Kurze Rückblende in den November 2015: Im Zuge der Debatte um Flüchtlinge aus Syrien wird behauptet, der Zentralratsvorsitzende Dr. Josef Schuster habe sich für Obergrenzen ausgesprochen. Hat er nicht getan, aber es wurde häufig wiederholt und dies kam den Freunden einer solchen Regelung (nach dem Motto »sogar die Juden wollen das!«) entgegen. Natürlich auch denen, die Juden nicht so super finden. Inmitten der Hysterie erschien in der taz ein Artikel in dem jemand mit den Worten zitiert wurde: »Mein Vorschlag wäre, dass sich der Zentralrat der Juden zum Zentralrat der rassistischen Juden umbenennt.« (taz-Artikel hier) Bei facebook und twitter wurde das von Menschen geteilt die wohl ganz froh darüber waren, dass das endlich mal jemand sagt. Und es wurde von Menschen geteilt, die das nicht so gut fanden, dass da jemand mit einem schwerwiegenden Vorwurf hantiert. Problem: Derjenige, der das Zitat in die Blöcke der taz zitiert hat, studierte am Abraham Geiger Kolleg und wollte gerne Rabbiner werden. An einem Rabbinerseminar an dem auch der Zentralrat beteiligt ist und das Rabbiner für Gemeinden ausbildet, die in Zentralratsgemeinden amtieren sollen (aber nicht ausschließlich).

Sprung in den März 2016: Mittlerweile hat es wohl eine Entschuldigung bei Dr. Josef Schuster gegeben und es wurde wohl auch festgestellt, dass der Student Vereinbarungen mit dem Abraham Geiger Kolleg nicht eingehalten hat. In der Konsequenz entschied man sich, dass der Student zwar sein Studium fortsetzen dürfe, allerdings nur mit einem akademischen Abschluss und nicht mit einer Ordination zum Rabbiner. Manchmal erweisen sich Kandidaten einfach als ungeeignet und wie es vom Abraham Geiger Kolleg heißt, machen 30% der Kandidaten den Abschluss nicht. Damit hätte die Geschichte beendet sein können. Aber sie geht in eine weitere Runde. Die Geschichte taucht nämlich im SPIEGEL auf. Allerdings hat sich hier der Fokus der Geschichte verschoben. Nun heißt es plötzlich: Meinungsfreiheit. Der potentielle Rabbiner habe für seine Meinung das Kolleg verlassen müssen. Tatsächlich aber hat das Kolleg eine Vereinbarung mit seinen Studenten in der festgehalten ist, dass mediale Auftritte mit der Presseabteilung des Kollegs abzustimmen seien. Sie handeln nun nicht mehr als Privatpersonen, sondern als Repräsentanten des Judentums und des Kollegs. Laut Abraham Geiger Kolleg wurde der Student bereits im März 2015 darauf hingewiesen, dass auch er sich an diese Vereinbarung halten müsse. Pressekontakte sollten über die Presseabteilung des Kollegs erfolgen. Und was macht ein angehender Rabbiner, der später viel Verantwortung tragen will? Er äußert sich in der taz - ohne Rücksprache mit der Presseabteilung. Eben der Text mit den Vorwürfen gegen den Vorsitzenden des Zentralrats.

Die Verantwortlichen für die Rabbinerausbildung am Abraham Geiger Kolleg, das Board of Rabbis, entscheiden darauf hin, den Studenten von dieser Ausbildung auszuschließen. Verbunden mit der Möglichkeit, sich nach 12 Monaten erneut zu bewerben.

Ein anderer Student wies darauf hin, dass die ganze Angelegenheit mit den Studenten des Kollegs in einer Fragen an den Rektor-Sitzung besprochen wurde. Die Angelegenheit wurde also wohl nicht hinter verschlossenen Türen diskutiert. In der Berichterstattung sieht es aber nun so aus und das ist ebenfalls nicht ganz unproblematisch. Man könnte auch auf den Gedanken kommen, die Institutionen wollten keinen jüdisch-muslimischen Dialog. Was nicht der Fall ist.

Aber vielleicht muss man die Dialogbereitschaft anderen absprechen, wenn man selber ähnliches im Angebot hat? Es ist vielleicht ein gutes Alleinstellungsmerkmal? Nämlich dann, wenn man sich für eine besondere Form des Dialogs einsetzt, die bis zur totalen Ausblendung existierender Probleme (Antisemitimus unter Migranten und deren Nachkommen in zweiter und dritter Generation) und einer, sagen wir mal, komplexen Haltung zum Staat Israel geht (siehe hier diese Stellungnahme der Initiative für die sich der Student einsetzt). Nun scheint gerade eine Märtyrer-Geschichte zu entstehen. Aber darum geht es nicht. Hier geht es einzig und allein darum, das Prinzip »Leben und Tod sind in der Gewalt der Zunge« (Sprüche 18,21) verstanden zu haben.

Unverantwortlich, dies auf einer großen Bühne zu präsentieren.

Blogbeitrag zum November 2015, hier.