Ein unverantwortliches Buch?

Armin Langer war Rabbinerstudent am Abraham Geiger Kolleg und ist Mitbegründer einer Gruppe namens »Salaam-Schalom Initiative«.

Im Frühjahr überwarf sich Langer dann mit dem Abraham Geiger Kolleg. An diesem hatte er seine rabbinische Ausbildung begonnen. Jedoch nicht wegen seiner »Meinung« oder seinen Aktivitäten im jüdisch-muslimischen Dialog, sondern weil er, wie das Kolleg berichtete (siehe auch hier), Absprachen zur Außenkommunikation nicht eingehalten hatte. Dass er den Zentralrat der Juden als »rassistisch« bezeichnet hatte (und sich später für die Wortwahl entschuldigte), war also nicht der Auslöser, auch wenn das häufig so gesehen wird.

Nun ist er kein also Rabbinerstudent mehr, aber das Label bleibt. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Mit diesem Label:
In den meisten Berichten und auch im Text des Verlages zu seinem Buch heißt es: »Ármin Langer, jüdischer Rabbinerstudent und Publizist, lebt in Neukölln[…]«. Dementsprechend heißt das Buch »Ein Jude in Neukölln – Mein Weg zum Miteinander der Religionen«. Aber eigentlich, so heißt es im Buch, sollte das Buch »Muslime sind die neuen Juden« heißen (Seite 11), er habe sich dann jedoch umentschieden.
Dieser Titel hätte die Grundidee Langers schon ganz gut zusammengefasst. Diese These wird dann auch untermauert mit verschiedenen »Umdeutungen« und »Uminterpretationen«.
Er spricht etwa über Rabbiner Daniel Alter. Alter wurde in Berlin auf offener Straße von Jugendlichen zusammengeschlagen. Nach allem was wir wissen, Kinder oder Enkel von Migranten mit arabischem Hintergrund und formulierte danach öffentlich, was viele Juden bereits wussten: Es gibt Bereiche in der Stadt (wie auch in anderen Städten), die für Juden nicht sicher seien. Eben wegen solcher Jugendlicher.
An Alter arbeitet sich Langer ab und versucht, das ganze Geschehen zu entkräften. Dieser Vorfall, exemplarisch für andere, wird umgedeutet und das Licht ausschließlich auf Alters Äusserungen danach gerichtet.
Natürlich fehlt auch der Vorwurf nicht, Dr. Josef Schuster, der Zentralratspräsident, hätte Obergrenzen für Flüchtlinge gefordert. Generell wird hier in beiden Fällen ein antimuslimischer Diskurs von Langer vermutet.
Antisemitimus sei generell kein Problem bei »muslimischen« Jugendlichen, so Langer.

Aber eines übersieht Langer in seiner Argumentation und seinem Bemühen, eine schwarz-weiße Welt zu erzeugen: Die Grautöne.
Es ist tatsächlich kein Problem der Religion, sondern der Sozialisierung und des vorherrschenden Mythos, das Judentum sei der Feind des Islam. Diese antisemitische Propaganda aus arabischen Ländern hat langfristige Wirkung gezeigt und färbt sogar auf vereinzelte jüdische Protagonisten ab. Niemand würde ernsthaft behaupten, alle »muslimischen« Jugendlichen seien Antisemiten. Man muss aber das Problem aufzeigen dürfen.
Noch immer meint er, »95 Prozent aller antisemitischen Gewalttaten werden von Neonazis verübt« und damit widerspricht er der Lebenserfahrung der meisten Juden in diesem Land. Jedenfalls derer, die als solche erkennbar sind.
Antisemitismus sei kein Problem. Vielmehr gäbe es Probleme mit dem Staat Israel. Auch zu diesem hat Langer, sagen wir mal, eine »kritische« Haltung (Diskriminierung sei in Israel überall präsent)– um den größtmöglichen Euphemismus zu wählen. Oft sei es gar kein Antisemitismus, wenn Juden ermordet würden. Der Überfall auf den koscheren Pariser Supermarkt Hyper Cacher, sei eher politisch motiviert. Wenn man das weiterspinnt, ist es also eher »physische Israelkritik«. Das Patentrezept für ein Ende solcher Taten: Die »Besetzung« des Westjordanlandes beenden und alle Palästinenser zurückkehren lassen nach »Israel-Palästina«. Vielmehr sei der Staat Israel ein »Risikofaktor für Juden außerhalb Israels«.

