Im Rahmen der Klezmerwelten standen am Donnerstag Polina und Merlin Shepherd auf dem Programm – in einem Doppelkonzert mit Dozenten eines Klezmerworkshops (Rückschau auf den letzten hier) der in den Räumen der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen stattfindet. Die meisten Teilnehmer des Workshops, also Jugendliche (in diesem Jahr auch ein paar Erwachsene), saßen im hinteren Bereich des Saals auf Schränken, feierten ihre Dozenten und senkten der Altersdurchschnitt des Publikums.

Das Ehepaar Shepherd (er aus Wales, sie aus Sibirien) kam direkt zur Sache: Ohne große Einführung setzte sich Polina Shepherd an den Flügel und Merlin Shepherd schnappte sich die Klarinette. Dann spielten sie etwa 45 Minuten nahtlos und ohne jede Unterbrechung eine interessante Bandbreite an Stücken. Bekannte Klezmertöne waren zu hören, ein russisches Lied a capella, man meinte Edvard Grieg durchzuhören, dann wurde es ein wenig jazzig, dann wiederum wurde jiddisch gesungen, im nächsten Augenblick spielte Merlin Shepherd nahezu meditativ vor dem geöffneten Deckel des Flügels. Es war schnell, langsam, still und laut. Wann immer Fahrt aufgenommen wurde, klatschten und sangen die Teilnehmer des Workshops mit. Es entstand eine interessante Dynamik zwischen den beiden Polen des Saals.

Die Shepherds zwischen den Workshop-Teilnehmern. Die Shepherds zwischen den Workshop-Teilnehmern.

Wenn man Merlin Shepherd für diejenigen beschreiben müsste, die ihn (noch) nicht live gesehen haben, könnte man vielleicht sagen, Merlin Shepherd sei der Tim Mälzer des Klezmer. Manchmal wirkt er ein wenig rotzig (in einem positiven Sinn), scherzt mit dem Publikum und nimmt sich selbst nicht so ernst – zur gleichen Zeit aber arbeitet er hochkonzentriert und meisterhaft – um das Ganze dann wieder mit einer selbstironischen Geste zu brechen. Um sich das leisten zu können, muss man natürlich sein Handwerk beherrschen. Nicht zufällig war er musikalischer Leiter Royal National Theatre in London.

Die Dozenten des Workshops gemeinsam auf der Bühne Die Dozenten des Workshops gemeinsam auf der Bühne

Benjy Fox-Rosen (überraschte mit selbstkomponierten jiddischen Stücken), Ilya Shneyveys, Alan Bern und später auch Andreas Schmitges wechselten einander ab, präsentierten sehr unterschiedliche Stücke und verschmolzen am Ende zu einer Gruppe, die tanzbares spielte. Auch hier waren die Teilnehmer des Workshops diejenigen, die Initiative zeigten und den wenigen Platz nutzten. Andreas Schmitges und Alan Bern moderierten ein wenig. Alan Bern merkt man dabei an, dass er das deutschsprachige Publikum schon sehr gut kennt. Und an dieser Stelle, traditionell, ein Blick auf das Publikum. Vielleicht mit meinem Lieblingszitat des Abends (eines Zuhörers): »Ich verstehe nicht, dass die Jugendlichen hier so herumspaßen. Das ist hier eine ernsthafte Sache. Klezmermusik ist eine ernste Angelegenheit.« Tatsächlich aber: Die Jugendlichen haben wirklich Spaß an der Musik und daran, wie sie von den Dozenten vermittelt wird. Sie verbrachten im Workshop Stunden mit Niggunim und sehen das alles als organische Angelegenheit, die auch im Fluss ist und mitgestaltet werden kann. Dieser progressive Ansatz zerschellt natürlich an den Erwartungen eines konservativeren Publikums – welches hier aber in der Unterzahl gewesen sein dürfte und von den verschiedenen Veranstaltungen derzeit ein wenig mit_erzogen_ wird.