Klezmerwelten Gelsenkirchen – KlezTalk

KlezTalk in der Gelsenkirchener Flora
KlezTalk in der Gelsenkirchener Flora, Merlin Shepherd am Mikrofon

An der Misere, dass die meisten Leser unter 65 bei dem Stichwort »Klezmer« mit den Augen rollen und weiterklicken, haben viele Akteure mitgearbeitet. Unter anderem die vielen evangelischen Oberstudienräte, die ihre Musik in Pseudo-Jiddisch ansagen und schwarze Hüte dabei tragen (ich habe nichts gegen Oberstudienräte im Allgemeinen). Andere Faktoren mögen auch eine Rolle dabei gespielt haben, warum diese Art der Musik für viele Leute meiner Generation (und auch für die nachfolgende) die Popularität einer Wurzelbehandlung hat und eigentlich als ein »Ding für Nichtjuden« betrachtet wurde und wird.

Dass dies (teilweise jedenfalls) zu Unrecht so ist, versuchte in den vergangenen Jahren das Festival Klezmerwelten zu beweisen. Unter anderem mit einem Workshop für Kinder und Jugendliche (der auch in dieser Woche wieder begonnen hat), aber auch mit Musikern, die immer wieder Konventionen gebrochen haben und gezeigt haben, dass Klezmer mehr ist, als der traurige Jiddel mit Fiddel.

Den Auftakt machte das London Klezmer Quartett und am Sonntag-Abend folgte ein KlezTalk, bei dem fünf Musiker von ihrem Weg zur Klezmermusik erzählten. Zwei Musiker mit sowjetischer Vergangenheit (Polina Shepherd und Ilya Shneyveys) hatten einen anderen Zugang, als etwa die zwei Amerikaner Alan Bern und Benjy Fox-Rosen, oder der Waliser Merlin Shepherd. Unter den Musikern dürfte Alan Bern derjenige sein, der in Deutschland am bekanntesten ist – jedenfalls unter denen, die sich für Klezmer-Musik interessieren. Er hat jedenfalls keinen geringen Anteil daran, dass es auch eine Klezmer-Szene neben den Feidman-Verehrern gibt.
Es war interessant zu hören, dass einige der Akteure Klezmer nach ihren ersten Begegnungen überhaupt nicht mochten und erst im Laufe der Zeit Begeisterung für die Musik entwickelten.

Der Moderator Andreas Schmitges öffnete die Runde schnell für die Fragen des Publikums und eine der ersten Fragen offenbarte, dass es noch Nachholbedarf bei der Definition des Begriffs »Klezmer« gibt (der auch relativ jung ist) und dies nicht eine spezielle Musik aus einer speziellen Quelle meint, sondern viele verschiedene Quellen hat und viele Einflüsse vereint: Es wurde nach authentischer Musik gefragt. Alan Bern merkte an, dass er heute lieber von »new jewish music« sprechen würde.
Irgendwann folgte die Frage, ob nur Juden Klezmermusik spielen können. Merlin Shepherd entgegnete rasch, dass er schon diese Separierung in jüdische und nichtjüdische Musiker überhaupt nicht mag. Alan Bern merkte dazu an, dass man die Musik natürlich spielen kann, aber es natürlich nur dann gute Klezmermusik ist, wenn man sich mit der Geschichte und dem Kontext der Musik beschäftigt hat. Zuvor wies einer der Musiker darauf hin, dass man natürlich die Musik vom Notenblatt spielen könnte, aber es natürlich mehr brächte, wenn man gelernt hat, sie zu interpretieren.
Und endlich sagte jemand von den Musikern in einem Nebensatz auch mal, dass Klezmer, nicht DIE jüdische Musik ist, sondern eine.
Dass dies noch nicht zu allen durchgedrungen ist, offenbarte sich 2012 bei einem Konzert von Yiddish Princess, dass ein paar ältere (nichtjüdische) Zuschauer verließen und anmerkten, dass das überhaupt keine Klezmer-Musik sei.

Ein interessanter Abend, der aber eine Frage nicht beantwortete:
Warum ist Klezmermusik (jetzt mal als Sammelbegriff verwendet) ausgerechnet in Deutschland so sehr populär? Die Frage hätte natürlich ich stellen können, aber ich will das mal als Hintergrundmotiv mitlaufen lassen.