Der Antisemitismus wird also wegdefiniert und Israel-Hass scheint legitim zu sein.

Dann gibt es die Behauptung, jüdisches Leben in Deutschland definiere sich heute zu einem großen Teil nur durch die Beschäftigung mit der Schoah oder die Bedrohung durch Antisemitismus.
Der »Status als Opfer« würde immer wieder betont. Das ist eine Sichtweise, die häufig von denen eingenommen wird, die dem Judentum nicht so offen gegenüberstehen und geht an der Realität der Gemeinden generell vorbei. Vermutlich wird das weder am Abraham Geiger Kolleg, noch an den anderen Einrichtungen der Rabbinerausbildung in Deutschland gelehrt. Die meisten Rabbiner aller Strömungen betonen heute, wie wichtig es ist, dass man Herr über sein eigenes Leben ist und wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen. Auch als »Gruppe«.

In dem Buch werden zahlreiche Anstrengungen unternommen, einen antimuslimischen Diskurs nachzuweisen. Wenn man den Argumentationen folgt, dann lassen sie das Engagement von Langer selbst natürlich in einem noch viel besseren Licht dastehen. In seinem Bemühen darum, kommt er zu falschen Schlussfolgerungen und wirft generell kein sehr gutes Licht auf die jüdische Community in Deutschland. Ich weiß nicht, ob er sich dieser Tatsache bewusst ist. Wenn man antwortet, er sei sich dessen nicht bewusst, dann ist er nicht reif genug für das Rabbinat.
Wenn er sich dessen bewusst ist? Was wäre dann?

Ármin Langer
Ein Jude in Neukölln
304 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-351-03659-1

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

14 Kommentare

  1. Wie schade, wenn man plötzlich in bester Absicht die eigenen Menschen verurteilt. Die Räumung des Westjordaniens würde wenig bringen so lange Hamas und Andere den Tod der Juden wollen. Am Grab Rabins lässt sich am Besten darüber nachdenken.
    Bei aller Dialogsfreudigkeit: bitte auch auf sich selbst schauen: Eine Hand für’s Schiff, eine für dich, heißt es bei den Matrosen.

  2. Man sollte vielleicht erwähnen, dass Herr Langer nach gewichtigen Meinungen sich gar nicht “Jude” nennen sollte (nicht-jüdische Mutter, kein orthodoxer Übertritt).
    Aber der Buchtitel würde sonst wohl etwas sperrig…

  3. Das finde ich überhaupt kein Argument.
    Judentum ist grundsätzlich nicht monolithisch.
    Und es gibt inzwischen mehr und mehr Menschen auf der Welt, die nicht-orthodox übertreten: “gewichtige” Meinungen liegen also sehr im Auge des Betrachters (abgesehen davon fällt mir passend dazu gerade ein, dass ja inzwischen orthodoxe Batei Din andere orthodoxe Batei Din nicht mehr anerkennen).
    Mit diesem Thema wird man sich immer wieder auseinandersetzen müssen, auch wenn die Lösung im Moment leider immer nur zwischen Ausschluss oder Abschottung zu liegen scheint.

    Man wird Herrn Langer daher nicht dazu bringen, sich nicht mehr als Jude zu empfinden und darum die Finger davon zu lassen, solche Bücher zu schreiben.
    Sinnvoller finde ich darum sich mit den Inhalten dieses Buches zu befassen, als mit “halachischen Kriterien”.

    1. “mehr und mehr Menschen auf der Welt, die nicht-orthodox übertreten”:
      Eine Quelle dafür würde mich wirklich interessieren.
      Von der URJ habe ich mal gelesen, dass eine Erklärung für die steigende Intermarriage rate sei, dass die nicht-jüdischen Partner heutzutage (um Unterschied zu früher) nicht mehr übertreten. Das wäre dann eher ein Hinweis auf weniger, nicht mehr Übertritte.

      “inzwischen orthodoxe Batei Din andere orthodoxe Batei Din nicht mehr anerkennen”.
      Und wenn man Bilder (oder social media posts) der wohl berühmtesten “orthodoxen” Giores der Welt, Ivanka Kushner (nee Trump) anschaut, versteht man auch sofort, weshalb.

