jewsand words Einiges ist ungewöhnlich am letzten Werk von Amos Oz »jews and words«. Da wäre, dass er es gemeinsam mit seiner Tochter Fania Oz-Salzberger (twittert übrigens auch) geschrieben hat - die Historikerin ist (und ein Buch über Israelis in Berlin geschrieben hat). Zudem ist das Buch kein literarischer Text, sondern ein Text über Literatur. Vollkommen anders ist aber, dass das Buch nicht in hebräischer Sprache verfasst wurde, sondern in englischer Sprache. Ein Buch über die Geschichte jüdischer Texte erscheint nicht zunächst nicht in der naheliegenden Sprache, sondern in einer beschreibenden Sprache.

Und das ist »Juden und Worte« - wie es nun in der deutschen Ausgabe heißt. Eine Geschichte des Paares Text-Jüdisches Volk, welches nicht umsonst den Titel »Volk des Buches« erhalten hat - den hat es sich ja nicht selber verliehen. Diese Bezeichnung entstammt dem Islam. Es ist fast schon trivial, wenn man darauf hinweist, dass Juden schon immer ihre überlieferten Texte diskutiert und weitergegeben haben an die nächste Generation. Und zwar immer so, als hinge alles davon ab. Dies als interessanten Text zusammenzufassen - über die letzten fünftausend Jahre hinweg, haben Tochter und Vater unternommen. Sie zeigen die wichtigsten Beispiele für den Dualismus zwischen radikalem Hinterfragen aller Inhalte und Konstruktionen und einer gewissen Loyalität der Tradition oder dem Judentum als Ganzes gegenüber. Freud sei als Beispiel genannt. Für ihn war die Religion eine Illusion und dennoch blieb er Mitglied bei Bnei Brith. Es geht also nicht nur um Texte. Es geht auch um Texte, Erziehung (also auch um die Paare Vater-Sohn, Mutter-Tochter, Lehrer-Schüler) und Wurzeln.

Amos Oz und seine Tochter betonen, dass sie jüdische Atheisten sind und dies ist auch ihr Arbeitsansatz: Ein literaturwissenschaftlicher oder historischer Flug durch die jüdischen Texte der letzten fünf Jahrhunderte. Die Frage sei erlaubt, ob es überhaupt mehrere Texte sind, oder ob die gesamte Überlieferung als ein großer Text gesehen werden kann? Es gibt vermutlich kein größeres intertextuelleres Projekt als den Talmud mit seinen Kommentaren. Die Methode der beiden ist keine neue (gerade nicht für Leser mit einem israelischen Hintergrund), aber nur weil sie nicht aus einem religiösen Blickwinkel verfasst wurde, ist auch sie nicht ganz ideologiefrei. Das Buch spricht zwar nicht für eine spezielle jüdische Strömung (Mordechai Kaplan kommt im Buch übrigens auch vor - der Begründer des Jüdischen Rekonstruktionismus), aber immer wieder für einen Ansatz, der eben doch gerne ausklammert, dass es auch um Religion geht. Aber Ideologiefreiheit wird auch nicht beansprucht. Die Orthodoxie kommt dabei übrigens nicht so sehr gut weg. Sie erwies sich als unfähig, ihr Haus zu renovieren - so Oz und Oz-Salzberger.

So kann man die Geschichte von Kajn und Hewel (Abel) als chuzpedik auslegen. Wenn G-tt fragt »Wo ist dein Bruder Hewel?« und Kajn nicht antwortet, sondern eine Gegenfrage stellt: »Bin ich der Hüter meines Bruders?«. Das kann man durchaus als Chuzpe auslegen, oder erkennen, dass der Mensch eine moralische Verantwortung für seinen Nebenmenschen ablehnt und sich für ihn nicht verantwortlich fühlt. Hier ist eine Antwort amüsant und die andere relevant. Dennoch ist es eine Liebeserklärung an den Text der hebräischen Bibel. Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich. Und häufig regt das Buch zum Widerspruch an. Schon ist man selber Teil einer Diskussion. Wenn das beabsichtigt war, ist das übersmart.

Die Frage Wer ist Jude wird beantwortet mit »Whoever is wrestling with the question ‘Who is a Jew’« - das ist sicher ein Lacher bei einer öffentlichen Lesung, aber keine hinreichende Antwort auf die riesige, nie endende, Diskussion dahinter. Nach der Definition von Familie Oz, müssten die deutschen Gemeinden aus allen Nähten platzen. Dazu kommen aber im Buch noch andere Stimmen zu Wort. Juden und Worte Schauen wir nun auf das Paar »jews and words« und »Juden und Worte«.

Beim Blick auf das Cover fragt man sich direkt: Was ist denn da los? Das Originalausgabencover ist interessant: ein großer und ein kleiner Sessel. Auf der Armlehne des großen Sessels liegt ein aufgeklapptes Buch. Das gibt einen Hinweis auf den Inhalt. Jüdische Texte wurden immer und zu jeder Zeit an die nächste Generation weitergegeben. Hier nicht im Chederformat, sondern im gemütlichen Lesesessel. Botschaft angekommen. Und auf der deutschen Ausgabe? Dass man die Wand verändert hat - kein Problem. Aber wer kam auf die Idee, den Witz aus dem Bild zu entfernen, indem man das Buch entfernt hat? Zwei Lesesessel nebeneinander. Spannend.

Die deutsche Fassung ist irgendwie anders als die englisch/amerikanische. Die englische wirkt ein wenig leichter und etwas dynamischer. Ein Beispiel: In der Originalausgabe darf der Leser zunächst einmal lesen und zwar den gesamten Text. In der deutschen Ausgabe kommen Fuß- bzw. Endnoten zum Einsatz. Im englischen Original erklärt statt dessen ein Fließtext im Anhang die Referenzen. Die englische Fassung ist mit lauter Anschmeichelungen an die Netzmenschen angereichert. Die Hipster-Sprache (Hebräisch als rebooted project) des Textes stellte aber offenbar auch die Übersetzerin vor eine Herausforderung. Die Formulierung »von tablet zu tablet« ist eine Mischübersetzung. Um den englischen Sprachwitz zu erhalten, nämlich von den Tafeln der Gebote (tablets) zu den Tablet-Computern. Liest man den Text in der englischen Originalfassung, zündet der Sprachwitz sofort.

Und noch etwas: Ausgerechnet ein Zitat aus dem Neuen Testament (»Am Anfang war das Wort« der Beginn des Johannes-Evangeliums) stellt der Verlag der Buchpräsentation auf den Verlagsseiten voran.

Kurzum: Ein gutes Buch, wenn man sich auf die Reise durch die Textgeschichte des Judentums begeben möchte und wissen möchte, warum das Judentum heute so ist, wie es. Etwas mehr Drive hat es jedoch in seiner Originalausgabe. Die deutsche Fassung bei amazon, die englische Fassung bei amazon.