Das Scheinwerferlicht der deutschen Öffentlichkeit ist ein kleiner Lichtkegel wenn es um das Thema »Juden« und »Judentum« geht. Das Interesse ist groß, aber das Problem des kleinen Lichtkegels ist, dass nicht alle gleichzeitig in ihm Platz finden. Egal wer da gerade angestrahlt wird, diejenigen, die im Dunklen stehen, sind der Meinung, die anderen gehörten nicht ins Licht. Auf dem Rand des Lichtkegels kann man sich nun hervorragend damit beschäftigen, warum man selber hinein gehört, wer nicht dazugehört und warum sich andere disqualifizieren. Oft fällt es leichter zu definieren, wer nicht hinein gehört und das macht natürlich auch mehr Spaß.

Die Frage lautet also – wer darf|muss|soll heute das Judentum, die Juden, jüdische Menschen in Deutschland repräsentieren? Nach Meinung einiger sieht die Antwort so aus: Der heutige (gegenwärtige) Repräsentant des Judentums beschäftigt sich nicht ständig mit dem Thema »Schoah«. Der heutige Repräsentant steht nicht für »Israel« und der heutige Repräsentant spricht nicht über »Antisemitismus«. Schon gar nicht will er sich nicht vom Publikum erzählen lassen, wie man im Licht (der Öffentlichkeit) zu agieren habe. Das beschreibt, natürlich sehr verkürzt, die Mission von »Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart«. Mitherausgeberin Hannah Peaceman formuliert es so:

»Die Deutungshoheit zu Fragen, die Jüdinnen und Juden betreffen, wird in Deutschland allzu oft nicht-jüdischen oder aber konservativen jüdischen Stimmen überlassen. Nur einzelne Gegenstimmen zu dieser Marginalisierung und politischer Vereinnahmung werden im medialen Diskurs aufgegriffen.« Jalta, Ausgabe 1, Seite 169

Die Deutungshoheit gegenüber wem? Der Öffentlichkeit gegenüber? Warum? Das wäre doch ein hervorragendes Thema für diejenigen, die ohnehin im Schatten stehen. Sie werden nicht vom Publikum gesehen und können in Ruhe ihren Geschäften nachgehen, unanständige Sachen tun, schmutzige Texte schreiben, sich mit Kultur auseinandersetzen, Konventionen brechen wie noch nie jemand zuvor Konventionen gebrochen hat, sich mit anderen hinter den Kulissen zusammentun und Spaß haben. Das hätte sich zu einer Zeitschrift, einem Magazin, verdichtet, wie es im deutschsprachigen Raum gebraucht wird. Ohne Rücksicht auf politische Korrektheit, mit den Themen, die heute bewegen. Aber »Jalta« ist kein Magazin für diejenigen geworden, die einfach mal ganz unbeobachtet und ohne Filter mit denen kommunizieren wollen, die auch hinten sind. »Jalta« hat einen anderen Ansatz gewählt. Man schreibt aus dem vermeintlichen Off für den Zuschauer und erklärt, wie es im Lichtkegel aussehen sollte.

Das, jetzt fast schon überstrapazierte, Bild des Scheinwerferlichts ist nicht ganz zufällig gewählt. »Jalta« kann man nämlich als Fortführung des »Desintegrationskongresses« im Berliner Gorki-Theater lesen. Dort diskutierte 2016 eine Gruppe von Leuten über die Themen »postmigrantische Gesellschaft«, »Selbstbestimmung« und »Emanzipation«. Man wollte hier wegkommen von den üblichen Allgemeinplätzen wie »Schoah«, »Antisemitismus« und »Israel«. Nebenbei wurde die Verbrennung einer wissenschaftlichen Ausgabe von »Mein Kampf« zelebriert. Wir sehen also: Der Willen zum Bruch von Konventionen war da. Die Themen der Konferenz ziehen sich nun auch durch »Jalta«. Mehrfach ist die Rede von der »postmigrantischen Gesellschaft«, einem Begriff der in Berlin mit »postmigrantischem Theater« geprägt wurde und dort in den Kreisen zirkuliert, die sich künstlerisch damit beschäftigen. Die Macher der Zeitschrift halten den Begriff für bekannt. Das Netzwerk der Konferenz hat zunächst einen Artikel in der ZEIT hervorgebracht. In diesem stellt Mirna Funk einen Kreis junger Juden als Kulturschaffende vor(»Wir lebenden Juden«) und hebt nebenbei ihre eigene Bedeutsamkeit und die ihrer Freunde (eben jener vorgestellten Menschen aus dem Artikel) hervor. Kongress und Zeitschrift thematisieren Selbstbestimmung und die Emanzipation von einem Verständnis jüdischer Identität, das Juden in Deutschland eine feste gesellschaftliche Rolle zuweist – so sagten jedenfalls die Aktivisten und schreiben darüber viel in Jalta. Sehr viel. Eigentlich drehen sich viele Texte um das Zurückweisen von Zuschreibungen. Das ist etwa so, als würden deutschsprachige jüdische Blogger ausschließlich darüber schreiben, wie es ist, ein jüdischer Blogger in Deutschland zu sein und inhaltlich sonst nichts liefern.

