Staates. Das müssen Sie nicht gutheißen, aber die Debatte gibt es ja. Lesen Sie das Buch von Rabbi Jonathan Magonet zur Einführung in das Judentum, da wird diese Debatte ausführlich behandelt. Lesen Sie die Werke von dem jüdischen Friedensaktivisten Marc Ellis usw.
Ich weiß leider nicht warum Sie Dinge in meine Texte und Aussagen hineininterpretieren, die da nicht stehen. Bitte verstehen Sie das nicht als Angriff, sondern als brüderlicher Rat, dass Sie vielleicht einfach mal reflektieren, ob Sie eventuell, eine vorgefasste Meinung in meine Aussagen hineinlesen.
Jetzt meine Frage an Sie, hat das Buch sonst nichts zu bieten, gerade für den interreligiösen Dialog?
Herzlichst und Schalom
Ihr
Dr. Muhammad Sameer Murtaza
Zunächst einmal vielen Dank für die ausführliche Antwort.
Wie gesagt, ich wertschätze die Absicht des Buches, finde aber das »Setup« nicht sonderlich »gelungen«. Der politische Diskurs gleich zu Beginn wird durch die Erläuterungen, meiner Meinung nach, in kein anderes oder besseres Licht gerückt. Es wurde so geschrieben und da ist eigentlich nicht viel Raum für Interpretationen. Der Exkurs über die Zionisten bleibt schräg. Spätere Relativierungen oder neue Diskurse sind dem Leser nicht zugänglich. Entweder man beschreibt etwas präzise oder man schafft bewusst einen Raum für die Diskurse, die Leser schon mitbringen.
Mit Ihrem Verweis auf Rabbi Jonathan Magonet kommen wir zu einem interessanten Problem – während Sie aus Sekundär und Tertiärquellen zitieren, würde ich mich diesbezüglich als Kenner der verschiedenen Positionen auf eben diese beziehen und nicht auf Dritte. Mir sind alle Positionen bekannt. Ihnen offenbar auch, aber Sie haben diese nicht eingeordnet.
Wir das Vergnügen, dass Sie gleichermaßen Jonathan Magonet und Rabbiner Jonathan Sacks zitieren und nebeneinander für »das« Judentum sprechen lassen. Die beiden stehen für zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen auf das Judentum. Auf der einen Seite das Reformjudentum mit und auf der anderen Seite einen Vertreter der modernen Orthodoxie. Dementsprechend sind auch ihre Textzugänge unterschiedlich.
Schreibe ich einen Text über »den Islam« und zitiere nebeneinander Theologen aus dem Umfeld der Achmadiyya und der Zaiditen ohne sie einzuordnen, würde man das (vernünftigerweise), kritisieren.
Für den interreligiösen Dialog ist es enorm wichtig, transparent darzustellen, wie bestimmte Kommentatoren zu bestimmten Zeiten zu bestimmten Sichtweisen auf einen Text gekommen sind. Wer Raschi zitiert, der muss sich bewusst sein, dass dieser meist den Midrasch zitiert etc.
Ich habe übrigens keine vorgefasste Meinung, war bezüglich der Thematik sogar recht euphorisch, ich weiß mittlerweile bestimmte Formulierungen zu lesen.
PS: Wenn Sie mir diesen Nachtrag erlauben, ein Staat ist ein lebloses Ding und kann keine Identität oder Religion haben. Es sind die Menschen, die dem Staat eine Identität geben. Und ein multireligiöses und multikulturelles Israel bedeutet nicht eine Verminderung des Judentums in Israel. Wenn ich Ellis und Magonet richtig verstehe, dann ist dies vielleicht sogar die beste Realisierung des universalen Horizonts des Judentums, wie auch des Abrahambundes. Aber wie gesagt, dass ist eine spannende innerjüdische Debatte.