Am Anfang steht die Fiktion einer Übergabe von Dokumenten an den Autoren Philippe Smolarski. Er schreibt, der Roman sei die Übersetzung von Erinnerungen eines jüdischen Gangsterbosses der aus Polen stammt und sich in China eingerichtet hat. In diesen Erinnerungen schaut er zurück auf die Zeit des Warschauer Ghettos. 1941 kehrt er nämlich zurück in genau dieses Ghetto um seine Familie zu retten. Aber er reist nicht allein. Walter, ein deutscher Jude und natürlich Gangster und eine Chinesin mit dem Namen Meiling begleiten ihn. Im Ghetto lernt Fayvel die junge Maria aus Wien kennen (und einige andere Damen). Nachdem Fayvel Zeuge dessen wurde, was im Ghetto tatsächlich passiert und erfahren hat, welche Ausmaße der Mord an den Juden Europas hat, will er mit seiner kleinen Bande aus dem deutschen Reich fliehen. Von der Flucht und der Zeit im Ghetto handelt »Fayvel der Chinese«. Fayvels Werkzeuge auf dieser Reise hat er als Waffen- und Drogenhändler erworben und damit ist schon klar, dass wir hier keinem Juden begegnen, wie man ihn gemeinhin aus den Romanen aus jener Zeit kennt. Einer Zeit über die man nicht schreiben darf, wenn man nicht selbst Zeuge dieser Zeit war, wenn es nach Maxim Biller geht. So jedenfalls hat er das einmal in der Sendung »Literarisches Quartett« postuliert. Das scheint eine Annahme zu sein, die weit verbreitet ist und das erklärt möglicheweise die vorangestellte Herausgeberfiktion des Romans. Dabei war übrigens Maxim Biller selber Gewinner der »Heeb Fake Holocaust Memoir Competition«. Aber zurück zu Fayvel. Seine Tour durch Europa ist eine Aneinanderreihung skurriler oder aberwitziger Situationen, welche die Handlung wie einen Film vorantreiben und doch immer wieder Details über die Zeit einzustreuen. Das ist kurzweilig für den Leser, offenbart aber auch ein paar Schwächen im sprachlichen Aufbau des Romans. Könnte der Aufbau der Szene aus einem Film von Quentin Tarantino stammen, so bleibt sie sprachlich etwas brav und scheinbar naiv. Der Gangstersprech von Fayvel bricht nur manchmal aus ihm heraus. Der Verfasser der Memoiren scheint ein Feingeist zu sein der sich auch nach Jahren daran erinnert, dass eine Skulptur auf dem Schreibtisch von Arno Breker war. Eine Frau schläft nicht einfach ein, sondern gleitet in die Arme von Morpheus. Dafür, dass Fayvel so ein harter Kerl ist, ist »seine« Sprache zuweilen etwas zu brav und etwas sehr reich an Erwähnungen historischer Personen und Organisationen. Frauen werden grundsätzlich »geliebt«, wenn der Autor sagen will, dass es zwischen Fayvel und eine seiner Gespielinnen zur Sache geht. Dabei gäbe es da schon ein paar saftige jiddische Wörter um den Vorgang zu beschreiben. Nicht immer soll es dabei ja um Liebe gehen. Meisterhaft verwoben wurde die Sprache eines Gangsters mit literarischer Qualität in Natan Dubowizkis (man vermutet hinter dem Pseudonym den Politiker Wladislaw Surkow) »Nahe Null«.

Wirklich smart gelöst sind (neben der Typographie) die Anmerkungen zum Text auf dem Rand der jeweiligen Seiten:

Detailansicht einer Anmerkung in Fayvel der Chinese Detailansicht einer Anmerkung in Fayvel der Chinese

Die Randanmerkungen wirken wie handschriftliche Notizen und erklären Begriffe und Wörter die man im Original belassen hat. Zuweilen muss der Leser schmunzeln, der die Begriffe kennt. Jemand wird Durak genannt. Die Notiz erklärt zwar richtig, dass das Dummkopf bedeuten kann, berichtet jedoch auch über ein gleichnamiges Kartenspiel. Wir sehen oben auch, dass Tuches ojfn Tisch wörtlich übersetzt etwas anderes bedeutet, als Karten auf den Tisch. Auch hier wieder der Unterschied zwischen Gangstertum und braven sprachlichen Mitteln.

Der Leipziger Liesmich Verlag hat dieses Buch schon im Jahr 2015 veröffentlicht. Der ungewöhnliche Ansatz ist beachtenswert und hat schon deshalb Aufmerksamkeit verdient. Geschichten wie diese sind rar gesät, auch wenn es sprachlich noch nicht so rappelt im Karton.

Philippe Smolarski: Fayvel der Chinese. Aufzeichnungen eines wahnwitzigen Ganoven. Leipzig: Liesmich Verlag 2015, 264S., 14,95€. Erhältlich im Buchhandel oder versandkostenfrei unter www.liesmich-verlag.de