Mitherausgeber Max Czollek schreibt in seinem Artikel »Desintegration« (der zwischendurch richtig Fahrt aufnimmt) über die Sicht der nichtjüdischen Deutschen (»Dominanzkultur«) auf sich und ihr Land zwischen Mahnmalen und Deutschlandfahnen.

Und wir Juden leisten einen wesentlichen Beitrag, dieses post-nationalsozialistische, deutsche Selbstverständnis zu stabilisieren. Indem wir all die born-again Deutschen ihrer eigenen Läuterung versichern, gibt es uns heute vor allem als Juden für Deutsche. Jalta, Ausgabe 1, Seite 121

Dann fordert er, »sich nicht gebrauchen zu lassen« und definiert »Desintegration« als Befreiungsschlag von dieser Umklammerung des jüdischen durch die deutsche Öffentlichkeit. Es folgt eine Aufzählung von Dingen, die man tun muss, um sich zu befreien. Über die Fahne Deutschlands soll man etwa wütend sein, weil die »scheiß Fahne« seit 2006 auf »jedem scheiß Produkt« zu finden sei: »Unsere Rache sorgt dafür, dass die Tätergemeinschaft nicht zur Ruhe kommen kann. Keine Vergangenheitsbewältigung. Keine Juden für Deutsche.« Vielleicht ist das der Grund, warum die Kulturstiftung des Bundes sowohl »Jalta« mitfinanziert, als auch den nächsten Kongress im November 2017 (Radikale Jüdische Kulturtage). Engagiert und theatralisch, aber wer Maxim Biller lesen will, liest dann Maxim Biller.

Der konkrete Gegenentwurf zu dem, was man ablehnt, bleibt vage und sehr theoretisch. Wir erfahren, die jüdische Gegenwart sei feministisch, queer und migrantisch. Also alles heiße Themen aus der Berlin-Blase, in politisch korrekter Gender-Schreibweise mit hartnäckigem Anhängen des Suffixes »innen« an (männliche) Substantive mit Sternchen, Bindestrich oder Unterstrich. Auch das Wort »Juden« wird pflichtschuldig mit dem Hinweis versehen, man meine natürlich alle Genderausformungen damit. Wir lesen etwas über einen lesbisch-feministischen Schabbeskreis, über ein europäisches Netzwerk feministischer Jüdinnen, über Schäferhunde und Hundehaltung in Israel (womit wir doch wieder das Thema Schoah behandelt sehen und ein Israel-Thema), über die Women of the Wall, über einen Empowerment-Raum für queere, jüdische Menschen, über Heidegger und Antisemitismus, aber auch einen Artikel über Fritz Benscher. Interessant ist ein (extrem formaler) Artikel über »Organisationen und Initiativen junger Erwachsener in Deutschland« von Anastassia Pletoukina, der anscheinend aus einer wissenschaftlichen Arbeit ausgekoppelt ist. Auch ein Aufsatz von Rabbinerin Elisa Klapheck über das Wort kadosch zeigt was möglich wäre, wenn man einfach mal einen Artikel schreibt, statt zunächst Abgrenzungen und theoretische Distanzierungen vorzunehmen. Ein wenig Lyrik und Kunst gibt es zwischendurch ebenfalls. Der Verdacht liegt nahe, dass man also doch zum Publikum spricht und nicht zu den anderen Akteuren auf der Bühne. Das ist schade, denn so ein Format wird auf dem deutschsprachigen Markt dringend benötigt: Ein Leitmedium für Jüdinnen und Juden, die sich irgendwie für jüdische Themen interessieren. Darauf warten wir noch.

Enden wir mit Floskeln: Man merkt, das Format hat mich nicht abgeholt, aber es wird seine Berechtigung haben.