Die Freundinnen blättern am Strand in Magazinen – sie selber liest ein Buch über Hitler. Die erste sexuelle Erfahrung ist ebenfalls mit dieser »Person« verbunden und deshalb die Erinnerung nicht nur super. Immerhin war es an Hitlers Geburtstag.
Das sind die Erfahrungen einer jungen Frau deren Großeltern Überlebende der Schoah sind.
Ich bin mir sicher, dass wir von diesen Erfahrungen auch in Deutschland hören werden: »De derde generatie – Kleinkinderen van de Holocaust« auf Deutsch etwa »Die dritte Generation – Enkel des Holocaust« ist ein Buch Natascha van Weezel (geboren 1986), welches kürzlich in den Niederlanden erschien.
Natascha van Weezel sucht darin nach der Antwort auf die Frage, ob es die dritte Generation überhaupt als einheitliche Gruppe gibt und ob alle Mitglieder dieser Gruppe die gleichen (oder ähnliche) Erfahrungen gemacht haben. Dazu hat sie gleichaltrige Juden in den USA besucht und stieß dort auch auf eine Studie zu dieser Generation.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Schoah tatsächlich bis in die jüngste Generation nachwirkt.
Nein, die Generation 3 geht nicht häufiger zum Therapeuten als andere Juden, aber im Durchschnitt bleibt sie länger in Behandlung. Es sei auch wahrscheinlicher, an einer Essstörung zu leiden. Einige andere gemeinsame Merkmale folgen.
Das Buch ist aber nicht nur eine Zusammenstellung dieser Fakten, sondern auch die Geschichte der Suche danach. In der Beschreibung dieser Suche liegt die Stärke des Buchs. Denn diese Geschichte ist sehr privat und unmittelbar. Über eine Essstörung etwa weiß Natascha van Weezel aus erster Hand zu berichten. Über ihre eigene hat sie bereits in einem anderen Buch berichtet. Sie beschreibt lebendig ihre Familie. Warm und herzlich aber zugleich auch, wie schonungslos sie teilweise mit der Schoah konfrontiert wurde. Sie beschreibt ihre Suche nach der eigenen Identität und die fortdauernde Auseinandersetzung mit der Geschichte ihrer Großeltern. Die persönliche Perspektive verschmilzt mit dem, was sie über andere Kinder der dritten Generation gelernt hat.
Das Buch erzeugt mehr Nähe als ein Roman über das Thema und vermittelt zugleich das, was wir heute über die dritte Generation wissen können.
In den Niederlanden hat das Buch reichlich Aufmerksamkeit erhalten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es auch den Sprung nach Deutschland schaffen wird.
ISBN: 9789460037467
240 Seiten
Verlag: Balans
Das Buch gibt es als Paperback und als e-book.
Da können wir ganz beruhigt sein, jedes Holocaust-Buch schafft es nach Deutschland.
… die Schoah tatsächlich bis in die jüngste Generation nachwirkt …
Na ja, wenn “Nachwirkung” im Sinne von “Erinnerung” zu verstehen ist, dann ist dagegen sicherlich nichts einzuwenden! Hoffentlich aber definieren sich junge Juden – in welchem Land auch immer – selber nicht in erster Linie über die Shoa. Wenn doch, dann stünde es wahrlich schlecht um das Judentum, wie ich finde!
Shalom
Miles
Erinnerung? Nein, nicht nur.
Es gibt konkrete »Folgen« und psychische Belastungen. Das ist der Knackpunkt und das Thema des Buches.
Das hat auch wenig mit einer ausschließlichen Identifikation zu tun. Das wäre ja so kurz gegriffen, wie Judentum nur über das Verhältnis zum Staat Israel zu definieren.