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Wenn es darum geht, gegen das beaufsichtigende Rabbinat zu gewinnen, dann vielleicht. Aber hier gibt es keine Gewinner. Verloren haben alle Seiten. Der Platz vor der Kotel ist eine große Synagoge geworden und viele Parteien wollen gerne kontrollieren, wer was wann und wie in dieser Synagoge macht. Es gibt verschiedene Minjanim, einen Bar-Mitzwah-Tourismus und eine Menge passiert drumherum. Stolze Jungs lesen Torah und von der anderen Seite der Mechitzah rufen die stolzeren Mütter, dass sie Fotos machen wollen.
Rabbiner Daniel Bouskila hat in einem Kommentar aus sefardischer Perspektive richtige Worte dazu gefunden:
The “landmark decision” should have been to restore the Kotel to what it once was: an open place for all Jews to come pray and meditate as individuals. Instead, with this decision, the Kotel will eternally represent the divisiveness and politics of Judaism’s modern-day denominations.
von hier
Keine Bar-Mitzwah-Location, kein Touristenmagnet, kein Anlaufpunkt für diverse Minjanim. Einfach ein Ort an dem der Einzelne kurz mal an die Überreste des Tempels herantreten kann.
Rabbi Dr. Nathan Lopes Cardozo kommentiert dies ebenfalls so: Besser einfach den ganzen Ort schließen und nicht weiter in kleinere Teile brechen (siehe hier).
Übrigens scheint mir gerade die »alte« Sicht auf die jüdischen Strömungen »aufzubrechen« und die Menschen sich über die Grenzen hinweg bewegen.
Aus dem Auge verloren hat man offenbar, dass es nicht darum geht und nicht darum gehen kann, Macht zu demonstrieren oder der eigenen Strömung einen Vorteil zu verschaffen. Das scheint dem Ort nicht angemessen zu sein. Synagogen gibt es mittlerweile rundherum. Die kann man nutzen. Direkt neben der Kotel gibt es den Wilson-Bogen, in dem heute eine richtige Synagoge untergebracht ist.
Vielleicht gelingt es ja, dass man sich an diesem wichtigen Ort zusammenrauft, den gegenwärtigen Status überdenkt und gemeinsam ändert.
kluger Kommentar. Danke!
Danke!
“Vielleicht gelingt es ja, dass man sich an diesem wichtigen Ort zusammenrauft, den gegenwärtigen Status überdenkt und gemeinsam ändert.”
Ja, das wäre insgesamt für uns alle nötig: sich zusammen zu raufen und Tachles zu reden, und FÜR die Menschen zum Guten zu entscheiden. Nicht nur auf dem eigenen Standpunkt als alleinig seligmachend zu beharren. So viele Juden sind abgeschreckt vom Judentum, aus ganz verschiedenen Gründen und es scheint mehr und mehr so als ob uns mehr trennt als verbindet.
Israel ist ein Spiegel davon und da wir da ALLE hinschauen, können wir eigentlich gut ablesen, was passieren wird – Trennung. Uns hält teils nur noch eine äussere Klammer. Was wäre, wenn eines Tages – hoffentlich bald!!! – die äusseren Konflikte vergehen und wir uns ganz selbst überlassen sind?
Ich habe auch eine Frage: gibt es eigentlich irgendwo ein innerjüdisches Forum?
Absolut! Ich sehe aber auch zugleich, dass sich (das nannte ich oben in einem Nebensatz) die »alten« Einteilungen in Strömungen nicht mehr absolut durchhalten lassen. Viele Menschen überschreiten die Grenzen mittlerweile doch relativ fließend. Das ist spannend zu beobachten.
Was meinst Du mit einem innerjüdischen Forum? Eine Online-Geschichte oder eine »Einrichtung« in .de wo man derartige Themen diskutieren könnte?
Eine Einrichtung, wo man “derartige” 😉 und andere innerjüdische Themen diskutieren könnte.
Ich glaube, so etwas gibt es in Deutschland gar nicht!
Meinst Du aber wirklich, dass sich die “alten” Strömungen nicht mehr absolut durchhalten lassen? Wo siehst Du denn da Toleranzen? Die Reformer sind natürlich immer tolerant, ich meine also eher das entgegengesetzte Spektrum (das es in D ja ohnehin kaum gibt). Meine Erfahrungen im Ausland sind eher gegenteilig – je weiter rechts im orthodoxen Bereich, desto weniger “offen”. Ausser natürlich im Kiruv-Business (aber die Offenheit, die dort suggeriert wird, ist nur vordergründig).
Vermutlich war Limmud als ein solches Forum gedacht?
