Die geschenkten Juden

Geschenk Schmulik meinte, es sei grundsätzlich ein Fehler, irgendeinen Artikel zu irgendeinem jüdischen Thema in einer deutschen Zeitung zu lesen. Das sei schlecht für den Gemütszustand. Aber manchmal locken ihn die Redaktionen mit Schlüsselwörtern wie »Geschenk«. Also musste er den Artikel lesen: »Jüdisches Leben ist ein Geschenk« stand über dem Artikel. Schmulik wollte natürlich wissen, wer das als Geschenk empfand.
Er lernte, dass der Sprecher der Bundesregierung gesagt hatte, dass die Tatsache, dass Juden in Deutschland lebten, »ein Geschenk« seien.
Ein Geschenk? Naja, passt irgendwie, dachte Schmulik. Und das, obwohl Geschenke und Überraschungen nicht so sehr sein Fall waren. Letzte Woche erst hatte Anastasia ihn angerufen, als er gerade die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte. Anastasia betont man übrigens auf der letzten Silbe, nicht auf der ersten. Jedenfalls hatte sie zu Schmulik gesagt »Wenn ich gleich zu dir komme, dann habe ich ein ganz besonderes Geschenk für dich«.
Was das bedeuten solte, war ihm klar, also duschte er sich schnell und warf nur einen Bademantel über.
Ganz ohne Bademantel auf Anastasia zu warten, war ihm irgendwie zu plump. Aber er konnte die Zeit überbrücken und schon einmal eine Flasche Sekt aufmachen. Den Champagner wollte er sich für eine wirklich tolle Gelegenheit aufsparen. Das, was Schmulik jetzt jeden Moment erwartete, stufte er eher als »mitteltoll« ein. Aber wie auch immer. Das Geschenk stöckelte schon den Gang hinunter. Gleich würde es klingeln. Schmulik öffnete. Anastasia sah fröhlich aus und hielt ihm lächelnd ein rotes Geschenkpaket unter die Nase. Mit Schleifchen drum herum. Sie konnte Schmuliks Enttäuschung in seinem Gesicht ablesen: Es war ein richtiges Geschenk! Eines, bei dem man das Papier abmachen musste. Eine Art Überraschung. Wenn bisher eine Frau anrief und sagte, sie würde vorbeischauen und hätte ein »besonderes Geschenk« dabei, dann hatte Schmulik jedenfalls nach Ankunft der Dame keinen Karton in der Hand. Statt dessen beförderte Schmulik einen Klezmer-Musiker aus Porzellan aus dem Geschenk. Der schwarzhütige Mann hielt eine Geige in der Hand uns sah natürlich traurig aus. Schmulik wusste, solange das noch mit Anastasia dauern würde, müsste er den Klezmerkasper irgendwo in der Wohnung an einem »besonderen Platz« abstellen. Oder er konnte ihn weiterverschenken. Anastasia fand ihn gut – oder das war ein Partnertest: »Sagt ihnen ihr Partner die Wahrheit?« An solchen Tests war Schmulik nicht sonderlich interessiert. Die Beziehungen hielten ohnehin nie besonders lange.

Jedenfalls musste Schmulik wieder an den traurigen Klezmerkitsch denken, als er die Floskel des Regierungsprechers in der Zeitung las. Ein Geschenk ist etwas, für das man nichts kann. Man hat es sich nicht erarbeitet, man hat es nicht einmal verlangt, meistens nicht. Es wird überreicht. Der Schenker hat sich entweder sehr viele Gedanken gemacht, oder gar keine. Oder auch die falschen. Wenn der Geigenmann beim Putzen herunterfällt, ist er kaputt. Egal, es war ein Geschenk. Wäre die Kopie des UEFA-Cups heruntergefallen, wäre das weitaus schlimmer gewesen. Immerhin hatte Schmulik die von seinem ersten, sauer verdienten, Geld gekauft. So war es wohl auch mit dem, was die Regierung meinte, wenn sie von einem Geschenk sprach. Oder nicht?

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

8 Kommentare

  1. Aber nehmen wir an, es gäbe einigermaßen Gerechte unter den Deutschen, die wie hiob, der auch kein Mitglied des dritten Bundes war, G’tt und sein Volk aufrichtig liebten, also Philojudaisten wären – wie können sie sich äußern, ohne in diese Fettnäpfchen zu treten. Sollen sie einfach schweigen?

  2. Also, ich sehe das mit dem Geschenk als eine Metapher an, die etwas Gutes bedeuten soll.
    Da fällt mir ein anderes Bild ein:
    Meine Frau und ich haben unsere Kinder immer als ein Geschenk (des Himmels) angesehen. Kann man das nicht auch so positiv sehen? Ohne gleich wieder auf das Negative zu erwähnen? Ein Geschenk, dass ich erhalte, wird auch mein Eigentum. Man kann alles überinterpretieren und auch negativ.

    Sage Schmulik bitte, dass diese Bezeichnung “jüdisches Leben als Geschenk” (für Deutschland), in diesem Sinne verstanden werden sollte: Ohne dieses jüdische Leben wäre Deutschland ärmer. Das stimmt. Ohne die deutschen Juden wäre Deutschland wissenschaftlich und kulturell ärmer. Und zwar bedeutend!
    Und Nein, nicht die Juden sollen sich darüber freuen, sondern die Deutschen.

    Ich bin ein Deutscher und freue mich über die Juden in Deutschland und wäre nicht nur betroffen, sondern auch traurig, wenn es sie nicht mehr in Deutschland gäbe.

    So, jetzt muss ich für Israel beten.

    Herzlich, Paul

  3. “Er lernte, dass der Sprecher der Bundesregierung gesagt hatte, dass die Tatsache, dass Juden in Deutschland lebten, »ein Geschenk« seien.”

    Genaugenommen hat das nicht (nur) ein “Sprecher” gesagt, sondern Bundeskanzlerin Merkel höchstpersönlich:
    “dass heute wieder weit mehr als 100.000 Juden in Deutschland leben, grenzt an ein Wunder. Das ist ein Geschenk. Das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit.”

    Ich weiss nicht, ob das für oder gegen die Geschenk-Formulierung spricht, aber wenn man die Entscheidung der Regierung, die zigtausenden von jüdischen “Kontingentflüchtlingen” aus der ehemaligen Sowiet-Union gemäß dem üblichen Verteilungsschlüssel in Gegenden zu platzieren, wo seit Jahrzehnten keine nennenswerte jüdische Infrastruktur besteht, und auf diese Weise das mittelfristige Verschwinden des “Geschenks” auf dem Wege der Assimilation zumindest erheblich begünstigt, dann gibt das jedenfalls zu Zweifeln über die Wertschätzung Anlass.

    1. Ich glaube, das ist den meisten Politikern doch gar nicht bewußt. Da wird doch Judentum nicht wirklich mit religiösem Judentum in Verbindung gebracht. Das war doch auch Jahrzehntelang in Deutschland gar nicht vorhanden. Und auch die meisten Juden aus der GUS kamen nicht als religiöse, sondern als säkulare Juden. D.h. das Judentum wurde als etwas kulturelles und herkunftsmässiges angesehen, sowohl von “innerhalb” als auch von “ausserhalb”. Etwas, das sich auf die eine (so leben wie der säkularisierte christliche Nachbar) oder die andere (Kulturvereine, Klezmerabende und russische Landsmannschaften) Weise auslebte. Nachdenken über Fortbestand, noch dazu mit der Unbekannten “Religion”? Wozu? Über den Fortbestand des religiösen Christentums denkt die Bundesregierung doch auch nicht nach.

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