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

6 Kommentare

  1. Klesmer (כליזמר), mit stimmhaftem “s”, nicht “Kletzmer”, wie viele Ignoranten, inkl. der “Oberstudienräte” es aussprechen, weil sie nicht begreifen, dass das “z” der angelsächsischen YIVO Transkription geschuldet ist.

    Wikipedia: “Das Repertoire besteht vor allem aus Musik zur Begleitung von Hochzeiten und anderen Festen.”
    Da liegt meines Erachtens der Hase im Pfeffer. Ich bin regelmässig Gast bei jüdischen “Hochzeiten und anderen Festen”, insbesondere solchen, die den Namen auch verdienen, da dort erkennbar ein בית נאמן בישראל gebaut wird. So auch sGw heute abend.
    Bei derartigen Hochzeiten wird heutzutage eher “chassidic pop” gespielt.
    Ich vermute, die jüdische Jugend hat im Durchschnitt ein ähnliches Verhältnis zu Klesmer wie die deutsche zum Musikantenstadel.

    1. Tatsächlich war dieser Themenbereich kurz im Fokus des Gesprächs. Wenn nicht »Klezmer« gesagt wird, sondern »new jewish music«, dann ist dieser Themenbereich plötzlich ganz anders gelagert.
      Fox-Rosen berichtete ebenfalls von charedischen Hochzeiten, auf denen etwa die Melodie von Ralph Siegels Dschinghis Khan mit einem (neuen) jiddischen Text gesungen wird. Vielleicht meint er den Song »Yidden« von Mordechai Ben David. Aber selbst die Ralph Siegel ist ja zilliarden Lichtjahre von dem entfernt, was man im Allgemeinen so hört.

      Aber: Das ist nicht die Musik, die sich die »Kletzmer«-Sager so im Allgemeinen wünschen und deshalb finden neue Zugangsformen so wenig kommerzielle Beachtung.
      Es wird auch nicht verstanden, wie das alles zusammenhängt. Die haben ihre eigene Definition davon, was Klezmer ist, als andere. Man könnte auch rumänische Volkslieder spielen und die als Klezmer-Stücke anbieten. Das wäre für Experten vielleicht zu unterscheiden – für die genannte Zielgruppe nicht. Da reicht schon der Ton einer Klarinette, um auf »jüdisches« zu verweisen. Sie wird als »DAS« jüdische Instrument betrachtet. Wie lange gibt es Klarinetten? Spätes 18. Jahrhundert? Wann haben sie sich durchgesetzt? Vermutlich erst später.
      Auf WDR 5 wird die Sendung »Schabbat Schalom« durch ein paar Noten auf der Klarinette eingeleitet… vielleicht wäre ein Schofar authentischer? 🙂

  2. Wenn ich mich an meine Zeit im Jüdischen Kindergarten recht entsinne, dann ist כליזמר doch wohl allein das spirituell angehauchte Gedudel armer Wanderjuden, oder? Naftule Brandwein und Max Epstein gelten da meines Wissens als Protagonisten und beide Musiker dürften sich jetzt im Grab rumdrehen, wenn sie hören müssten, was heutzutage alles unter diesem K-Namen firmiert.

    Ich selbst finde die Musik der ‘Klezmatics’ oder der ‘Amsterdam Klezmer Band’ übrigens gar nicht mal schlecht, nur, mit dem, was uns in der Kindheit als כליזמר vorgefidelt und ‘verkauft’ wurde, hat das wirklich wenig zu tun.

    Shalom

    Miles

  3. Sollte die Popularität eine versuchte Kompensation für den Verlust des Judentums im Deutschland der Vorkriegszeit sein? Ihr wisst schon, schlechtes Gewissen und so.
    Liebe Oberstudienräte, nur so zur Info: ich bezweifele, dass Jekkes was mit Klesmer am Hut hatten…

    1. Es gab schon Stolpersteinverlegungen (im entsprechenden Blogbeitrag thematisierte ich das) bei denen man »Klezmer« (traurig natürlich) gespielt hat. Wenn man das für Jekkes macht, ist das schon sehr schief. Aber wenn man Klezmer als »DIE« jüdische Musik betrachtet, kommt das dabei heraus.
      Und zu unseren fiktiven Oberstudienräten und der Kompensation: Da ist die geographische Verortung schon nicht so falsch. Viel »Personal« war ja gerade im Osten Europas damit befasst, das Judentum auszulöschen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert