Simkhat hanefesh in Gelsenkirchen Simkhat hanefesh in Gelsenkirchen

In Gelsenkirchen haben die »Klezmerwelten« begonnen. Man nahm den Faden vom vergangenen Jahr wieder auf und lieferte keine Klezmerbeköstigung aus der Retorte, sondern stieg in diesem Jahr mit der Geschichte jüdischer Musik und Europa ein. Das Ensemble »Simkhat hanefesh« präsentierte jiddische Lieder aus Renaissance und Barock. Mit der Bezeichnung des Ensembles verweist es bereits auf das Programm: Die Musik aus früheren Epochen wieder zu Gehör zu bringen. »Simchat haNefesch« ist die Bezeichnung eines Werks von Elchanan Henle Kirchhain (etwa 1666-1757) welches 1727 erschien und 13 jiddisch-deutsche Texte mit Noten wiedergab (nicht nur, es ist eigentlich ein Buch zur moralischen Erbauung). Es war übrigens auch eines der ersten Werke, in denen jüdische Musiker als Klezmorim bezeichnet wurden.

Die Klezmorim des Abends jedenfalls, nämlich James Hewitt (Barockvioline), Diana Matut (Gesang, Flöten), Nora Thiele (Percussion, Glocken), Erik Warkenthin (Laute, Theorbe, Barockgitarre) und Dietrich Haböck (Viola da Gamba) führten erklärend durch den Abend; wählten unterschiedlichste Musikstücke und erläuterten das Wechselspiel zwischen nichtjüdischer Umwelt und jüdischer Lebenswelt. So wurde etwa (Luthers) »Nun freut euch, lieben Christeng’mein« um dann in das beliebte »Ma’os Tzur« zu wechseln. Natürlich ist es die gleiche (oder nahezu gleiche) Melodie. Diana Matut hat jedoch nicht nur das »Ma’os Tzur« mit der Melodie gesungen, die wir heute kennen, sondern auch mit der Aussprache des Hebräischen, wie wir sie für das aschkenasische Judentum des 16. Jahrhunderts annehmen können. Durch die Einführungstexte und die Ausführung wurde klar, dass die Musiker das nicht nur als Repertoire herunterspielen, sondern offensichtlich begeisterte Experten auf ihrem Gebiet und für diese spezielle Art der Musik sind. Unter anderem gab es auch ein Lied aus dem Lochamer Liederbuch, ein Madrigal oder eine jiddische Form des El Male Rachamim aus dem Jahr 1648. Der Programmzettel listete alle Stücke mit ihrer ursprünglichen Quelle auf.

Die Klezmerwelten Gelsenkirchen starteten also ungewöhnlich, aber auf einem hohen Niveau. Schlecht für die Liebhaber von Jiddel-mitn-Fidl-Klezmer (samt angeklebten Bärten und Pseudo-Jiddisch-Akzent), aber gut für diejenigen, die etwas mehr sehen, hören und erfahren wollen.

Als Zugabe gab es übrigens auch ein Stück in Interaktion mit dem Publikum. Hier 15 Sekunden davon:

[highlight]Update:[/highlight] Zu hören sein wird das Konzert auch im Radio. Am 9.11.2013 bei WDR 3.