    2. Naja. Das ist ein Argument, das die Person selber auch verwendet. Wenngleich etwas anders formuliert: »Interessanterweise kam dieser Hass vor allem von Menschen, die selbst nicht jüdisch sind, oder mindestens keine familiäre Verfolgungsgeschichte haben.« https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1141322682587869&id=1138051842914953&pnref=story
      Dennoch ist das immer eine schwierige Karte, weil es danach ausschaut, als hätte man sonst kein Argument auf der Pfanne. Das ist ja gerade bei dieser Sachlage hier genau nicht der Fall.

    3. @Shani:
      “nach gewichtigen Meinungen”: zur Klarstellung, damit meinte ich übrigens nicht “Betrachter”, sondern schlicht den שולחן ערוך.
      Du willst mir sicher nicht erzählen, dass jemand der “offen” einen איסור דאורייתא promoted, im entscheidenden Moment der Untertauchens alle מצוות akzeptiert hat. Was bekanntlich entscheidende Voraussetzung ist….

      Und wenn mehr und mehr Menschen falsche Rolex-Uhren kauften, und ihre Vorzüge gegenüber dem Original anpriesen, es wäre doch trotzdem Markenpiraterie.

      “nicht monolithisch”: In der Tat ist Platz für weit mehr als eine Meinung unter dem Dach des Judentums. Aber daraus folgt ja nicht, dass jeder Unsinn, der für sich beansprucht, legitimes Judentum zu sein, dafür eine Basis hat.

  4. @Yankel Moishe
    Die Frage “wer ist Jude” ist wie immer mehr Diskussion wert, die an anderer Stelle sicher hier schon geführt wurde bzw. die viel mehr Platz verlangen würde und nicht Thema des Threads ist, sondern allein von Dir eingebracht.
    Auf die Frage mit dem איסור דאורייתא kann ich schlecht antworten, da ich einerseits nicht weiss, wer damit gemeint sein könnte bzw. falls es der Buchautor sein sollte – ich bin nicht bewandert, wie sehr er “hält”, seine Rabbiner “gehalten” haben oder nicht und im Kontext seines Buches interessiert es mich auch schlichtweg nicht. Mich interessiert ja auch nicht, wie Paul Spiegel gehalten hat, oder Martin Buber oder Phillip Roth. Da interessiert mich jeweils der Inhalt des Buches, wie oben schon gesagt.

    Mir tut auf jeden Fall keiner, egal WIE er zum Judentum übergetreten sein mag, weh. Keiner nimmt mir mit seinem Übertritt meiner Identität. Ich muss nicht darum streiten, wer jüdisch ist oder nicht. Sollen das die Rabbiner machen, das reicht schon.

    1. @Shani:
      1. Meine Frage war nicht, wie, sondern ob er konvertiert ist. Wenn er nicht ist (auch wenn er sich das einredet, oder es ihm eingeredet wird), würde man das Buch möglicherweise anders zu lesen haben.
      2. Bzgl איסור דאורייתא: siehe https://www.sprachkasse.de/blog/2015/11/24/unverantwortlich/#comment-120255. Das hat scheinbar mit der Frage des Buches nichts zu tun, aber wie gesagt, ich sehe da ein grundsätzliches logisches Problem.

  5. “… (nicht-jüdische Mutter, kein orthodoxer Übertritt)” suggerierte mir Dein Wissen um eine Tatsache. Wenn ich das missverstanden haben sollte, ist es vielleicht auch eine Frage wie man Dinge formuliert.

    Zu Deinem Link müsste ich jetzt erst hinklicken und mich einlesen, wozu ich aber eigentlich keine Zeit habe und auch keine Lust, weil das nicht wirklich das ist, was mich in diesem Kontext interessiert.
    Ich denke, ich habe hinlänglich klar gemacht, dass es für mich bei politischen Sachbüchern zu jüdischen Themen nicht von Relevanz ist, bei wem jemand übergetreten ist.

    Man muss mit ihm ja nicht im Minyan stehen, wenn man Zweifel hat.

  6. Lassen wir mal die Frage, ob Armin Langer ein “richtiger Jude” sei, getrost beiseite (für mich ist er das jedenfalls)! Unabhängig davon haben mir einiger seiner Thesen aber überhaupt nicht gefallen! Wenn zum Beispiel von den “Muslimen (in Deutschland) als den neuen Juden” gesprochen wird, dann finde ich diesen Vergleich schon “etwas sehr gewagt” – und das ist noch recht milde ausgedrückt! Gleichwohl ist es ein nicht unwichtiges Buch für den Dialog zwischen den Religionen.

    Shalom,
    Miles

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert