Edathy: Dazu wurde schon viel gesagt.
Unangenehm ist die Berichterstattung darüber, weil die Kollateralschäden irreparabel sind. Seitdem der ehemalige Innenminister Friedrich von seinem aktuellen Ministerposten zurücktreten musste, wurde darüber diskutiert, ob auch die SPD ein Opfer bringen sollte. Die CSU habe einen Mann verloren, also solle auch die SPD einen gehen lassen. Ob das politisch sinnhaft ist, soll hier gar nicht hinterfragt werden, vielmehr die Reaktion darauf, die antijüdische Polemik verwendet, um ihre Leser zu informieren. Das »Auge um Auge« Motiv:
Berliner Morgenpost – »Auge um Auge, Zahn um Zahn«
Cicero – Der maximale Schaden ist schon da
n-tv Auge um Auge, Rücktritt um Rücktritt?
Rp-Online – Auch Angela Merkel gerät in die Kritik
Thomas Maron von der Stuttgarter Zeitung sieht gar alttestamentarische Härte am Werk.
Frankfurter Neue Presse: »Auge um Auge, Zahn um Zahn – so sind die Rituale in der Politik und offenbar auch in der großen Koalition.«
Die Welt: Auge um Auge, Zahn um Zahn?
General Anzeiger, Bonn Hier ist direkt das Wort Rache mit eingestreut. Der Fall Edathy und die Folgen – Merkel-Dämmerung: »[…] jetzt ist Rache angesagt. Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
Ein Blogger, stellvertretend für viele: etwa hier.
Das sind stellvertretende Beispiele. Viele aus dem Radion und dem TV könnten hinzukommen. Eine wahre Inflation dieser antijüdischen Redewendung.
Politiker stehen da nicht hinten an: SPD-Mann Thorsten Schäfer-Gümbel wird mit dem Satz zitiert und von der CSU heißt es:
Rücktrittsforderungen, wie sie aus den Reihen der CSU-Landesgruppe erhoben worden waren, übernahmen Hasselfeldt und Grosse-Brömer nicht. „Unsere Linie ist nicht: Auge um Auge, Zahn um Zahn“, sagte Hasselfeldt.
faz.net
Zur Erinnerung: All diese Publikationen und diejenigen, die den Satz verwenden, sagen damit aus
Im Judentum geht um Vergeltung oder das Recht des Stärkeren. Das ist archaisch, so wie das Judentum. Wir sind heute weiter.
Das hat auch jemand erkannt, der 1939 eine Rede hielt und die Phrase ins kollektive Gedächtnis schrieb.
Der Schaden, der durch diese unverantwortliche Verwendung der antijüdischen Phrase entsteht, ist nicht reparabel. Wer heute noch von »alttestamentarischen« Verhaltensweisen schreibt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er setze ein Vorurteil mit Absicht ein. 2014 sollten die meisten Menschen, die für und in der Öffentlichkeit sprechen, grundsätzlich über ein Mindestmaß politischer Bildung verfügen.
Aber ist damit wirklich immer explizit das Judentum gemeint ? Das “Alte Testament” gehört ja nun auch zum kulturellen Erbe dieses Kontinents. Zählte nur das Evangelium, müsste man eine Menge Gemälde, Skulpturen und Opernstücke ignorieren. Verwirft hier also jemand das Talionsprinzip (nichts anderes ist “Aug´um Aug´”), tut er das auch mit Blick auf die eigenen kulturellen Wurzeln.
Die Vergeltung ist ja ohnehin nicht genuin jüdisch, sondern war, bzw. ist in allen Stammes- und Clangesellschaften, im Orient wie im Okzident, eine Norm. Das ist vorstaatliche Jurisprudenz.
Im mittelalterlichen Abendland wurde das noch lange geltende Recht der Fehde, auch das klingt erstmal kurios, von der Inquisition (“Amtsermittlungsgrundsatz”) abgelöst.
Ganz knapp gesagt: Ja. Damit ist immer das Judentum gemeint.
Wenn man sich die Geschichte des Satzes anschaut, dann ist klar, welche Intention er hat. Silke hat das gut dargelegt.
Dieses Stereotyp ist scheinbar unausrottbar.
So wie es verwendet wird, ist es in der Tat eine anti-jüdische Redewendung. Es geht dabei, im allgemeinen Sprachgebrauch, darum ‘alttestamentarische Rache’ oder ‘Vergeltung’ herbeizuassoziieren (also das erwähnte Talionsprinzip).
Chazal lehrt hingegen, das es bei “Aug um Aug…” eben nicht um eine ius talionis sondern um Verhältnismässigkeit oder eine Art Übermaßverbot, geht. Also eigentlich etwas ganz anderes, als im allgemeinen Sprachgebrauch (der wahrscheinlich mehr mit der christlichen Interpretation von Mt 5,38/39 zu tun hat als mit Shemot 21: 24)
Bezüglich des Satzes „Auge um Auge, Zahn um Zahn,“ steht in der Wikipedia auch passend:
„Entgegen seiner ursprünglichen Absicht, Rache abzuwehren und Gewalt zu begrenzen, wird das Bibelzitat in der Umgangssprache oft unreflektiert als Ausdruck für gnadenlose Vergeltung verwendet. In dieser Bedeutung erscheint es heute etwa in Medienberichten über Kriegsaktionen, als Roman- oder Filmtitel.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Auge_f%C3%BCr_Auge#Umgangssprache_und_Klischee)
@Isaak (offtopic) Hättest Du nicht Interesse, Dein ambitioniertes Webprojekt hier im Blog vorzustellen? Gerne kannst Du mir eine Nachricht über die Kontaktseite schicken.
@Chajm Danke für das Angebot. Sobald ich im oben genannten Webprojekt ein paar weitere Texte über den Minhag Aschkenas, an denen ich zur Zeit noch schreibe, veröffentlicht habe, werde ich gerne darauf zurückkommen.
… und bei Schwarzers Steuersache ist es der “Pharisäer”, was genau so ärgerlich ist.
Aber da muss ich nochmal nachhaken. Redewendungen sind langlebiger als das Klischee, aus dem sie entstanden sind und lösen sich von ihrem ursprünglichen Hintergrund ab:
“Ich bin erschossen wie Robert Blum” = “Ich bin sehr müde”. Viele die das sagen, wissen gar nicht, wer Robert Blum war. Kennen aber die Bedeutung der Redewendung. Mit den Augen und Pharisäern dürfte es ähnlich liegen. Letzteres ist für die meisten wohl ein Kaffee mit Schuss. M.E. kein übermäßiger Grund zum Beleidigtsein. Mag jeder anders sehen.