Ich beobachte, dass auch Reformer (nicht unbedingt in Deutschland) immer ein wenig mehr in andere Strömungen hineindiffundieren. Aber Du hast Recht, die geschlossenen Gemeinschaften sind von dieser Entwicklung abgekoppelt. Obwohl: Wenn ich die Schul von Lipa Schmeltzer betrachte, dann gibt es offenbar doch eine Philosophie der offenen Tür und wo man die Leute hinein lässt, da gehen sie auch hin 😉
Haha, Lipa! Das ist ein guter Witz. Lipa ist einfach ein guter Businessmann.
Er ist auch ein Kiruvnik auf seine Art…
Ja, die Tür ist schon weit offen (aber das meinte ich nicht), die Frage ist nur, was sind die Konditionen, was muss aufgegeben werden, wenn ich da durchgehe (erhellend ist es da z.B. der Blog von Beyond BT durchlesen).
Die Reformer sind, glaube ich, eher harmlos, die wollen die Leute ja zu nichts bringen, die sind flexibel und können sich in alle Richtungen verändern.
Mit Forum dachte ich eher an so ein schriftliches Forum.
Gerade das bunte Miteinander der verschiedenen Strömungen an der Westmauer von ‘progressiv’ bis hin zu ‘ultra-orthodox’ ist doch das Megafaszinierende, oder etwa nicht?! Ich jedenfalls finde, das sollte unbedingt und kompromisslos so beibehalten werden! Persönlich finde ich es nämlich immer supercool, mir genau an diesem Ort Tefillin zu legen und dann in Designerklamotten direkt neben einem alten, graubärtigen Kaftanträger stehend, ein paar Gebete runterzunicken. Gewissermassen als mein persönliches “Begegnungsprogramm von Tradition und Moderne in Judentum!” 🙂
Shalom
Miles
Ich würde mal sagen: nicht »miteinander« – sondern »nebeneinander« und tendenziell auch »gegeneinander«.
Stimmt, Chajm, Du hast recht! Den alten Typen im schmuddeligen Kaftan mit dem verfilzten Bart und den fetttriefenden Pejes, der zudem noch unangenehm roch, als er damals neben mir stand, den konnte ich wirklich nicht sonderlich leiden! D.h. wir beiden grundverschiedenen Juden standen zwar räumlich “nebeneinander” aber emotional wohl eher antipathisch “gegeneinander” an der Westmauer! Ein attraktives jüdisches Mädchen wäre mir alten Macho da als Nachbarin echt lieber gewesen! 🙂
Shalom
Miles
@ Miles
“dann in Designerklamotten direkt neben einem alten, graubärtigen Kaftanträger stehend, ein paar Gebete runterzunicken. Gewissermassen als mein persönliches „Begegnungsprogramm von Tradition und Moderne in Judentum!”
Also ich verstehe nicht, warum jemand in Designerklamotten “modern” sein soll und einer im Kaftan zwangsläufig traditionell.
Du meinst also Tradition ist mit Moderne nicht vereinbar?
1) Also ich verstehe nicht, warum jemand in Designerklamotten „modern“ sein soll und einer im Kaftan zwangsläufig traditionell.
2) Du meinst also Tradition ist mit Moderne nicht vereinbar?
ad 1) Wohl lange nicht mehr in Israel gewesen, stimmts, Shani? 🙂
ad 2) Nee, in der Tat nicht!
Shalom
Miles
@Miles
Zu ad 1) Ziemlich kürzlich sogar. Ich kenne viele Leute im Designeranzug, die sehr traditionell sind, traditioneller als mir persönlich lieb ist.
Zu ad 2) Da kann man dann nichts machen, wenn so wenig Bildung vorhanden ist ;).
@Shani:
zu ad 1) Wirklich höchst interessant! Natürlich glaube ich Dir, was Du da schreibst, gleichwohl quält mich – schon aus ureigener Sozialisierungserfahrung heraus – die Frage, wie um alles in der Welt ‘das’ denn eigentlich funktionieren soll oder kann?
zu ad 2) Weil ich selbst tatsächlich bloss ein ziemlich ungebildeter Jid bin, werde ich exakt zu diesem Thema demnächst meinen Rabbi löchern! Vielleicht kann der mich ja ein klein wenig erleuchten? Mal sehen! 🙂
Shalom
Miles
Einfach nur noch ein verspätetes Danke von mir. Genau aus den von Dir angesprochenen Punkten mag ich es nicht an der Kotel. Es ist ein Marktplatz geworden für allerlei Eitelkeiten und damit meine ich diese Machtkämpfe um ein Vorrecht dort. Als Frau – und das muss ich hier leider auch sagen – fühlte ich mich durch die Trennung abgestoßen. Neulich sah ich irgendwo einen alten Film, Frauen und Männer gemischt an der Kotel…es rührte mich mehr als ich vermutete und ich wusste, was ich heute dort nicht mag: das es so ist, wie es ist.