Wenn gute Ideen von Menschen kommen, die bisher eher durch Polemik aufgefallen sind, dann kann man die Idee feiern und eine Hinwendung zum Guten attestieren, oder man schaut mehrfach hin und entdeckt interessante Gedanken, die man vielleicht so nicht teilt. Henryk Broder hat einen Text über die Lösung des Israel-Palästina Konflikts geschrieben. Dieser wird derzeit von allen möglichen Menschen gemocht und weitergereicht, die bei Broder sonst direkt abwinken, die Idee eines jüdischen Staates nicht besonders attraktiv finden, oder sich besonders mit Palästina solidarisieren.

In der Welt erschien Broders Text »Wollen wir mit dem Quatsch nicht endlich aufhören?«. In diesem fordert er, dass Israel den Palästinensern zu einem eigenen Staat verhelfen solle. Nicht ganz uneigennützig, sondern damit es selbst Ruhe hat. Juden in aller Welt sollten Projekte in Gaza fördern. Der Hintergrund sei, dass die Juden Europas keinerlei positive Perspektive hätten. Selbsterhaltung durch Auswanderung also. Zunächst beginnt er launig mit einem Rabbiner aus der Siedlung Tekoa:

Einer der skurrilsten Vorschläge kam ausgerechnet von einem orthodoxen Rabbiner aus der Siedlung Tekoa in der Westbank, die horizontale Lösung. von hier

Die Rede ist hier von Rabbiner Menachem Froman, einem nationalreligiösen Rabbiner, der die Errichtung von Wohnsiedlungen in der Westbank unterstützte, aber zugleich für einen interkonfessionellen Dialog eintrat. Er war überzeugt davon, auch in Tekoa leben zu können, wenn die Stadt sich in einem Staat Palästina befände. Rabbiner Froman hatte keinerlei Berührungsängste und verhandelte auch mit der Hamas, zu der er nicht die schlechtesten Beziehungen hatte. Er war also eine Figur mit vielen Facetten die sich für eine jüdische Präsenz auf dem Gebiet Israels im halachischen Sinne aussprach, aber nicht unbedingt immer im staatlichen Sinne. Das sind natürlich interessante Ideen.

Dann zählt Broder auf, welche Trittbrettfahrer der Konflikt aktiviert hätte und dabei hat er Recht. Aber bei der weitergehenden Befundaufnahme wird der Text schwierig, obwohl es demographisch zunächst plausibel erscheint:

Es gibt für Juden keine Zukunft in Europa. In 20, 30 Jahren wird es noch den Zentralrat der Juden in Deutschland und in Frankreich den CRIF (Conseil Représentatif des Institutions Juives de France) geben, also intakte Funktionärsstrukturen, aber keine Juden mehr. von hier

Das ist nahezu richtig: In beiden Ländern geht die Anzahl der Juden zurück und das durchaus rasant. Es werden dann vermutlich nur Kerngemeinden in größeren Städten übrig bleiben. Das ist in Frankreich auch eine Folge des grassierenden Antisemitismus und in Deutschland eine Folge der Altersstruktur der Gemeinden. Bei Broder könnte man jedoch herauslesen, dass der Vormarsch des Islam (mit dem er sich ja viel beschäftigt hat) die Ursache dafür sein könnte: »Sie werden nicht nur Deutschland, sie werden ganz Europa verlassen, München, Zürich, Paris, Brüssel, London, Wien und sogar so idyllische Orte wie Malmö, wo eine winzige jüdische Gemeinde von einer aggressiven muslimischen Community gemobbt wird. […] von hier« und

»Die Älteren werden sich mit einem Restleben als “Schutzjuden” vermutlich abfinden.«von hier

Womit wir bei Broders Thema wären: Dem Islam. Darum geht es in dem Text, nicht um eine nachhaltige Lösung des Konflikts. Das wird natürlich Beifall bei denen erheischen, die den Islam in Europa nicht besonders mögen. Wenn es darum ginge, eine Lösung zu entwickeln, würde er nicht ein Schutzjudentum, in Europa, gegen ein anderes, in Israel-Palästina, eintauschen wollen.

Der Text ist also sehr geschickt konstruiert. Er bietet vorgeblich eine bahnbrechende Lösung an, handelt tatsächlich aber von etwas vollkommen anderem. Er kommt als Bonbon daher, ist aber vielleicht auch sehr bittere Medizin oder vielleicht sogar ein wenig Gift.

Zu so viel Können muss man natürlich gratulieren. Aber, hat es uns weitergebracht? Vielleicht fruchtet die Beschäftigung mit dem Leben Rabbiner Froman etwas mehr…