Die Jüdische Allgemeine veröffentlichte am 14.07.2016 einen Artikel über den aktuellen Zustand der deutschsprachigen Wikipedia. Wir stellen fest, dass Schüler und Studenten gerne Gebrauch von der Wikipedia machen, aber dass die konkrete Arbeit an den Artikeln viel Geduld erfordert. Wikipedianutzer und Autor »Hardenacke« erklärt ausführlich, wo, seiner Meinung nach, der Schuh drückt und dass es kein Problem mit offenem Antisemitismus gibt - aber mit latentem. Ist etwa so, als würden man sagen: »Es juckt zwar, ist aber keine offiziell diagnostizierte Geschlechtskrankheit. Ich bin deshalb immer noch für alles offen.« Wer würde das Angebot nicht annehmen? Aber zurück zur Feststellung des Antisemitismus:

Wikipedia insgesamt habe aber kein Antisemitismus-Problem, ist der Autor überzeugt. »Antisemitismus ist verpönt und wird normalerweise – solange er plump und deutlich zutage tritt – geächtet.« Etwas anderes ist es schon mit latentem Antisemitismus und Antizionismus. Diese würden oft nicht erkannt – »wie im richtigen Leben auch«, meint Hardenacke.Jüdische Allgemeine: Wikipedia Sichter des Schabbat

Auch die »Kreuzdebatte« (siehe auch hier) wird angerissen. Viele Nutzer und Administratoren weigern sich beharrlich Kreuze bei den Sterbedaten nichtchristlicher Menschen zu entfernen und setzen die Entfernungen durch andere Nutzer gern zurück. Argumente von Juden dagegen wurden bisher immer recht schnell vom Tisch gewischt. Probleme einer Minderheit. Und so wird auch heute noch fleißig das Kreuz in Artikel hineinkorrigiert (siehe etwa hier,hier, hier und hier).

Auch diese Feststellung in der Jüdischen Allgemeinen wird ungehört verhallen. In der Vergangenheit gab es nämlich bereits Artikel zu diesem Thema. Einer der sehr emsigen Schreiber und Aktivisten der Wikipedia (der in dem Artikel erwähnt wurde) brachte danach zum Ausdruck, warum der die Jüdische Allgemeine nicht ernst nehmen kann:

Und offen gesagt, ich möchte dieses Hetzblatt nicht weiter kommentieren, dagegen ist ja die Bildzeitung liberal. Nutzer »Hubertl« in einer Diskussion in der Wikipedia

Dennoch scheint Nutzer »Hardenacke« seine Arbeit fortsetzen zu wollen:

Trotzdem mache es Sinn, sich zu beteiligen, glaubt er. Die viel gelesenen Wikipedia-Texte haben einen großen Einfluss, gerade auf jüngere Leute: »Unsere Artikel sind ganz sicher in unzählige Schulaufsätze und Referate eingeflossen. Deshalb fordere ich ausdrücklich dazu auf, sich zu beteiligen.« Eigentlich könne jeder etwas beitragen, von Rechtschreibkorrekturen bis hin zur Erstellung ganzer Artikel. Jüdische Allgemeine: Wikipedia Sichter des Schabbat

Und genau da muss ich widersprechen: Zumindest jüdische Nutzer mit Sachverstand sollten sich dem bürokratischen Betrieb der deutschsprachigen Wikipedia nicht aussetzen. Nach den Erfahrungen mit diesem Projekt ist der vernünftigste Schritt, verlässliche Informationen an einem Ort anzubieten, an dem man sich nicht an irgendwelchen Pseudostrukturen abarbeiten muss, sondern [sein] Wissen einfach veröffentlichen kann. In einem angemessenen Rahmen. Die deutschsprachige Wikipedia ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell Hierarchien und Bürokratie durch Nutzer selber entstehen. Sie entstehen durch emsige Nutzer und die wiederum berufen sich anschließend auf diese Hierarchien. Jedenfalls im deutschsprachigen Ableger des Projekts. Seitdem man sich beharrlich weigert auch nur zu erkennen, dass Juden Probleme mit einem Kreuz beim Sterbedatum haben, ist die deutschsprachige Wikipedia kein Projekt mehr bei dem man auch nur ein Komma korrigieren sollte. Es ist zu bezweifeln, dass Schüler und Studenten auf die Seite der Wikipedia kommen und dort ihre Recherchen beginnen. Zu einem großen Teil wird es so sein, dass man einfach das gewünschte Thema bei google eingibt und dann sehr oft die Wikipedia als eine der ersten Quellen genannt bekommt. Das könnte man dadurch reparieren, indem man eine verlässliche Informationsquelle zum Judentum hat – die auch von google als entsprechende Quelle angeboten wird. Man muss nicht zwangsläufig an die Quelle der Information, um sie zu ändern. Man muss bessere Informationen anbieten.

Eine, wenngleich nicht sehr realistische, Möglichkeit ist es, dass es wenige Einzelpersonen in Eigenregie machen. Sie werden sich dann an allen Themen abarbeiten müssen. Eine Übernahme der entsprechenden Artikel aus der Wikipedia, unter Berücksichtigung der entsprechenden Lizenzvereinbarungen, in eine neue Plattform wäre eine Möglichkeit. Auch hier müsste dann anschließend erheblich nachgebessert werden.

Eine andere Lösung? Nun, »jemand« (der Zentralrat?) könnte die Rechte am »Jüdischen Lexikon« (demjenigen von Georg Herlitz) erwerben, es digitalisieren, online stellen und allmählich aktualisieren lassen. Die Jüdische Allgemeine hält mittlerweile eine beachtliche Anzahl an »Wieso-Weshalb-Warum?«-Artikeln vor. Die wären die perfekte Ergänzung. »Jemand« könnte natürlich auch ein privater »Gönner« sein… vielleicht kennt ja jemand die Inhaber der Rechte an dem Werk… (?)